Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Nachmittag war sein Gottesdienst gänzlich
Nichts, als eine Unterredung mit dem Volk. Er
stund im Kreis seiner Dorfkinder, denen diese Volks-
Unterredungen zu ihrem Religions-Unterricht die-
nen mußten. Die ganze Gemeinde war in sechs
und zwanzig Abtheilungen abgetheilt; alle Ge-
meindsgenossen mußten jährlich zweymal nach der
Ordnung dieser Abtheilungen, vom ältesten Greisen
an bis zun siebenjährigen Kindern, zum Altar her-
für; er redete dann mit ihnen im Kreis dieser Dorf-
kinder, nach der Form eines von ihm und dem
Lieutenant aufgesezten natürlichen Volks- und
Dorfs-Unterricht, von Gott, den Pflichten und den
Umständen des Lebens. Er trat izt in die Umstän-
de der Leuten, die er genau kannte, hinein; machte
Alte und Junge jede nützliche Erfahrung, die sie
in ihrem Kreis gemacht, erzählen, ließ dann die
andern mit ihnen ins Gespräch eintreten, wie auch
sie an ihrem Plaz die Erfahrungen benutzen, oder
wie auch sie in ihren Kreisen ähnliche Erfahrungen
gemacht haben. --

Es war ihm nichts zu klein. Ein Kind, das
gegen eine Geiß, die ihns gestoßen, vernünftig oder
unvernünftig gehandelt, war eben so gut, als eins,
das das schönste Loblied auf Gott auswendig ge-
lernt, ein Gegenstand seines Religions-Unterrichts,
und mußte so gut von seiner Geiß und seiner Auffüh-

Nachmittag war ſein Gottesdienſt gaͤnzlich
Nichts, als eine Unterredung mit dem Volk. Er
ſtund im Kreis ſeiner Dorfkinder, denen dieſe Volks-
Unterredungen zu ihrem Religions-Unterricht die-
nen mußten. Die ganze Gemeinde war in ſechs
und zwanzig Abtheilungen abgetheilt; alle Ge-
meindsgenoſſen mußten jaͤhrlich zweymal nach der
Ordnung dieſer Abtheilungen, vom aͤlteſten Greiſen
an bis zun ſiebenjaͤhrigen Kindern, zum Altar her-
fuͤr; er redete dann mit ihnen im Kreis dieſer Dorf-
kinder, nach der Form eines von ihm und dem
Lieutenant aufgeſezten natuͤrlichen Volks- und
Dorfs-Unterricht, von Gott, den Pflichten und den
Umſtaͤnden des Lebens. Er trat izt in die Umſtaͤn-
de der Leuten, die er genau kannte, hinein; machte
Alte und Junge jede nuͤtzliche Erfahrung, die ſie
in ihrem Kreis gemacht, erzaͤhlen, ließ dann die
andern mit ihnen ins Geſpraͤch eintreten, wie auch
ſie an ihrem Plaz die Erfahrungen benutzen, oder
wie auch ſie in ihren Kreiſen aͤhnliche Erfahrungen
gemacht haben. —

