ppe_179.001 sozialen Widerspruch, so daß sie kaum bei ihm zum Problem wird. ppe_179.002 Der Aristokrat Eichendorff dagegen erlebt sie von oben herab, auch ppe_179.003 wenn er sich in die Seele seines Gärtners versetzt und sogar Todesahnungen ppe_179.004 anklingen läßt. Hier ist ein Unterschied der Standesanschauung, ppe_179.005 ja der Weltanschauung nicht zu verkennen. Die Zeitstimmung ppe_179.006 des Eichendorffschen Liedes ist Romantik, die des Mörikeschen ppe_179.007 bürgerliches Biedermeier. Die hohe Fraue, die bei Eichendorff ppe_179.008 stimmführend in den dreifachen Reim eintritt, ist ein Akkord der ppe_179.009 unerfüllbaren Sehnsucht; dagegen ist Mörikes kapriziöses Prinzeßlein, ppe_179.010 das vielleicht gar imstande wäre, eine Feder ihres Hutes selbst herabflattern ppe_179.011 zu lassen, um damit dem kleinen Gärtner den Kopf zu ppe_179.012 verdrehen, nicht so sehr musikalischer Gefühlseindruck als Gemälde, ppe_179.013 ein Bild, das man sich von Moritz von Schwind gefertigt denken ppe_179.014 könnte. Bei Eichendorff ist alles auf Wohllaut eingestellt, und die ppe_179.015 weiche musikalische Melancholie reicht bis zum Schlußmotiv, das als ppe_179.016 Parellele zwischen dem Graben des Gartens und des Grabes den ppe_179.017 sentimentalen Todesgedanken in sich trägt. Es herrscht ein Zwiespalt ppe_179.018 zwischen scheinbar frohem Gehaben und tiefem Herzeleid Dagegen ppe_179.019 wird aller Zwiespalt bei Mörike mit urwüchsigem Humor überwunden. ppe_179.020 Alles ist sinnenfrohe Anschauung und Bewegung in tänzelndem ppe_179.021 Rhythmus, der auch seine Musik bildet. Aber der Haupteindruck ppe_179.022 ist doch visuell. Durch die impressionistischen Farbentupfen ppe_179.023 des schneeweißen Rößleins, der grünen Allee, des goldenen Sandes, ppe_179.024 des rosenfarbenen Hütleins ist das ganze Gedicht selbst zum Gärtnerwerk ppe_179.025 eines bunten Blumenstraußes geworden. Die verschiedenartige ppe_179.026 Vertonung durch Johannes Brahms und Hugo Wolf hat die Gegensätzlichkeit ppe_179.027 der Wirkung noch verstärkt, so daß niemand mehr bei ppe_179.028 Anhörung dieser Lieder denken wird, daß ihnen das gleiche Motiv ppe_179.029 zugrunde liegt.
