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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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er ihm seine Sünden verzeihe, und ihm eine selige
Auflösung bescheere; und es hätte ihm nichts ge-
holfen, wenn ich dich auch heut mit ihm geplagt
hätte, du bist ja dein Lebtag lang genug mit ihm
geplagt gewesen. --

In diesem Augenblick sah der Rudi, daß es
das arme Sündergebet auf dem Tisch vor sich
hatte, und sagte ihm, das ist erschrecklich, was
denkst auch? -- Hast du es ihm laut vorgele-
sen? --

Ja freylich, sagte das Weib.

Aber um Gotteswillen! was denkst auch?
Wenn ers noch verstanden, es hat ihm ja müssen
fast das Herz abdrücken.

Nichts wenigers, erwiederte das Mensch --
er hats gar wohl noch verstanden, und mir im An-
fang noch mit dem Kopf dazu genickt -- es sey
recht. --

Der gute Rudi legte den armen Sterbenden
noch, so gut er konnte, zu recht, und seinen Kopf
höher, sprang dann heim, sagte es seiner Braut,
und bat die Hochzeitleute, sie sollen doch aufhören
tanzen, und überall nicht mehr laut thun, er fürch-
te, wann ers noch höre, so könnte es ihm noch
weh thun, und das wär ihm leid.

er ihm ſeine Suͤnden verzeihe, und ihm eine ſelige
Aufloͤſung beſcheere; und es haͤtte ihm nichts ge-
holfen, wenn ich dich auch heut mit ihm geplagt
haͤtte, du biſt ja dein Lebtag lang genug mit ihm
geplagt geweſen. —

In dieſem Augenblick ſah der Rudi, daß es
das arme Suͤndergebet auf dem Tiſch vor ſich
hatte, und ſagte ihm, das iſt erſchrecklich, was
denkſt auch? — Haſt du es ihm laut vorgele-
ſen? —

Ja freylich, ſagte das Weib.

Aber um Gotteswillen! was denkſt auch?
Wenn ers noch verſtanden, es hat ihm ja muͤſſen
faſt das Herz abdruͤcken.

Nichts wenigers, erwiederte das Menſch —
er hats gar wohl noch verſtanden, und mir im An-
fang noch mit dem Kopf dazu genickt — es ſey
recht. —

Der gute Rudi legte den armen Sterbenden
noch, ſo gut er konnte, zu recht, und ſeinen Kopf
hoͤher, ſprang dann heim, ſagte es ſeiner Braut,
und bat die Hochzeitleute, ſie ſollen doch aufhoͤren
tanzen, und uͤberall nicht mehr laut thun, er fuͤrch-
te, wann ers noch hoͤre, ſo koͤnnte es ihm noch
weh thun, und das waͤr ihm leid.

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[244/0262] er ihm ſeine Suͤnden verzeihe, und ihm eine ſelige Aufloͤſung beſcheere; und es haͤtte ihm nichts ge- holfen, wenn ich dich auch heut mit ihm geplagt haͤtte, du biſt ja dein Lebtag lang genug mit ihm geplagt geweſen. — In dieſem Augenblick ſah der Rudi, daß es das arme Suͤndergebet auf dem Tiſch vor ſich hatte, und ſagte ihm, das iſt erſchrecklich, was denkſt auch? — Haſt du es ihm laut vorgele- ſen? — Ja freylich, ſagte das Weib. Aber um Gotteswillen! was denkſt auch? Wenn ers noch verſtanden, es hat ihm ja muͤſſen faſt das Herz abdruͤcken. Nichts wenigers, erwiederte das Menſch — er hats gar wohl noch verſtanden, und mir im An- fang noch mit dem Kopf dazu genickt — es ſey recht. — Der gute Rudi legte den armen Sterbenden noch, ſo gut er konnte, zu recht, und ſeinen Kopf hoͤher, ſprang dann heim, ſagte es ſeiner Braut, und bat die Hochzeitleute, ſie ſollen doch aufhoͤren tanzen, und uͤberall nicht mehr laut thun, er fuͤrch- te, wann ers noch hoͤre, ſo koͤnnte es ihm noch weh thun, und das waͤr ihm leid.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/262>, abgerufen am 07.05.2024.