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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Was dem allem zugrunde liegt, ist eine kollektivistische Auffassung ppe_031.002
vom Volksgeist, dessen unbewußtes Wirken als Realität, nicht als ppe_031.003
Abstraktion galt. Man glaubte an ihn. Wenn der Individualismus der ppe_031.004
Frühromantik in A. W. Schlegels Rezension der Grimmschen "Altdeutschen ppe_031.005
Wälder" (1815) an dem aristokratischen Bekenntnis festhielt, ppe_031.006
das Erhabene und Schöne könne zu allen Zeiten nur ein Werk ppe_031.007
ausgezeichneter Geister sein, machten die Angegriffenen die verspottete ppe_031.008
Andacht zum Kleinen ernstlich zu ihrer Losung, denn in ppe_031.009
jedem Laut und Zeichen vernahmen sie die schöpferische Sprache ppe_031.010
und singende Natur der Volksseele, darin Poesie, Sage und Geschichte ppe_031.011
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Während nun in stiller leidenschaftsloser Arbeit die Methoden der ppe_031.013
klassischen Textphilologie durch die kritischen Ausgaben der Beneke, ppe_031.014
Lachmann und Haupt auf die werdende germanische Altertumswissenschaft ppe_031.015
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in biographischer Darstellung, Sagenforschung und kritischer ppe_031.017
Volksliedersammlung eine Brücke zur Gelehrsamkeit und suchte jenseits ppe_031.018
der eigentlichen Literatur in Mythos, Sage und Volksgesang die ppe_031.019
nationalsten Erzeugnisse des geistigen Lebens. Während vornehme ppe_031.020
Dilettanten wie die Herren von Laßberg, von Meusebach, von Aufseß ppe_031.021
die Schätze der Vorzeit zusammentrugen, wie es dem Sammeltrieb ppe_031.022
der Biedermeierzeit entsprach, hielt die philologische Arbeit zugleich ppe_031.023
den Zusammenhang mit Sprachwissenschaft, Mythologie, Rechtsgeschichte ppe_031.024
und politischer Geschichte aufrecht. Die Einheit der Ziele ppe_031.025
trat hervor auf der ersten Germanistentagung, die 1846 in Frankfurt ppe_031.026
a. M. die Brüder Grimm und Lachmann mit den Historikern ppe_031.027
Dahlmann und Gervinus im Bekenntnis zu einer Wissenschaft vom ppe_031.028
deutschen Wesen verband. Damals entstand der Einheitsbegriff einer ppe_031.029
Germanistik, der nachmals durch die Neubildungen "Deutschkunde" ppe_031.030
und "Deutschwissenschaft" charakterisiert worden ist.

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Es war eine Zeit politischer Hochspannung. Der Volksgeist, der ppe_031.032
sich in der deutschen Erhebung von 1813 als mächtig wirkende Kraft ppe_031.033
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So war es auch in anderen Ländern. In England war ppe_031.040
der Historiker Henry Hallam der erste, der eine wirkliche Literaturgeschichte ppe_031.041
schrieb in seiner "Introduction to the Literature of Europe

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[31/0055] ppe_031.001 Was dem allem zugrunde liegt, ist eine kollektivistische Auffassung ppe_031.002 vom Volksgeist, dessen unbewußtes Wirken als Realität, nicht als ppe_031.003 Abstraktion galt. Man glaubte an ihn. Wenn der Individualismus der ppe_031.004 Frühromantik in A. W. Schlegels Rezension der Grimmschen „Altdeutschen ppe_031.005 Wälder“ (1815) an dem aristokratischen Bekenntnis festhielt, ppe_031.006 das Erhabene und Schöne könne zu allen Zeiten nur ein Werk ppe_031.007 ausgezeichneter Geister sein, machten die Angegriffenen die verspottete ppe_031.008 Andacht zum Kleinen ernstlich zu ihrer Losung, denn in ppe_031.009 jedem Laut und Zeichen vernahmen sie die schöpferische Sprache ppe_031.010 und singende Natur der Volksseele, darin Poesie, Sage und Geschichte ppe_031.011 eins wurde. ppe_031.012 Während nun in stiller leidenschaftsloser Arbeit die Methoden der ppe_031.013 klassischen Textphilologie durch die kritischen Ausgaben der Beneke, ppe_031.014 Lachmann und Haupt auf die werdende germanische Altertumswissenschaft ppe_031.015 übertragen wurden, schlug das Dichtertum Ludwig Uhlands ppe_031.016 in biographischer Darstellung, Sagenforschung und kritischer ppe_031.017 Volksliedersammlung eine Brücke zur Gelehrsamkeit und suchte jenseits ppe_031.018 der eigentlichen Literatur in Mythos, Sage und Volksgesang die ppe_031.019 nationalsten Erzeugnisse des geistigen Lebens. Während vornehme ppe_031.020 Dilettanten wie die Herren von Laßberg, von Meusebach, von Aufseß ppe_031.021 die Schätze der Vorzeit zusammentrugen, wie es dem Sammeltrieb ppe_031.022 der Biedermeierzeit entsprach, hielt die philologische Arbeit zugleich ppe_031.023 den Zusammenhang mit Sprachwissenschaft, Mythologie, Rechtsgeschichte ppe_031.024 und politischer Geschichte aufrecht. Die Einheit der Ziele ppe_031.025 trat hervor auf der ersten Germanistentagung, die 1846 in Frankfurt ppe_031.026 a. M. die Brüder Grimm und Lachmann mit den Historikern ppe_031.027 Dahlmann und Gervinus im Bekenntnis zu einer Wissenschaft vom ppe_031.028 deutschen Wesen verband. Damals entstand der Einheitsbegriff einer ppe_031.029 Germanistik, der nachmals durch die Neubildungen „Deutschkunde“ ppe_031.030 und „Deutschwissenschaft“ charakterisiert worden ist. ppe_031.031 Es war eine Zeit politischer Hochspannung. Der Volksgeist, der ppe_031.032 sich in der deutschen Erhebung von 1813 als mächtig wirkende Kraft ppe_031.033 offenbart hatte, blieb auch weiter unterirdisch tätig trotz aller Unterdrückung. ppe_031.034 Wie ein Vulkan, dessen Ausbruch bevorsteht, rumorte er ppe_031.035 in der Bewegung, die auf deutsche Freiheit und deutsche Einheit ppe_031.036 gerichtet war. Die Literaturgeschichte trat in engste Beziehung zur ppe_031.037 Politik, und die Übertragung der Gegenwartsspannungen auf die Vergangenheit ppe_031.038 berief die Geschichtsforscher auf das Feld der Literaturbetrachtung. ppe_031.039 So war es auch in anderen Ländern. In England war ppe_031.040 der Historiker Henry Hallam der erste, der eine wirkliche Literaturgeschichte ppe_031.041 schrieb in seiner „Introduction to the Literature of Europe

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/55>, abgerufen am 22.11.2024.