ppe_179.030 Wir kommen endlich zur Musik. Es ist fraglich, ob die im ppe_179.031 literarischen Motiv enthaltenen Gefühlserlebnisse in ihrer verschiedenen ppe_179.032 Ausdrucksweise durch musikalische Begriffe, wie Melodik, ppe_179.033 Rhythmik, Dynamik erhellt werden können. Wird nun aber das, ppe_179.034 was die Musiklehre unter Motiv versteht, in die Analyse der ppe_179.035 Dichtung hineingeworfen, so kann es, wie Karl Voßler an einem ppe_179.036 drastischen Beispiel gezeigt hat, zu verschleiernder Einnebelung in ppe_179.037 einen "Dunst von Kunstkennertum und Feinschmeckerei" auslaufen. ppe_179.038 Mit Übernahme des musikalischen Motivbegriffes, den Nietzsche als ppe_179.039 die "einzelne Gebärde des musikalischen Affekts" erklärt hat, würde ppe_179.040 zwar die seelische Beziehung festgehalten, auf die es beim dichterischen ppe_179.041 Motiv ankommt; aber solcher Melodieteil würde in seiner
ppe_179.001 sozialen Widerspruch, so daß sie kaum bei ihm zum Problem wird. ppe_179.002 Der Aristokrat Eichendorff dagegen erlebt sie von oben herab, auch ppe_179.003 wenn er sich in die Seele seines Gärtners versetzt und sogar Todesahnungen ppe_179.004 anklingen läßt. Hier ist ein Unterschied der Standesanschauung, ppe_179.005 ja der Weltanschauung nicht zu verkennen. Die Zeitstimmung ppe_179.006 des Eichendorffschen Liedes ist Romantik, die des Mörikeschen ppe_179.007 bürgerliches Biedermeier. Die hohe Fraue, die bei Eichendorff ppe_179.008 stimmführend in den dreifachen Reim eintritt, ist ein Akkord der ppe_179.009 unerfüllbaren Sehnsucht; dagegen ist Mörikes kapriziöses Prinzeßlein, ppe_179.010 das vielleicht gar imstande wäre, eine Feder ihres Hutes selbst herabflattern ppe_179.011 zu lassen, um damit dem kleinen Gärtner den Kopf zu ppe_179.012 verdrehen, nicht so sehr musikalischer Gefühlseindruck als Gemälde, ppe_179.013 ein Bild, das man sich von Moritz von Schwind gefertigt denken ppe_179.014 könnte. Bei Eichendorff ist alles auf Wohllaut eingestellt, und die ppe_179.015 weiche musikalische Melancholie reicht bis zum Schlußmotiv, das als ppe_179.016 Parellele zwischen dem Graben des Gartens und des Grabes den ppe_179.017 sentimentalen Todesgedanken in sich trägt. Es herrscht ein Zwiespalt ppe_179.018 zwischen scheinbar frohem Gehaben und tiefem Herzeleid Dagegen ppe_179.019 wird aller Zwiespalt bei Mörike mit urwüchsigem Humor überwunden. ppe_179.020 Alles ist sinnenfrohe Anschauung und Bewegung in tänzelndem ppe_179.021 Rhythmus, der auch seine Musik bildet. Aber der Haupteindruck ppe_179.022 ist doch visuell. Durch die impressionistischen Farbentupfen ppe_179.023 des schneeweißen Rößleins, der grünen Allee, des goldenen Sandes, ppe_179.024 des rosenfarbenen Hütleins ist das ganze Gedicht selbst zum Gärtnerwerk ppe_179.025 eines bunten Blumenstraußes geworden. Die verschiedenartige ppe_179.026 Vertonung durch Johannes Brahms und Hugo Wolf hat die Gegensätzlichkeit ppe_179.027 der Wirkung noch verstärkt, so daß niemand mehr bei ppe_179.028 Anhörung dieser Lieder denken wird, daß ihnen das gleiche Motiv ppe_179.029 zugrunde liegt.
ppe_179.030 Wir kommen endlich zur Musik. Es ist fraglich, ob die im ppe_179.031 literarischen Motiv enthaltenen Gefühlserlebnisse in ihrer verschiedenen ppe_179.032 Ausdrucksweise durch musikalische Begriffe, wie Melodik, ppe_179.033 Rhythmik, Dynamik erhellt werden können. Wird nun aber das, ppe_179.034 was die Musiklehre unter Motiv versteht, in die Analyse der ppe_179.035 Dichtung hineingeworfen, so kann es, wie Karl Voßler an einem ppe_179.036 drastischen Beispiel gezeigt hat, zu verschleiernder Einnebelung in ppe_179.037 einen „Dunst von Kunstkennertum und Feinschmeckerei“ auslaufen. ppe_179.038 Mit Übernahme des musikalischen Motivbegriffes, den Nietzsche als ppe_179.039 die „einzelne Gebärde des musikalischen Affekts“ erklärt hat, würde ppe_179.040 zwar die seelische Beziehung festgehalten, auf die es beim dichterischen ppe_179.041 Motiv ankommt; aber solcher Melodieteil würde in seiner
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/203>, abgerufen am 24.11.2024.
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