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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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In dem sonst so hochpatriotischen Alterthum tritt er mit
größerer Stärke erst gegen das absterbende Ende desselben in der
Moralphilosophie der Stoischen Schule auf. Statt des Bar¬
barenthums vorher wird jetzt gar viel Schönes und Erbauliches
von der Menschheit in ihrem einheitlichen, pantheistisch begründe¬
ten Zusammenhang, und statt der autochthonisch eingebildeten Ab¬
sperrung über die allgemeinen Menschlichkeitspflichten abgehandelt
-- abgehandelt sage ich, oder noch besser, deklamirt; denn sehr viel
mehr als Redeübung, als Schönthun mit Tugenden und erhabe¬
nen Gefühlen vor sich selbst und Anderen war jene Moral im
innersten Kern doch nicht: trotz aller forcirten Härte weichlich und
eitel, bei großen Worten thatlos (und gerne geneigt, durch den
Selbstmord sich eine wohlfeile Hinterthüre aus allen Drangsalen
zu öffnen), kurz, bei vielem Bombast doch hohl im Kern. Das
auf diesem Boden gedeihende Wort: "Welt! dich liebe ich!" mag
wohl gerade soviel Naturwahrheit besessen haben, als das bekannte:
"Schmerz, ich verachte dich!" -- Und wie ähnlich in mehr als
Einer Beziehung, ähnlich besonders in dieser unmoralischen, erst
von Kant kategorisch zurechtgewiesenen Tugendhaftigkeit war jener
alten stoischen Zeit der zweite (wenigstens human-profane) Kulmi¬
nationspunkt des Kosmopolitismus, das vorige Jahrhundert,
vornehmlich in Deutschland, mit seiner überfließenden Stimmungs-
und Gefühlsseligkeit, in welcher man so vielfach die Kraft zum
energischen Handeln verpuffte!

Nein, alle diese Weltbürgerlichkeit, wir möchten sie die enthu¬
siastisch-schwärmende
nennen, war in der That besten Falls
doch nur ein windiges Theaterpathos. Sie vergaß ganz, daß alle
Naturkräfte, wie Licht und Wärme, mit der Entfernung stetig ab¬
nehmen; was Wunder, daß dasselbe Gesetz sich auch an der Seele
erwies, daß jene Alleweltssympathie von bloßer Expansionskraft
getrieben und keine natürlichen Grenzen mehr anerkennend sich zu

In dem ſonſt ſo hochpatriotiſchen Alterthum tritt er mit
größerer Stärke erſt gegen das abſterbende Ende deſſelben in der
Moralphiloſophie der Stoiſchen Schule auf. Statt des Bar¬
barenthums vorher wird jetzt gar viel Schönes und Erbauliches
von der Menſchheit in ihrem einheitlichen, pantheiſtiſch begründe¬
ten Zuſammenhang, und ſtatt der autochthoniſch eingebildeten Ab¬
ſperrung über die allgemeinen Menſchlichkeitspflichten abgehandelt
— abgehandelt ſage ich, oder noch beſſer, deklamirt; denn ſehr viel
mehr als Redeübung, als Schönthun mit Tugenden und erhabe¬
nen Gefühlen vor ſich ſelbſt und Anderen war jene Moral im
innerſten Kern doch nicht: trotz aller forcirten Härte weichlich und
eitel, bei großen Worten thatlos (und gerne geneigt, durch den
Selbſtmord ſich eine wohlfeile Hinterthüre aus allen Drangſalen
zu öffnen), kurz, bei vielem Bombaſt doch hohl im Kern. Das
auf dieſem Boden gedeihende Wort: „Welt! dich liebe ich!“ mag
wohl gerade ſoviel Naturwahrheit beſeſſen haben, als das bekannte:
„Schmerz, ich verachte dich!“ — Und wie ähnlich in mehr als
Einer Beziehung, ähnlich beſonders in dieſer unmoraliſchen, erſt
von Kant kategoriſch zurechtgewieſenen Tugendhaftigkeit war jener
alten ſtoiſchen Zeit der zweite (wenigſtens human-profane) Kulmi¬
nationspunkt des Kosmopolitismus, das vorige Jahrhundert,
vornehmlich in Deutſchland, mit ſeiner überfließenden Stimmungs-
und Gefühlsſeligkeit, in welcher man ſo vielfach die Kraft zum
energiſchen Handeln verpuffte!

Nein, alle dieſe Weltbürgerlichkeit, wir möchten ſie die enthu¬
ſiaſtiſch-ſchwärmende
nennen, war in der That beſten Falls
doch nur ein windiges Theaterpathos. Sie vergaß ganz, daß alle
Naturkräfte, wie Licht und Wärme, mit der Entfernung ſtetig ab¬
nehmen; was Wunder, daß daſſelbe Geſetz ſich auch an der Seele
erwies, daß jene Alleweltsſympathie von bloßer Expanſionskraft
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[12/0022] In dem ſonſt ſo hochpatriotiſchen Alterthum tritt er mit größerer Stärke erſt gegen das abſterbende Ende deſſelben in der Moralphiloſophie der Stoiſchen Schule auf. Statt des Bar¬ barenthums vorher wird jetzt gar viel Schönes und Erbauliches von der Menſchheit in ihrem einheitlichen, pantheiſtiſch begründe¬ ten Zuſammenhang, und ſtatt der autochthoniſch eingebildeten Ab¬ ſperrung über die allgemeinen Menſchlichkeitspflichten abgehandelt — abgehandelt ſage ich, oder noch beſſer, deklamirt; denn ſehr viel mehr als Redeübung, als Schönthun mit Tugenden und erhabe¬ nen Gefühlen vor ſich ſelbſt und Anderen war jene Moral im innerſten Kern doch nicht: trotz aller forcirten Härte weichlich und eitel, bei großen Worten thatlos (und gerne geneigt, durch den Selbſtmord ſich eine wohlfeile Hinterthüre aus allen Drangſalen zu öffnen), kurz, bei vielem Bombaſt doch hohl im Kern. Das auf dieſem Boden gedeihende Wort: „Welt! dich liebe ich!“ mag wohl gerade ſoviel Naturwahrheit beſeſſen haben, als das bekannte: „Schmerz, ich verachte dich!“ — Und wie ähnlich in mehr als Einer Beziehung, ähnlich beſonders in dieſer unmoraliſchen, erſt von Kant kategoriſch zurechtgewieſenen Tugendhaftigkeit war jener alten ſtoiſchen Zeit der zweite (wenigſtens human-profane) Kulmi¬ nationspunkt des Kosmopolitismus, das vorige Jahrhundert, vornehmlich in Deutſchland, mit ſeiner überfließenden Stimmungs- und Gefühlsſeligkeit, in welcher man ſo vielfach die Kraft zum energiſchen Handeln verpuffte! Nein, alle dieſe Weltbürgerlichkeit, wir möchten ſie die enthu¬ ſiaſtiſch-ſchwärmende nennen, war in der That beſten Falls doch nur ein windiges Theaterpathos. Sie vergaß ganz, daß alle Naturkräfte, wie Licht und Wärme, mit der Entfernung ſtetig ab¬ nehmen; was Wunder, daß daſſelbe Geſetz ſich auch an der Seele erwies, daß jene Alleweltsſympathie von bloßer Expanſionskraft getrieben und keine natürlichen Grenzen mehr anerkennend ſich zu

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/22>, abgerufen am 27.04.2024.