ppe_145.001 "Hamlet" ist es sogar eine verkappte Vergegenwärtigung der Vorgeschichte. ppe_145.002 Aber das theatralische Zwischenspiel gehört einer anderen ppe_145.003 Realitätsschicht an, wie auch in der Aufführung betont werden muß; ppe_145.004 es erinnert an die epischen Hilfsmittel einer eingelegten Erzählung, ppe_145.005 die auf die Entwicklung der Geschichte Einfluß gewinnt. Nicht anders ppe_145.006 ist es mit der Traumhandlung, in der die Erzählung von etwas Vergangenem, ppe_145.007 die Vision gleichzeitigen Geschehens in einer höheren ppe_145.008 Welt, oder der Ausblick auf etwas Bevorstehendes sichtbar gemacht ppe_145.009 wird. Beispiele sind Goethes "Egmont", Gerhart Hauptmanns "Elga" ppe_145.010 und "Hanneles Himmelfahrt" oder die Operntexte von Schillings ppe_145.011 "Mona Lisa" und Pfitzners "Palestrina". Hier gleicht die unmittelbar ppe_145.012 vergegenwärtigte Handlung erster Ordnung mehr oder weniger der ppe_145.013 novellistischen Rahmenerzählung, die ein zweites Geschehen umschließt.
ppe_145.014 Für die Vermittlung zurückliegender Vorgänge, die von Bedeutung ppe_145.015 für die Handlung sind, dient im übrigen der Notbehelf des Berichtes. ppe_145.016 Neben der Erinnerung und der Ausfragung von Zeugen ist der Botenbericht ppe_145.017 ein technischer Kunstgriff, um zeitlich und räumlich Entlegenes ppe_145.018 in Beziehung zur sichtbaren Handlung zu setzen und in den ppe_145.019 Zeitablauf einzufügen. Es gibt aber kaum eine Möglichkeit völlig ppe_145.020 gleichzeitiger Darstellung von räumlich entlegenen Vorgängen. Selbst ppe_145.021 im Buchdrama, das sie in zweispaltigem Druck nebeneinander stellen ppe_145.022 könnte, würde der Leser immer den einen Vorgang vor dem anderen ppe_145.023 lesen müssen und beides erst nachträglich ineinanderschalten. Auch ppe_145.024 wenn eine Simultanbühne Gelegenheit gibt, verschiedene Räume wie ppe_145.025 im Puppenhaus zugleich zu überschauen, etwa in Zacharias Werners ppe_145.026 "24. Februar" zwei, in Möllers "Sturz des Ministers" drei, in Nestroys ppe_145.027 "Vier Temperamenten" gar vier Zimmer desselben Hauses, wenn in ppe_145.028 beliebten Lokalpossen verschiedene Stockwerke oder der Gegensatz ppe_145.029 zwischen Vorder- und Hinterhaus gezeigt werden oder endlich gar ppe_145.030 verschiedene Städte und Länder, wie Madrid und London in Ferdinand ppe_145.031 Bruckners "Elisabeth", nebeneinander gerückt sind, so muß ppe_145.032 die Handlung auf dem einen Schauplatz immer aussetzen oder mindestens ppe_145.033 zur Pantomime gedämpft werden, sobald die des anderen das ppe_145.034 Gehör beanspruchen und die Aufmerksamkeit an sich ziehen soll. ppe_145.035 Hier behält das Gesetz des "Successiven" aus Lessings "Laokoon" ppe_145.036 sein Recht.
