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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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den. Sie meynte immer, es geschähe ihr
zu kurz, und jedermann sollte mehr an ihr
thun.

So kam Trägheit und Leichtsinn und Lie-
derlichkeit durch das Beyspiel des Vaters,
und Lieblosigkeit, Undank und ein anmaßli-
ches Wesen durch die Fehler der Mutter in
das Herz des Kindes.

Er konnte dir im vierten und fünften Jahr
ein Maul und ein paar Augen machen, daß
sich ein rechter Vater und eine rechte Mut-
ter drob b'segnen würden, wenn sie ein
Kind von diesem Alter so ein Gesicht machen
sähen.

Er war in diesem Alter im Stand den
Kopf aufzusezen, und bey Stunden kein
Wort zu reden, wenn man ihm nicht im
Augenblik that, was er gern wollte, und
du möchtest ihm noch so lieb gewesen seyn,
so zeigte er den Schalk gegen dir, wenn es
ihm in den Kopf kam, wie wenn er dich
immer gehasset hätte.

Er gab Antworten, und sagte Sachen,
die unter ehrlichen Leuten einem Kinde nicht
zum Munde heraus gehen dörften. Die
armen Eltern lachten über seine frechsten Ant-
worten, glaubten, daß sie seinen Verstand
zeigten, und dachten nicht, daß Frechheit
und Schamlosigkeit einem Menschen seinen

Ver-

den. Sie meynte immer, es geſchaͤhe ihr
zu kurz, und jedermann ſollte mehr an ihr
thun.

So kam Traͤgheit und Leichtſinn und Lie-
derlichkeit durch das Beyſpiel des Vaters,
und Liebloſigkeit, Undank und ein anmaßli-
ches Weſen durch die Fehler der Mutter in
das Herz des Kindes.

Er koñte dir im vierten und fuͤnften Jahr
ein Maul und ein paar Augen machen, daß
ſich ein rechter Vater und eine rechte Mut-
ter drob b'ſegnen wuͤrden, wenn ſie ein
Kind von dieſem Alter ſo ein Geſicht machen
ſaͤhen.

Er war in dieſem Alter im Stand den
Kopf aufzuſezen, und bey Stunden kein
Wort zu reden, wenn man ihm nicht im
Augenblik that, was er gern wollte, und
du moͤchteſt ihm noch ſo lieb geweſen ſeyn,
ſo zeigte er den Schalk gegen dir, wenn es
ihm in den Kopf kam, wie wenn er dich
immer gehaſſet haͤtte.

Er gab Antworten, und ſagte Sachen,
die unter ehrlichen Leuten einem Kinde nicht
zum Munde heraus gehen doͤrften. Die
armen Eltern lachten uͤber ſeine frechſten Ant-
worten, glaubten, daß ſie ſeinen Verſtand
zeigten, und dachten nicht, daß Frechheit
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[248/0266] den. Sie meynte immer, es geſchaͤhe ihr zu kurz, und jedermann ſollte mehr an ihr thun. So kam Traͤgheit und Leichtſinn und Lie- derlichkeit durch das Beyſpiel des Vaters, und Liebloſigkeit, Undank und ein anmaßli- ches Weſen durch die Fehler der Mutter in das Herz des Kindes. Er koñte dir im vierten und fuͤnften Jahr ein Maul und ein paar Augen machen, daß ſich ein rechter Vater und eine rechte Mut- ter drob b'ſegnen wuͤrden, wenn ſie ein Kind von dieſem Alter ſo ein Geſicht machen ſaͤhen. Er war in dieſem Alter im Stand den Kopf aufzuſezen, und bey Stunden kein Wort zu reden, wenn man ihm nicht im Augenblik that, was er gern wollte, und du moͤchteſt ihm noch ſo lieb geweſen ſeyn, ſo zeigte er den Schalk gegen dir, wenn es ihm in den Kopf kam, wie wenn er dich immer gehaſſet haͤtte. Er gab Antworten, und ſagte Sachen, die unter ehrlichen Leuten einem Kinde nicht zum Munde heraus gehen doͤrften. Die armen Eltern lachten uͤber ſeine frechſten Ant- worten, glaubten, daß ſie ſeinen Verſtand zeigten, und dachten nicht, daß Frechheit und Schamloſigkeit einem Menſchen ſeinen Ver-

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/266>, abgerufen am 25.11.2024.