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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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vom Spiel, nennet sie mit Namen! dann nannte
wer wollte, mit verstellter Stimme den Namen;
und der Meister vom Spiel rief wieder, ists wahr?
saget alle, ists wahr? -- Wenn dann es rings um
tönte, Ja, ja! so mußte der genannte fliehen, da
war keine Gnade -- wenns aber laut ertönte,
Nein, nein! und der Haufen rings um sagte, Klä-
ger du lügst! so durfte der Genannte bleiben, und
machte zur Schadloshaltung den ersten Tanz. --
So wirkte Arner mit den Spielen des Volks, wie
mit dem Ernst seiner Vorsorge. Die Aufseher je-
der Gasse mußten bey der geringsten Spur eines
unehrenvesten abwechselnden Einzugs von jungen
Leuten im Haus einer erwachsenen Person, ihrer
Verwandschaft die Unordnung und Unehrenvestig-
keit ihrer Aufführung anzeigen, und sie von Obrig-
keits wegen auffordern, Sorge zu tragen, daß sie
keine Unehre erleben.

Er kam auf alle Weise der Gedankenlosigkeit
und dem Leichtsinn des Geschlechts in diesem Punkte
vor, und reizte ihre Aufmerksamkeit auf Ehre und
Schande dadurch, daß er beydes ihnen lebhaft und
oft vor Augen stellte.

Das erste Kind einer jeden Ehe hatte seine
Ehrentaufe mit vielen Ceremonien -- der ganze
Haufen von Jünglingen und Töchtern umringten
den Taufstein in ihren Ehrenkleidern; aber sie zähl-

vom Spiel, nennet ſie mit Namen! dann nannte
wer wollte, mit verſtellter Stimme den Namen;
und der Meiſter vom Spiel rief wieder, iſts wahr?
ſaget alle, iſts wahr? — Wenn dann es rings um
toͤnte, Ja, ja! ſo mußte der genannte fliehen, da
war keine Gnade — wenns aber laut ertoͤnte,
Nein, nein! und der Haufen rings um ſagte, Klaͤ-
ger du luͤgſt! ſo durfte der Genannte bleiben, und
machte zur Schadloshaltung den erſten Tanz. —
So wirkte Arner mit den Spielen des Volks, wie
mit dem Ernſt ſeiner Vorſorge. Die Aufſeher je-
der Gaſſe mußten bey der geringſten Spur eines
unehrenveſten abwechſelnden Einzugs von jungen
Leuten im Haus einer erwachſenen Perſon, ihrer
Verwandſchaft die Unordnung und Unehrenveſtig-
keit ihrer Auffuͤhrung anzeigen, und ſie von Obrig-
keits wegen auffordern, Sorge zu tragen, daß ſie
keine Unehre erleben.

Er kam auf alle Weiſe der Gedankenloſigkeit
und dem Leichtſinn des Geſchlechts in dieſem Punkte
vor, und reizte ihre Aufmerkſamkeit auf Ehre und
Schande dadurch, daß er beydes ihnen lebhaft und
oft vor Augen ſtellte.

Das erſte Kind einer jeden Ehe hatte ſeine
Ehrentaufe mit vielen Ceremonien — der ganze
Haufen von Juͤnglingen und Toͤchtern umringten
den Taufſtein in ihren Ehrenkleidern; aber ſie zaͤhl-

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[316/0334] vom Spiel, nennet ſie mit Namen! dann nannte wer wollte, mit verſtellter Stimme den Namen; und der Meiſter vom Spiel rief wieder, iſts wahr? ſaget alle, iſts wahr? — Wenn dann es rings um toͤnte, Ja, ja! ſo mußte der genannte fliehen, da war keine Gnade — wenns aber laut ertoͤnte, Nein, nein! und der Haufen rings um ſagte, Klaͤ- ger du luͤgſt! ſo durfte der Genannte bleiben, und machte zur Schadloshaltung den erſten Tanz. — So wirkte Arner mit den Spielen des Volks, wie mit dem Ernſt ſeiner Vorſorge. Die Aufſeher je- der Gaſſe mußten bey der geringſten Spur eines unehrenveſten abwechſelnden Einzugs von jungen Leuten im Haus einer erwachſenen Perſon, ihrer Verwandſchaft die Unordnung und Unehrenveſtig- keit ihrer Auffuͤhrung anzeigen, und ſie von Obrig- keits wegen auffordern, Sorge zu tragen, daß ſie keine Unehre erleben. Er kam auf alle Weiſe der Gedankenloſigkeit und dem Leichtſinn des Geſchlechts in dieſem Punkte vor, und reizte ihre Aufmerkſamkeit auf Ehre und Schande dadurch, daß er beydes ihnen lebhaft und oft vor Augen ſtellte. Das erſte Kind einer jeden Ehe hatte ſeine Ehrentaufe mit vielen Ceremonien — der ganze Haufen von Juͤnglingen und Toͤchtern umringten den Taufſtein in ihren Ehrenkleidern; aber ſie zaͤhl-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/334>, abgerufen am 28.04.2024.