ppe_145.037 Ein anderes Mittel, gleichzeitige Vorgänge auf entlegenen Schauplätzen ppe_145.038 in dramatischen Zusammenhang zu bringen, ist die der ppe_145.039 homerischen Epentechnik entlehnte Mauerschau (Teichoskopie), die ppe_145.040 eine entfernte Begebenheit vom erhöhten Standpunkt eines Turmes ppe_145.041 oder Feldherrnhügels aus wahrnehmen läßt. Sie kann im Gegenwartsstück
ppe_145.001 „Hamlet“ ist es sogar eine verkappte Vergegenwärtigung der Vorgeschichte. ppe_145.002 Aber das theatralische Zwischenspiel gehört einer anderen ppe_145.003 Realitätsschicht an, wie auch in der Aufführung betont werden muß; ppe_145.004 es erinnert an die epischen Hilfsmittel einer eingelegten Erzählung, ppe_145.005 die auf die Entwicklung der Geschichte Einfluß gewinnt. Nicht anders ppe_145.006 ist es mit der Traumhandlung, in der die Erzählung von etwas Vergangenem, ppe_145.007 die Vision gleichzeitigen Geschehens in einer höheren ppe_145.008 Welt, oder der Ausblick auf etwas Bevorstehendes sichtbar gemacht ppe_145.009 wird. Beispiele sind Goethes „Egmont“, Gerhart Hauptmanns „Elga“ ppe_145.010 und „Hanneles Himmelfahrt“ oder die Operntexte von Schillings ppe_145.011 „Mona Lisa“ und Pfitzners „Palestrina“. Hier gleicht die unmittelbar ppe_145.012 vergegenwärtigte Handlung erster Ordnung mehr oder weniger der ppe_145.013 novellistischen Rahmenerzählung, die ein zweites Geschehen umschließt.
ppe_145.014 Für die Vermittlung zurückliegender Vorgänge, die von Bedeutung ppe_145.015 für die Handlung sind, dient im übrigen der Notbehelf des Berichtes. ppe_145.016 Neben der Erinnerung und der Ausfragung von Zeugen ist der Botenbericht ppe_145.017 ein technischer Kunstgriff, um zeitlich und räumlich Entlegenes ppe_145.018 in Beziehung zur sichtbaren Handlung zu setzen und in den ppe_145.019 Zeitablauf einzufügen. Es gibt aber kaum eine Möglichkeit völlig ppe_145.020 gleichzeitiger Darstellung von räumlich entlegenen Vorgängen. Selbst ppe_145.021 im Buchdrama, das sie in zweispaltigem Druck nebeneinander stellen ppe_145.022 könnte, würde der Leser immer den einen Vorgang vor dem anderen ppe_145.023 lesen müssen und beides erst nachträglich ineinanderschalten. Auch ppe_145.024 wenn eine Simultanbühne Gelegenheit gibt, verschiedene Räume wie ppe_145.025 im Puppenhaus zugleich zu überschauen, etwa in Zacharias Werners ppe_145.026 „24. Februar“ zwei, in Möllers „Sturz des Ministers“ drei, in Nestroys ppe_145.027 „Vier Temperamenten“ gar vier Zimmer desselben Hauses, wenn in ppe_145.028 beliebten Lokalpossen verschiedene Stockwerke oder der Gegensatz ppe_145.029 zwischen Vorder- und Hinterhaus gezeigt werden oder endlich gar ppe_145.030 verschiedene Städte und Länder, wie Madrid und London in Ferdinand ppe_145.031 Bruckners „Elisabeth“, nebeneinander gerückt sind, so muß ppe_145.032 die Handlung auf dem einen Schauplatz immer aussetzen oder mindestens ppe_145.033 zur Pantomime gedämpft werden, sobald die des anderen das ppe_145.034 Gehör beanspruchen und die Aufmerksamkeit an sich ziehen soll. ppe_145.035 Hier behält das Gesetz des „Successiven“ aus Lessings „Laokoon“ ppe_145.036 sein Recht.
ppe_145.037 Ein anderes Mittel, gleichzeitige Vorgänge auf entlegenen Schauplätzen ppe_145.038 in dramatischen Zusammenhang zu bringen, ist die der ppe_145.039 homerischen Epentechnik entlehnte Mauerschau (Teichoskopie), die ppe_145.040 eine entfernte Begebenheit vom erhöhten Standpunkt eines Turmes ppe_145.041 oder Feldherrnhügels aus wahrnehmen läßt. Sie kann im Gegenwartsstück
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/169>, abgerufen am 22.11.2024.
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