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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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mußte nicht wahr seyn, wenn du den Die-
ben in deinem Haus ertaptest, mußtest du
ihn noch um Verzeihung bitten, daß du ihn
verklagt.

Daher entstuhnd aber, daß sich Jedermann
selber Recht zu verschaffen suchte. Es sind
mehrere Personen auf den Tod geschlagen
worden, weil man sich scheuete, sie am Rech-
ten anzugreiffen, und der Krummholzer ist
unter der Last seiner gestohlenen Trauben aus
gleichem Grund erstikt, -- der Leutold und
der alte Hügi, die ihn in ihrem Weinberg
antrafen, stießen ihn mit der Tause (Bütte)
die Stuffen ihres Weinberges hinunter --
sie hörten ihn unten an den Stuffen um
Hilf rufen, aber sie ließen ihn liegen, weil
sie keinen Prozeß mit ihm wollten, und
fürchteten, er erkenne sie, wenn sie ihm zu
Hilfe kämen, und dann helfe ihm der Vogt
erlaugnen, daß er ihnen Trauben gestohlen.

Es war auch sicher fast in keinem Fall
mehr möglich, das gröste Unrecht, das man
litt, zu erweisen; -- er lenkte das Recht
wohin er wollte, -- Wahrheit oder Lügen
war gleich viel, -- was er wollte war,
Ja! -- und was er nicht wollte war, Nein!
Was im Verborgnen geredt worden, ward,
wenn er daran sezte, ausgeforscht; und
was an offener Gemeind geredt worden,

ward

mußte nicht wahr ſeyn, wenn du den Die-
ben in deinem Haus ertapteſt, mußteſt du
ihn noch um Verzeihung bitten, daß du ihn
verklagt.

Daher entſtuhnd aber, daß ſich Jedermañ
ſelber Recht zu verſchaffen ſuchte. Es ſind
mehrere Perſonen auf den Tod geſchlagen
worden, weil man ſich ſcheuete, ſie am Rech-
ten anzugreiffen, und der Krummholzer iſt
unter der Laſt ſeiner geſtohlenen Trauben aus
gleichem Grund erſtikt, — der Leutold und
der alte Huͤgi, die ihn in ihrem Weinberg
antrafen, ſtießen ihn mit der Tauſe (Buͤtte)
die Stuffen ihres Weinberges hinunter —
ſie hoͤrten ihn unten an den Stuffen um
Hilf rufen, aber ſie ließen ihn liegen, weil
ſie keinen Prozeß mit ihm wollten, und
fuͤrchteten, er erkenne ſie, wenn ſie ihm zu
Hilfe kaͤmen, und dann helfe ihm der Vogt
erlaugnen, daß er ihnen Trauben geſtohlen.

Es war auch ſicher faſt in keinem Fall
mehr moͤglich, das groͤſte Unrecht, das man
litt, zu erweiſen; — er lenkte das Recht
wohin er wollte, — Wahrheit oder Luͤgen
war gleich viel, — was er wollte war,
Ja! — und was er nicht wollte war, Nein!
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[287/0305] mußte nicht wahr ſeyn, wenn du den Die- ben in deinem Haus ertapteſt, mußteſt du ihn noch um Verzeihung bitten, daß du ihn verklagt. Daher entſtuhnd aber, daß ſich Jedermañ ſelber Recht zu verſchaffen ſuchte. Es ſind mehrere Perſonen auf den Tod geſchlagen worden, weil man ſich ſcheuete, ſie am Rech- ten anzugreiffen, und der Krummholzer iſt unter der Laſt ſeiner geſtohlenen Trauben aus gleichem Grund erſtikt, — der Leutold und der alte Huͤgi, die ihn in ihrem Weinberg antrafen, ſtießen ihn mit der Tauſe (Buͤtte) die Stuffen ihres Weinberges hinunter — ſie hoͤrten ihn unten an den Stuffen um Hilf rufen, aber ſie ließen ihn liegen, weil ſie keinen Prozeß mit ihm wollten, und fuͤrchteten, er erkenne ſie, wenn ſie ihm zu Hilfe kaͤmen, und dann helfe ihm der Vogt erlaugnen, daß er ihnen Trauben geſtohlen. Es war auch ſicher faſt in keinem Fall mehr moͤglich, das groͤſte Unrecht, das man litt, zu erweiſen; — er lenkte das Recht wohin er wollte, — Wahrheit oder Luͤgen war gleich viel, — was er wollte war, Ja! — und was er nicht wollte war, Nein! Was im Verborgnen geredt worden, ward, wenn er daran ſezte, ausgeforſcht; und was an offener Gemeind geredt worden, ward

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/305>, abgerufen am 25.11.2024.