ppe_177.001 Nicht immer ist der Parallelismus mit solcher fast epigrammatischen ppe_177.002 Prägnanz ausgesprochen wie in Goethes "Gesang der Geister über ppe_177.003 den Wassern": "Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser, ppe_177.004 Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind." Im "Schicksalslied" ppe_177.005 Hyperion-Hölderlins sind zwei Motive in ähnlicher Weise ppe_177.006 kontrastiert: das im heiligen Harfenspiel der Künstlerin verbildlichte ppe_177.007 lichtvolle Wandeln seliger Genien und das ruhelose Dasein des Menschen ppe_177.008 im Gleichnis des von Klippe zu Klippe fallenden Wassersturzes. ppe_177.009 Wie hier akustische und visuelle Eindrücke, musikalische und dem ppe_177.010 Auge wahrnehmbare Bewegungen zusammengestellt sind, so verknüpfen ppe_177.011 sich zwei Motive gegensätzlicher Herkunft in Mörikes "Um Mitternacht", ppe_177.012 nämlich das visuelle Bild der gelassen ans Land steigenden ppe_177.013 Nacht und die Melodie des Schlummerliedes vom heute gewesenen ppe_177.014 Tage. Was die Quellen singen von ewiger Unrast des Lebens, das bedeutet ppe_177.015 in Eichendorffs "Sehnsucht" das Wanderlied der vorbeiziehenden ppe_177.016 zwei Gesellen, dessen Inhalt in vielerlei Zügen die Stimmung ppe_177.017 der Sommernacht zusammenfaßt (rauschende Wälder, Marmorbilder, ppe_177.018 verwilderte Gärten, Paläste im Mondschein, lauschende Mädchen am ppe_177.019 Fenster, verschlafen rauschende Brunnen); der ganze Bilderkomplex ppe_177.020 ist als ein einziges Motiv anzusehen, das die Situation des einsam am ppe_177.021 Fenster Stehenden weiterführt, indem es seine Seele sehnsüchtig ppe_177.022 bewegt.
ppe_177.023 Zwischen Eichendorff und Mörike sind mancherlei Vergleiche zu ppe_177.024 ziehen, wenn beide Dichter sich im gleichen Motiv begegnen, z. B. ppe_177.025 in dem des Gärtners, der zu einer hohen, ihm unerreichbaren Frau ppe_177.026 in Verehrung aufblickt.
ppe_177.027 [Beginn Spaltensatz]
Eichendorff.
ppe_177.028
Wohin ich geh' und schaue,ppe_177.029 In Feld und Wald und Tal,ppe_177.030 Vom Berg hinab in die Aue:ppe_177.031 Vielschöne, hohe Fraue,ppe_177.032 Grüß' ich dich tausendmal.
ppe_177.033 In meinem Garten find' ichppe_177.034 Viel Blumen schön und fein,ppe_177.035 Viel Kränze wohl d'raus wind' ichppe_177.036 Und tausend Gedanken bind' ichppe_177.037 Und Grüße mit darein.
ppe_177.038 Ihr darf ich keinen reichen,ppe_177.039 Sie ist zu hoch und schön,ppe_177.040 Die müssen alle verbleichen,ppe_177.041 Die Liebe nur ohnegleichenppe_177.042 Bleibt ewig im Herzen steh'n.
[Spaltenumbruch]ppe_177.101
Mörike.
ppe_177.102
Auf ihrem Leibrößlein,ppe_177.103 So weiß wie der Schnee,ppe_177.104 Die schönste Prinzessinppe_177.105 Reit't durch die Allee.
ppe_177.106 Der Weg, den das Rößleinppe_177.107 Hintanzet so hold,ppe_177.108 Der Sand, den ich streute,ppe_177.109 Er blinket wie Gold.
ppe_177.110 Du rosenfarb's Hütlein,ppe_177.111 Wohl auf und wohl ab,ppe_177.112 O wirf eine Federppe_177.113 Verstohlen herab.
[Ende Spaltensatz]
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/201>, abgerufen am 24.11.2024.
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