Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 1. Wien, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

ehrlichen Leuten bei Tage an einsamen Orten mit dem Gelde in der Tasche zu begegnen.

In der Folge hatte ich Gelegenheit, mich von der irrigen Meinung des Kapitäns zu überzeugen, als ich an vielen Orten Gefangene sah, die an Ketten gelegt und bei öffentlichen Bauten, Straßenkehren, u. s. w. verwendet wurden. Auch sind die Fenster und Thüren mit Gittern und Balken verwahrt, wie kaum in irgend einer Stadt Europa's. Des Nachts stehen in allen Straßen, auf allen bewohnten Hügeln Polizeiposten, die sich fortwährend anrufen, wie die Vorposten im Kriege; reitende Polizei durchstreift überdies die Stadt nach allen Richtungen, und einzelne Menschen, die aus dem Theater oder aus Gesellschaften heimkehren, lassen sich häufig von solch berittenen Soldaten begleiten. -- Auf gewaltsamen Einbruch ist Todesstrafe gesetzt.

Alle diese Maßregeln sprechen doch sicher nicht für die große Ehrlichkeit des Volkes?!

Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einer kleinen Scene zu erwähnen, deren Zeuge ich war, da sie vor meinem Fenster statt hatte. Ein kleiner Junge trug auf einem Brette mehrere Teller und Schüsseln; unglücklicherweise entfiel ihm das Brett -- und das Geschirr lag in Trümmern zu seinen Füßen. Im ersten Augenblicke war der arme Knabe so erschrocken, daß er, gleich einen Bildsäule, mit starrem Blicke auf das zerbrochene Geschirr niedersah, worauf er dann bitterlich zu weinen anfing. Die Vorübergehenden blieben zwar stehen und betrachteten den armen Jungen; aber niemand nahm Theil an seinem Unglücke; sie lachten -- und gingen weiter, -- An

ehrlichen Leuten bei Tage an einsamen Orten mit dem Gelde in der Tasche zu begegnen.

In der Folge hatte ich Gelegenheit, mich von der irrigen Meinung des Kapitäns zu überzeugen, als ich an vielen Orten Gefangene sah, die an Ketten gelegt und bei öffentlichen Bauten, Straßenkehren, u. s. w. verwendet wurden. Auch sind die Fenster und Thüren mit Gittern und Balken verwahrt, wie kaum in irgend einer Stadt Europa’s. Des Nachts stehen in allen Straßen, auf allen bewohnten Hügeln Polizeiposten, die sich fortwährend anrufen, wie die Vorposten im Kriege; reitende Polizei durchstreift überdies die Stadt nach allen Richtungen, und einzelne Menschen, die aus dem Theater oder aus Gesellschaften heimkehren, lassen sich häufig von solch berittenen Soldaten begleiten. — Auf gewaltsamen Einbruch ist Todesstrafe gesetzt.

Alle diese Maßregeln sprechen doch sicher nicht für die große Ehrlichkeit des Volkes?!

Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einer kleinen Scene zu erwähnen, deren Zeuge ich war, da sie vor meinem Fenster statt hatte. Ein kleiner Junge trug auf einem Brette mehrere Teller und Schüsseln; unglücklicherweise entfiel ihm das Brett — und das Geschirr lag in Trümmern zu seinen Füßen. Im ersten Augenblicke war der arme Knabe so erschrocken, daß er, gleich einen Bildsäule, mit starrem Blicke auf das zerbrochene Geschirr niedersah, worauf er dann bitterlich zu weinen anfing. Die Vorübergehenden blieben zwar stehen und betrachteten den armen Jungen; aber niemand nahm Theil an seinem Unglücke; sie lachten — und gingen weiter, — An