Es war ihm nichts zu klein. Ein Kind, das
gegen eine Geiß, die ihns geſtoßen, vernuͤnftig oder
unvernuͤnftig gehandelt, war eben ſo gut, als eins,
das das ſchoͤnſte Loblied auf Gott auswendig ge-
lernt, ein Gegenſtand ſeines Religions-Unterrichts,
und mußte ſo gut von ſeiner Geiß und ſeiner Auffuͤh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0366" n="348"/>
        <p>Nachmittag war &#x017F;ein Gottesdien&#x017F;t ga&#x0364;nzlich<lb/>
Nichts, als eine Unterredung mit dem Volk. Er<lb/>
&#x017F;tund im Kreis &#x017F;einer Dorfkinder, denen die&#x017F;e Volks-<lb/>
Unterredungen zu ihrem Religions-Unterricht die-<lb/>
nen mußten. Die ganze Gemeinde war in &#x017F;echs<lb/>
und zwanzig Abtheilungen abgetheilt; alle Ge-<lb/>
meindsgeno&#x017F;&#x017F;en mußten ja&#x0364;hrlich zweymal nach der<lb/>
Ordnung die&#x017F;er Abtheilungen, vom a&#x0364;lte&#x017F;ten Grei&#x017F;en<lb/>
an bis zun &#x017F;iebenja&#x0364;hrigen Kindern, zum Altar her-<lb/>
fu&#x0364;r; er redete dann mit ihnen im Kreis die&#x017F;er Dorf-<lb/>
kinder, nach der Form eines von ihm und dem<lb/>
Lieutenant aufge&#x017F;ezten natu&#x0364;rlichen Volks- und<lb/>
Dorfs-Unterricht, von Gott, den Pflichten und den<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nden des Lebens. Er trat izt in die Um&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
de der Leuten, die er genau kannte, hinein; machte<lb/>
Alte und Junge jede nu&#x0364;tzliche Erfahrung, die &#x017F;ie<lb/>
in ihrem Kreis gemacht, erza&#x0364;hlen, ließ dann die<lb/>
andern mit ihnen ins Ge&#x017F;pra&#x0364;ch eintreten, wie auch<lb/>
&#x017F;ie an ihrem Plaz die Erfahrungen benutzen, oder<lb/>
wie auch &#x017F;ie in ihren Krei&#x017F;en a&#x0364;hnliche Erfahrungen<lb/>
gemacht haben. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Es war ihm nichts zu klein. Ein Kind, das<lb/>
gegen eine Geiß, die ihns ge&#x017F;toßen, vernu&#x0364;nftig oder<lb/>
unvernu&#x0364;nftig gehandelt, war eben &#x017F;o gut, als eins,<lb/>
das das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Loblied auf Gott auswendig ge-<lb/>
lernt, ein Gegen&#x017F;tand &#x017F;eines Religions-Unterrichts,<lb/>
und mußte &#x017F;o gut von &#x017F;einer Geiß und &#x017F;einer Auffu&#x0364;h-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0366] Nachmittag war ſein Gottesdienſt gaͤnzlich Nichts, als eine Unterredung mit dem Volk. Er ſtund im Kreis ſeiner Dorfkinder, denen dieſe Volks- Unterredungen zu ihrem Religions-Unterricht die- nen mußten. Die ganze Gemeinde war in ſechs und zwanzig Abtheilungen abgetheilt; alle Ge- meindsgenoſſen mußten jaͤhrlich zweymal nach der Ordnung dieſer Abtheilungen, vom aͤlteſten Greiſen an bis zun ſiebenjaͤhrigen Kindern, zum Altar her- fuͤr; er redete dann mit ihnen im Kreis dieſer Dorf- kinder, nach der Form eines von ihm und dem Lieutenant aufgeſezten natuͤrlichen Volks- und Dorfs-Unterricht, von Gott, den Pflichten und den Umſtaͤnden des Lebens. Er trat izt in die Umſtaͤn- de der Leuten, die er genau kannte, hinein; machte Alte und Junge jede nuͤtzliche Erfahrung, die ſie in ihrem Kreis gemacht, erzaͤhlen, ließ dann die andern mit ihnen ins Geſpraͤch eintreten, wie auch ſie an ihrem Plaz die Erfahrungen benutzen, oder wie auch ſie in ihren Kreiſen aͤhnliche Erfahrungen gemacht haben. — Es war ihm nichts zu klein. Ein Kind, das gegen eine Geiß, die ihns geſtoßen, vernuͤnftig oder unvernuͤnftig gehandelt, war eben ſo gut, als eins, das das ſchoͤnſte Loblied auf Gott auswendig ge- lernt, ein Gegenſtand ſeines Religions-Unterrichts, und mußte ſo gut von ſeiner Geiß und ſeiner Auffuͤh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/366
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/366>, abgerufen am 03.05.2024.