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Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 2. Wien, 1850.

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in Galizien, noch jetzt alljährlich gefeiert wird. Eine große Anzahl Pilger kommen dahin, um Splitterchen vom Kreuze des Heilandes zu holen. Die Priester machten ganz kleine Kreuzchen von Wachs, worauf sie, wie sie dem gläubigen Volke versicherten, Splitterchen vom wahren Kreuze Christi klebten. Diese Kreuzchen waren in Papier gewickelt und standen in vollen Körben zur Austheilung, das heißt zum Verkaufe bereit. Jeder Bauer pflegte wenigstens drei Stücke zu nehmen, von welchen er eines in die Stube, das zweite in den Stall und das dritte in die Scheune legte. Das sonderbarste dabei war, daß dieser Kauf alle Jahre wiederholt werden mußte -- die alten Kreuzchen hatten nach Verlauf dieser Zeit ihre heilige Kraft verloren.

Doch kehren wir wieder nach Kandy zurück. In einem zweiten Tempel, der sich an das Heiligthum anschließt, sind zwei riesige Statuen des Gottes Buddha in sitzender Stellung, -- beide sollen vom feinsten Golde sein (inwendig hohl). Vor diesen kolossalen Figuren stehen ganze Reihen kleiner Buddha's, die aus Crystall, Glas, Silber, Kupfer oder anderen Materialien verfertigt sind. Auch in der Vorhalle sieht man mehrere aus Stein gehauene Statuen von Göttern, nebst andern Fragmenten, die aber alle ziemlich roh und steif gearbeitet sind. Mitten darunter steht ein kleines Monument von einfachem Mauerwerke, einer umgestürzten Glocke gleichend; es soll das Grab eines Braminen enthalten.

An den Außenwänden des Haupttempels sieht man die ewigen Strafen in jämmerlichen Fresken gemalt. Letztere stellen Menschen dar, die geröstet, oder mit glühenden


in Galizien, noch jetzt alljährlich gefeiert wird. Eine große Anzahl Pilger kommen dahin, um Splitterchen vom Kreuze des Heilandes zu holen. Die Priester machten ganz kleine Kreuzchen von Wachs, worauf sie, wie sie dem gläubigen Volke versicherten, Splitterchen vom wahren Kreuze Christi klebten. Diese Kreuzchen waren in Papier gewickelt und standen in vollen Körben zur Austheilung, das heißt zum Verkaufe bereit. Jeder Bauer pflegte wenigstens drei Stücke zu nehmen, von welchen er eines in die Stube, das zweite in den Stall und das dritte in die Scheune legte. Das sonderbarste dabei war, daß dieser Kauf alle Jahre wiederholt werden mußte — die alten Kreuzchen hatten nach Verlauf dieser Zeit ihre heilige Kraft verloren.

Doch kehren wir wieder nach Kandy zurück. In einem zweiten Tempel, der sich an das Heiligthum anschließt, sind zwei riesige Statuen des Gottes Buddha in sitzender Stellung, — beide sollen vom feinsten Golde sein (inwendig hohl). Vor diesen kolossalen Figuren stehen ganze Reihen kleiner Buddha’s, die aus Crystall, Glas, Silber, Kupfer oder anderen Materialien verfertigt sind. Auch in der Vorhalle sieht man mehrere aus Stein gehauene Statuen von Göttern, nebst andern Fragmenten, die aber alle ziemlich roh und steif gearbeitet sind. Mitten darunter steht ein kleines Monument von einfachem Mauerwerke, einer umgestürzten Glocke gleichend; es soll das Grab eines Braminen enthalten.

An den Außenwänden des Haupttempels sieht man die ewigen Strafen in jämmerlichen Fresken gemalt. Letztere stellen Menschen dar, die geröstet, oder mit glühenden

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in Galizien, noch jetzt alljährlich gefeiert wird. Eine große Anzahl Pilger kommen dahin, um Splitterchen vom Kreuze des Heilandes zu holen. Die Priester machten ganz kleine Kreuzchen von Wachs, worauf sie, wie sie dem gläubigen Volke versicherten, Splitterchen vom wahren Kreuze Christi klebten. Diese Kreuzchen waren in Papier gewickelt und standen in vollen Körben zur Austheilung, das heißt zum Verkaufe bereit. Jeder Bauer pflegte wenigstens drei Stücke zu nehmen, von welchen er eines in die Stube, das zweite in den Stall und das dritte in die Scheune legte. Das sonderbarste dabei war, daß dieser Kauf alle Jahre wiederholt werden mußte &#x2014; die alten Kreuzchen hatten nach Verlauf dieser Zeit ihre heilige Kraft verloren.</p>
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[103/0110] in Galizien, noch jetzt alljährlich gefeiert wird. Eine große Anzahl Pilger kommen dahin, um Splitterchen vom Kreuze des Heilandes zu holen. Die Priester machten ganz kleine Kreuzchen von Wachs, worauf sie, wie sie dem gläubigen Volke versicherten, Splitterchen vom wahren Kreuze Christi klebten. Diese Kreuzchen waren in Papier gewickelt und standen in vollen Körben zur Austheilung, das heißt zum Verkaufe bereit. Jeder Bauer pflegte wenigstens drei Stücke zu nehmen, von welchen er eines in die Stube, das zweite in den Stall und das dritte in die Scheune legte. Das sonderbarste dabei war, daß dieser Kauf alle Jahre wiederholt werden mußte — die alten Kreuzchen hatten nach Verlauf dieser Zeit ihre heilige Kraft verloren. Doch kehren wir wieder nach Kandy zurück. In einem zweiten Tempel, der sich an das Heiligthum anschließt, sind zwei riesige Statuen des Gottes Buddha in sitzender Stellung, — beide sollen vom feinsten Golde sein (inwendig hohl). Vor diesen kolossalen Figuren stehen ganze Reihen kleiner Buddha’s, die aus Crystall, Glas, Silber, Kupfer oder anderen Materialien verfertigt sind. Auch in der Vorhalle sieht man mehrere aus Stein gehauene Statuen von Göttern, nebst andern Fragmenten, die aber alle ziemlich roh und steif gearbeitet sind. Mitten darunter steht ein kleines Monument von einfachem Mauerwerke, einer umgestürzten Glocke gleichend; es soll das Grab eines Braminen enthalten. An den Außenwänden des Haupttempels sieht man die ewigen Strafen in jämmerlichen Fresken gemalt. Letztere stellen Menschen dar, die geröstet, oder mit glühenden

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Zitationshilfe: Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 2. Wien, 1850, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt02_1850/110>, abgerufen am 27.04.2024.