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0143" n="136"/>
ehrlichen Leuten <hi rendition="#g">bei Tage</hi> an einsamen Orten mit dem Gelde <hi rendition="#g">in der Tasche</hi> zu begegnen.</p>
          <p>   In der Folge hatte ich Gelegenheit, mich von der irrigen Meinung des Kapitäns zu überzeugen, als ich an vielen Orten Gefangene sah, die an Ketten gelegt und bei öffentlichen Bauten, Straßenkehren, u. s. w. verwendet wurden. Auch sind die Fenster und Thüren mit Gittern und Balken verwahrt, wie kaum in irgend einer Stadt Europa&#x2019;s. Des Nachts stehen in allen Straßen, auf allen bewohnten Hügeln Polizeiposten, die sich fortwährend anrufen, wie die Vorposten im Kriege; reitende Polizei durchstreift überdies die Stadt nach allen Richtungen, und einzelne Menschen, die aus dem Theater oder aus Gesellschaften heimkehren, lassen sich häufig von solch berittenen Soldaten begleiten. &#x2014; Auf gewaltsamen Einbruch ist Todesstrafe gesetzt.</p>
          <p>   Alle diese Maßregeln sprechen doch sicher nicht für die große Ehrlichkeit des Volkes?!</p>
          <p>   Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einer kleinen Scene zu erwähnen, deren Zeuge ich war, da sie vor meinem Fenster statt hatte. Ein kleiner Junge trug auf einem Brette mehrere Teller und Schüsseln; unglücklicherweise entfiel ihm das Brett &#x2014; und das Geschirr lag in Trümmern zu seinen Füßen. Im ersten Augenblicke war der arme Knabe so erschrocken, daß er, gleich einen Bildsäule, mit starrem Blicke auf das zerbrochene Geschirr niedersah, worauf er dann bitterlich zu weinen anfing. Die Vorübergehenden blieben zwar stehen und betrachteten den armen Jungen; aber niemand nahm Theil an seinem Unglücke; sie lachten &#x2014; und gingen weiter, &#x2014; An</p>
          <p>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0143] ehrlichen Leuten bei Tage an einsamen Orten mit dem Gelde in der Tasche zu begegnen. In der Folge hatte ich Gelegenheit, mich von der irrigen Meinung des Kapitäns zu überzeugen, als ich an vielen Orten Gefangene sah, die an Ketten gelegt und bei öffentlichen Bauten, Straßenkehren, u. s. w. verwendet wurden. Auch sind die Fenster und Thüren mit Gittern und Balken verwahrt, wie kaum in irgend einer Stadt Europa’s. Des Nachts stehen in allen Straßen, auf allen bewohnten Hügeln Polizeiposten, die sich fortwährend anrufen, wie die Vorposten im Kriege; reitende Polizei durchstreift überdies die Stadt nach allen Richtungen, und einzelne Menschen, die aus dem Theater oder aus Gesellschaften heimkehren, lassen sich häufig von solch berittenen Soldaten begleiten. — Auf gewaltsamen Einbruch ist Todesstrafe gesetzt. Alle diese Maßregeln sprechen doch sicher nicht für die große Ehrlichkeit des Volkes?! Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einer kleinen Scene zu erwähnen, deren Zeuge ich war, da sie vor meinem Fenster statt hatte. Ein kleiner Junge trug auf einem Brette mehrere Teller und Schüsseln; unglücklicherweise entfiel ihm das Brett — und das Geschirr lag in Trümmern zu seinen Füßen. Im ersten Augenblicke war der arme Knabe so erschrocken, daß er, gleich einen Bildsäule, mit starrem Blicke auf das zerbrochene Geschirr niedersah, worauf er dann bitterlich zu weinen anfing. Die Vorübergehenden blieben zwar stehen und betrachteten den armen Jungen; aber niemand nahm Theil an seinem Unglücke; sie lachten — und gingen weiter, — An

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Sophie: A digital library of works by german-speaking women: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-28T07:11:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition (2013-06-28T07:11:29Z)
Bayerische Staatsbibliothek Digital: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-28T07:11:29Z)

Weitere Informationen:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.) sind nicht konsequent wie in der Vorlage gekennzeichnet



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt01_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt01_1850/143
Zitationshilfe: Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 1. Wien, 1850, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt01_1850/143>, abgerufen am 06.05.2024.