in allen Gelenken bis an den Rükgrath hinab weh, wenn er darauf zuschlagen sollte; das blosse Sizen auf dem Stuhl machte ihm schon übel, so sehr ist er davon weggekommen. Er hilft sich also wieder mit Leuth betriegen und dem Maul, und sucht den Leuthen die Historie mit dem ge- stohlnen Rokfutter aus zu schwazen, so gut er kann; doch bringter seinen alten Verdienst nicht mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im- mer der jungen Frauen die ihm seine Maular- beit mit Essen und Trinken am besten bezahlt, ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.
Aber überhaupt behagte das neue Wesen allem Volk, das auf Maulsachen und Ein- bildungen viel halt, und hingegen mit den Hän- den und Füssen nichts anstellen kann, gar nicht wohl.
Doch machte die kranke Kienastin hierinn eine Ausnahm, sie hub sich am Rand des Grabs aus den Sümpfen ihres Maullebens, und ih- rer Maulreligion ungläublich empor, und trat jezt völlig mit dem Pfarrer in den Gesichtspunkt ein, daß die Lebenspflichten der Menschen der einzige ächte Lehrmeister ihres wahren Wissens und ihrer besten Erkenntnissen seye.
Es schien auch etliche Tage, als ob man wie- der alle Hoffnung für ihr Aufkommen haben könne; seitdem sie ihre Geiß im Haus hatten, die der gute Junker ihnen gesandt, aß sie alle
Tage
in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab weh, wenn er darauf zuſchlagen ſollte; das bloſſe Sizen auf dem Stuhl machte ihm ſchon uͤbel, ſo ſehr iſt er davon weggekommen. Er hilft ſich alſo wieder mit Leuth betriegen und dem Maul, und ſucht den Leuthen die Hiſtorie mit dem ge- ſtohlnen Rokfutter aus zu ſchwazen, ſo gut er kann; doch bringter ſeinen alten Verdienſt nicht mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im- mer der jungen Frauen die ihm ſeine Maular- beit mit Eſſen und Trinken am beſten bezahlt, ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.
Aber uͤberhaupt behagte das neue Weſen allem Volk, das auf Maulſachen und Ein- bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn- den und Fuͤſſen nichts anſtellen kann, gar nicht wohl.
Doch machte die kranke Kienaſtin hierinn eine Ausnahm, ſie hub ſich am Rand des Grabs aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih- rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Geſichtspunkt ein, daß die Lebenspflichten der Menſchen der einzige aͤchte Lehrmeiſter ihres wahren Wiſſens und ihrer beſten Erkenntniſſen ſeye.
Es ſchien auch etliche Tage, als ob man wie- der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben koͤnne; ſeitdem ſie ihre Geiß im Haus hatten, die der gute Junker ihnen geſandt, aß ſie alle
Tage
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0374"n="352"/>
in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab<lb/>
weh, wenn er darauf zuſchlagen ſollte; das bloſſe<lb/>
Sizen auf dem Stuhl machte ihm ſchon uͤbel,<lb/>ſo ſehr iſt er davon weggekommen. Er hilft ſich<lb/>
alſo wieder mit Leuth betriegen und dem Maul,<lb/>
und ſucht den Leuthen die Hiſtorie mit dem ge-<lb/>ſtohlnen Rokfutter aus zu ſchwazen, ſo gut er<lb/>
kann; doch bringter ſeinen alten Verdienſt nicht<lb/>
mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im-<lb/>
mer der jungen Frauen die ihm ſeine Maular-<lb/>
beit mit Eſſen und Trinken am beſten bezahlt,<lb/>
ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.</p><lb/><p>Aber uͤberhaupt behagte das neue Weſen<lb/>
allem Volk, das auf Maulſachen und Ein-<lb/>
bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn-<lb/>
den und Fuͤſſen nichts anſtellen kann, gar nicht<lb/>
wohl.</p><lb/><p>Doch machte die kranke Kienaſtin hierinn<lb/>
eine Ausnahm, ſie hub ſich am Rand des Grabs<lb/>
aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih-<lb/>
rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat<lb/>
jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Geſichtspunkt<lb/>
ein, daß die Lebenspflichten der Menſchen der<lb/>
einzige aͤchte Lehrmeiſter ihres wahren Wiſſens<lb/>
und ihrer beſten Erkenntniſſen ſeye.</p><lb/><p>Es ſchien auch etliche Tage, als ob man wie-<lb/>
der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben<lb/>
koͤnne; ſeitdem ſie ihre Geiß im Haus hatten,<lb/>
die der gute Junker ihnen geſandt, aß ſie alle<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Tage</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[352/0374]
in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab
weh, wenn er darauf zuſchlagen ſollte; das bloſſe
Sizen auf dem Stuhl machte ihm ſchon uͤbel,
ſo ſehr iſt er davon weggekommen. Er hilft ſich
alſo wieder mit Leuth betriegen und dem Maul,
und ſucht den Leuthen die Hiſtorie mit dem ge-
ſtohlnen Rokfutter aus zu ſchwazen, ſo gut er
kann; doch bringter ſeinen alten Verdienſt nicht
mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im-
mer der jungen Frauen die ihm ſeine Maular-
beit mit Eſſen und Trinken am beſten bezahlt,
ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.
Aber uͤberhaupt behagte das neue Weſen
allem Volk, das auf Maulſachen und Ein-
bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn-
den und Fuͤſſen nichts anſtellen kann, gar nicht
wohl.
Doch machte die kranke Kienaſtin hierinn
eine Ausnahm, ſie hub ſich am Rand des Grabs
aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih-
rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat
jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Geſichtspunkt
ein, daß die Lebenspflichten der Menſchen der
einzige aͤchte Lehrmeiſter ihres wahren Wiſſens
und ihrer beſten Erkenntniſſen ſeye.
Es ſchien auch etliche Tage, als ob man wie-
der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben
koͤnne; ſeitdem ſie ihre Geiß im Haus hatten,
die der gute Junker ihnen geſandt, aß ſie alle
Tage
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/374>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.