Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

in allen Gelenken bis an den Rükgrath hinab
weh, wenn er darauf zuschlagen sollte; das blosse
Sizen auf dem Stuhl machte ihm schon übel,
so sehr ist er davon weggekommen. Er hilft sich
also wieder mit Leuth betriegen und dem Maul,
und sucht den Leuthen die Historie mit dem ge-
stohlnen Rokfutter aus zu schwazen, so gut er
kann; doch bringter seinen alten Verdienst nicht
mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im-
mer der jungen Frauen die ihm seine Maular-
beit mit Essen und Trinken am besten bezahlt,
ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.

Aber überhaupt behagte das neue Wesen
allem Volk, das auf Maulsachen und Ein-
bildungen viel halt, und hingegen mit den Hän-
den und Füssen nichts anstellen kann, gar nicht
wohl.

Doch machte die kranke Kienastin hierinn
eine Ausnahm, sie hub sich am Rand des Grabs
aus den Sümpfen ihres Maullebens, und ih-
rer Maulreligion ungläublich empor, und trat
jezt völlig mit dem Pfarrer in den Gesichtspunkt
ein, daß die Lebenspflichten der Menschen der
einzige ächte Lehrmeister ihres wahren Wissens
und ihrer besten Erkenntnissen seye.

Es schien auch etliche Tage, als ob man wie-
der alle Hoffnung für ihr Aufkommen haben
könne; seitdem sie ihre Geiß im Haus hatten,
die der gute Junker ihnen gesandt, aß sie alle

Tage

in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab
weh, wenn er darauf zuſchlagen ſollte; das bloſſe
Sizen auf dem Stuhl machte ihm ſchon uͤbel,
ſo ſehr iſt er davon weggekommen. Er hilft ſich
alſo wieder mit Leuth betriegen und dem Maul,
und ſucht den Leuthen die Hiſtorie mit dem ge-
ſtohlnen Rokfutter aus zu ſchwazen, ſo gut er
kann; doch bringter ſeinen alten Verdienſt nicht
mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im-
mer der jungen Frauen die ihm ſeine Maular-
beit mit Eſſen und Trinken am beſten bezahlt,
ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.

Aber uͤberhaupt behagte das neue Weſen
allem Volk, das auf Maulſachen und Ein-
bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn-
den und Fuͤſſen nichts anſtellen kann, gar nicht
wohl.

Doch machte die kranke Kienaſtin hierinn
eine Ausnahm, ſie hub ſich am Rand des Grabs
aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih-
rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat
jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Geſichtspunkt
ein, daß die Lebenspflichten der Menſchen der
einzige aͤchte Lehrmeiſter ihres wahren Wiſſens
und ihrer beſten Erkenntniſſen ſeye.

Es ſchien auch etliche Tage, als ob man wie-
der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben
koͤnne; ſeitdem ſie ihre Geiß im Haus hatten,
die der gute Junker ihnen geſandt, aß ſie alle

Tage
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0374" n="352"/>
in allen Gelenken bis an den Ru&#x0364;kgrath hinab<lb/>
weh, wenn er darauf zu&#x017F;chlagen &#x017F;ollte; das blo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Sizen auf dem Stuhl machte ihm &#x017F;chon u&#x0364;bel,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr i&#x017F;t er davon weggekommen. Er hilft &#x017F;ich<lb/>
al&#x017F;o wieder mit Leuth betriegen und dem Maul,<lb/>
und &#x017F;ucht den Leuthen die Hi&#x017F;torie mit dem ge-<lb/>
&#x017F;tohlnen Rokfutter aus zu &#x017F;chwazen, &#x017F;o gut er<lb/>
kann; doch bringter &#x017F;einen alten Verdien&#x017F;t nicht<lb/>
mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im-<lb/>
mer der jungen Frauen die ihm &#x017F;eine Maular-<lb/>
beit mit E&#x017F;&#x017F;en und Trinken am be&#x017F;ten bezahlt,<lb/>
ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein.</p><lb/>
        <p>Aber u&#x0364;berhaupt behagte das neue We&#x017F;en<lb/>
allem Volk, das auf Maul&#x017F;achen und Ein-<lb/>
bildungen viel halt, und hingegen mit den Ha&#x0364;n-<lb/>
den und Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nichts an&#x017F;tellen kann, gar nicht<lb/>
wohl.</p><lb/>
        <p>Doch machte die kranke Kiena&#x017F;tin hierinn<lb/>
eine Ausnahm, &#x017F;ie hub &#x017F;ich am Rand des Grabs<lb/>
aus den Su&#x0364;mpfen ihres Maullebens, und ih-<lb/>
rer Maulreligion ungla&#x0364;ublich empor, und trat<lb/>
jezt vo&#x0364;llig mit dem Pfarrer in den Ge&#x017F;ichtspunkt<lb/>
ein, daß die Lebenspflichten der Men&#x017F;chen der<lb/>
einzige a&#x0364;chte Lehrmei&#x017F;ter ihres wahren Wi&#x017F;&#x017F;ens<lb/>
und ihrer be&#x017F;ten Erkenntni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eye.</p><lb/>
        <p>Es &#x017F;chien auch etliche Tage, als ob man wie-<lb/>
der alle Hoffnung fu&#x0364;r ihr Aufkommen haben<lb/>
ko&#x0364;nne; &#x017F;eitdem &#x017F;ie ihre Geiß im Haus hatten,<lb/>
die der gute Junker ihnen ge&#x017F;andt, aß &#x017F;ie alle<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Tage</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0374] in allen Gelenken bis an den Ruͤkgrath hinab weh, wenn er darauf zuſchlagen ſollte; das bloſſe Sizen auf dem Stuhl machte ihm ſchon uͤbel, ſo ſehr iſt er davon weggekommen. Er hilft ſich alſo wieder mit Leuth betriegen und dem Maul, und ſucht den Leuthen die Hiſtorie mit dem ge- ſtohlnen Rokfutter aus zu ſchwazen, ſo gut er kann; doch bringter ſeinen alten Verdienſt nicht mehr auf den Zehnden. Auch darf er noch im- mer der jungen Frauen die ihm ſeine Maular- beit mit Eſſen und Trinken am beſten bezahlt, ihres Manns halber, nicht ins Haus hinein. Aber uͤberhaupt behagte das neue Weſen allem Volk, das auf Maulſachen und Ein- bildungen viel halt, und hingegen mit den Haͤn- den und Fuͤſſen nichts anſtellen kann, gar nicht wohl. Doch machte die kranke Kienaſtin hierinn eine Ausnahm, ſie hub ſich am Rand des Grabs aus den Suͤmpfen ihres Maullebens, und ih- rer Maulreligion unglaͤublich empor, und trat jezt voͤllig mit dem Pfarrer in den Geſichtspunkt ein, daß die Lebenspflichten der Menſchen der einzige aͤchte Lehrmeiſter ihres wahren Wiſſens und ihrer beſten Erkenntniſſen ſeye. Es ſchien auch etliche Tage, als ob man wie- der alle Hoffnung fuͤr ihr Aufkommen haben koͤnne; ſeitdem ſie ihre Geiß im Haus hatten, die der gute Junker ihnen geſandt, aß ſie alle Tage

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/374
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/374>, abgerufen am 11.05.2024.