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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Diese Zusammenfassung des Vielfältigen zur Einheit aber macht in ppe_138.002
noch höherem Grade das Wesen der dramatischen Form aus. So ppe_138.003
kommt es, daß vor allem im Drama von einer Fabel zu reden ist. ppe_138.004
Unter den dramatischen Spielarten ist es wiederum die Tragödie, die ppe_138.005
ihre schicksalhafte Wirkung nur in straffstem Handlungszusammenhang ppe_138.006
erreichen kann. Selbst da, wo es von Nebenhandlungen umschlungen ppe_138.007
ist, wie bei Shakespeare, hebt sich das tragische Hauptthema ppe_138.008
der Fabel in ganz prägnanter Problemstellung heraus.

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Aristoteles griff in seiner "Poetik" aus sagenhaften Familienkonflikten ppe_138.010
vier Typen tragischer Fabeln auf, die sich durch das Verhältnis ppe_138.011
von Tat und Bewußtsein, wie von Ansatz und Verwirklichung unterschieden. ppe_138.012
Für den ersten Fall einer wissentlich unternommenen und ppe_138.013
wirklich vollzogenen Tat diente Medea als Beispiel; für den zweiten ppe_138.014
Fall einer wissentlich vollzogenen Tat, deren Bedeutung dem Täter ppe_138.015
erst später bewußt wird, Ödipus; für den dritten Fall, bei dem die ppe_138.016
Tat wissentlich unternommen, aber nicht wirklich vollzogen wird, ppe_138.017
Hämon in der "Antigone", während der letzte Fall einer unwissentlich ppe_138.018
unternommenen, aber wegen rechtzeitiger Erkenntnis nicht verwirklichten ppe_138.019
Tat durch Merope im "Kresphontes" vertreten ist.

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Diese Beispiele antiker Dramenanalyse erschöpfen natürlich keineswegs ppe_138.021
alle Möglichkeiten tragischer Motivverkettung; auch vernachlässigen ppe_138.022
sie ein wesentliches Moment, indem sie die Art der menschlichen ppe_138.023
Bindung, die zwischen den beteiligten Personen besteht, beiseite ppe_138.024
lassen. In einem Punkte aber bleibt der aristotelische Begriff ppe_138.025
der Fabel (myuow) wichtig, nämlich insofern in dieser Ordnung der ppe_138.026
Tatsachen (systasiw tvn pragmatvn) etwas viel Allgemeineres gesehen ppe_138.027
wird als die konkrete stoffliche Gegebenheit. Namen und ppe_138.028
Schauplatz einer Sage gehören nicht zur Fabel; vielmehr besteht diese ppe_138.029
in einer Abstraktion von bestimmten Verhältnissen.

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Lessing in seiner "Hamburgischen Dramaturgie" unterschied demgemäß ppe_138.031
zwischen Fabel und Fakten und kam zu dem Schluß, daß der ppe_138.032
Dichter die Fabel und die damit verbundenen Charaktere unangetastet ppe_138.033
lassen müsse, während er die Fakta, d. h. die historischen und lokalen ppe_138.034
Umstände beliebig verändern dürfe. Fabel bedeutete für ihn also so ppe_138.035
viel wie das seinen äußeren Gegebenheiten, seinem Fleisch und Blut ppe_138.036
entzogene Stoffgerippe. Lessing selbst zog seine Folgerung aus dieser ppe_138.037
Rationalisierung des Fabelbegriffes, indem er die Fabel der Virginia ppe_138.038
transponierte. Das Opfer der Tochter durch den Vater, das in der ppe_138.039
römischen Virginia, wie in der biblischen Tochter Jephtas mit verschiedenen ppe_138.040
Fakten umkleidet war, verpflanzte er aus der römischen ppe_138.041
Republik an einen italienischen Fürstenhof der Neuzeit, und aus der

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Diese Zusammenfassung des Vielfältigen zur Einheit aber macht in ppe_138.002
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Tat durch Merope im „Kresphontes“ vertreten ist.

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Diese Beispiele antiker Dramenanalyse erschöpfen natürlich keineswegs ppe_138.021
alle Möglichkeiten tragischer Motivverkettung; auch vernachlässigen ppe_138.022
sie ein wesentliches Moment, indem sie die Art der menschlichen ppe_138.023
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Lessing in seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ unterschied demgemäß ppe_138.031
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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/162>, abgerufen am 24.11.2024.