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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle
Händel haßte, mit denen man nie zu Ende kom-
men konnte; und es war ihm unmöglich, zu glau-
ben, daß das wahre Glück des Menschen von Got-
tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile
gebunden sey, die seit Jahrhunderten zwischen ehrli-
chen Leuten im Streit sind, und ihrer Natur nach
wahrscheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit
bleiben werden. --

Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er
brach ab, so bald er merkte, daß es den Kopf
gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der
Irre herumlaufen, als mit verbundenen -- viel-
leicht -- in ein Paradies kommen.

So schwamm er Jahre lang wie auf den Wel-
len des Meers, fand für sein Herz nirgend kein si-
cheres Ufer -- und suchte zulezt -- kurze Zeit. --

Er fand sie meistens in der Einsamkeit -- saß
Stundenlang einzig in seinem Winkel beym Kamin,
brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf
ganze Stöße Papier in die Flammen, und wenn
sie Aschen waren, sagte er oft, "das, was izt da-
von übrig ist, ist ihre Wahrheit!"

Die Regierungsgeschäfte wurden ihm zur Last,
sie schienen ihm nichts anders als das Treiben eines
Fuhrmanns an einem überladenen Wagen, der

Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle
Haͤndel haßte, mit denen man nie zu Ende kom-
men konnte; und es war ihm unmoͤglich, zu glau-
ben, daß das wahre Gluͤck des Menſchen von Got-
tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile
gebunden ſey, die ſeit Jahrhunderten zwiſchen ehrli-
chen Leuten im Streit ſind, und ihrer Natur nach
wahrſcheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit
bleiben werden. —

Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er
brach ab, ſo bald er merkte, daß es den Kopf
gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der
Irre herumlaufen, als mit verbundenen — viel-
leicht — in ein Paradies kommen.

So ſchwamm er Jahre lang wie auf den Wel-
len des Meers, fand fuͤr ſein Herz nirgend kein ſi-
cheres Ufer — und ſuchte zulezt — kurze Zeit. —

Er fand ſie meiſtens in der Einſamkeit — ſaß
Stundenlang einzig in ſeinem Winkel beym Kamin,
brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf
ganze Stoͤße Papier in die Flammen, und wenn
ſie Aſchen waren, ſagte er oft, „das, was izt da-
von uͤbrig iſt, iſt ihre Wahrheit!„

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ſie ſchienen ihm nichts anders als das Treiben eines
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[155/0173] Auch das lag ihm in der Natur, daß er alle Haͤndel haßte, mit denen man nie zu Ende kom- men konnte; und es war ihm unmoͤglich, zu glau- ben, daß das wahre Gluͤck des Menſchen von Got- tes wegen, an Lehren, Meynungen und Urtheile gebunden ſey, die ſeit Jahrhunderten zwiſchen ehrli- chen Leuten im Streit ſind, und ihrer Natur nach wahrſcheinlich bis ans Ende der Tagen im Streit bleiben werden. — Kurz es war nichts mit ihm zu machen, er brach ab, ſo bald er merkte, daß es den Kopf gelte, und wollte lieber mit offenen Augen in der Irre herumlaufen, als mit verbundenen — viel- leicht — in ein Paradies kommen. So ſchwamm er Jahre lang wie auf den Wel- len des Meers, fand fuͤr ſein Herz nirgend kein ſi- cheres Ufer — und ſuchte zulezt — kurze Zeit. — Er fand ſie meiſtens in der Einſamkeit — ſaß Stundenlang einzig in ſeinem Winkel beym Kamin, brannte oft Feuer bis ihm der Kopf heiß war, warf ganze Stoͤße Papier in die Flammen, und wenn ſie Aſchen waren, ſagte er oft, „das, was izt da- von uͤbrig iſt, iſt ihre Wahrheit!„ Die Regierungsgeſchaͤfte wurden ihm zur Laſt, ſie ſchienen ihm nichts anders als das Treiben eines Fuhrmanns an einem uͤberladenen Wagen, der

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/173>, abgerufen am 25.04.2024.