sie vor Freuden nicht reden konnte: Eine Weile wainten beyde mit einander, und es gieng recht lang, eh Eines das Andre nur fragen konnte, wie es ihm auch gegangen.
Nach und nach aber erhollten sie sich, u. erzählten dann fast die ganze Nacht durch ein- ander, was vorgefallen.
Zuerst sagte der Vogt, wie gut der Pfar- rer mit ihm sey, und wie gern er ihn diese Nacht heim gelassen: dann fragte er bald darauf: "Aber wie gehts auch dir, Frau? du hast diese zehn Tage so gar abgenoh- men."
Sie antwortete: "Wie könnte es auch an- derst seyn? wenns nur Gotts Will ist, daß er mich bald zu sich nihmt."
Vogt. Wünsch doch das nicht: Es geht wills Gott, von nun an besser.
Vögtin. O Mann! ich wünsche es für dich und mich von Herzen, und mag dir den Kopf nicht groß machen: Aber vom Besser- gehen mag ich auch nicht hören -- Unsre Zeit ist vorüber, und was uns vorsteht, ist Jammer und Elend.
Vogt. Jch weiß es -- Aber wir wol- len auf Gott trauen, und mit Geduld tra- gen, was er uns zu tragen giebt.
Vögtin. Verblende dich doch nicht immer, und glaube nicht, daß du jemals etwas ge- duldig tragen werdest, was dich schwer dünkt.
ſie vor Freuden nicht reden konnte: Eine Weile wainten beyde mit einander, und es gieng recht lang, eh Eines das Andre nur fragen konnte, wie es ihm auch gegangen.
Nach und nach aber erhollten ſie ſich, u. erzaͤhlten dann faſt die ganze Nacht durch ein- ander, was vorgefallen.
Zuerſt ſagte der Vogt, wie gut der Pfar- rer mit ihm ſey, und wie gern er ihn dieſe Nacht heim gelaſſen: dann fragte er bald darauf: „Aber wie gehts auch dir, Frau? du haſt dieſe zehn Tage ſo gar abgenoh- men.“
Sie antwortete: „Wie koͤnnte es auch an- derſt ſeyn? wenns nur Gotts Will iſt, daß er mich bald zu ſich nihmt.“
Vogt. Wuͤnſch doch das nicht: Es geht wills Gott, von nun an beſſer.
Voͤgtin. O Mann! ich wuͤnſche es fuͤr dich und mich von Herzen, und mag dir den Kopf nicht groß machen: Aber vom Beſſer- gehen mag ich auch nicht hoͤren — Unſre Zeit iſt voruͤber, und was uns vorſteht, iſt Jammer und Elend.
Vogt. Jch weiß es — Aber wir wol- len auf Gott trauen, und mit Geduld tra- gen, was er uns zu tragen giebt.
Voͤgtin. Verblende dich doch nicht im̃er, und glaube nicht, daß du jemals etwas ge- duldig tragen werdeſt, was dich ſchwer duͤnkt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0124"n="106"/>ſie vor Freuden nicht reden konnte: Eine<lb/>
Weile wainten beyde mit einander, und es<lb/>
gieng recht lang, eh Eines das Andre nur<lb/>
fragen konnte, wie es ihm auch gegangen.</p><lb/><p>Nach und nach aber erhollten ſie ſich, u.<lb/>
erzaͤhlten dann faſt die ganze Nacht durch ein-<lb/>
ander, was vorgefallen.</p><lb/><p>Zuerſt ſagte der Vogt, wie gut der Pfar-<lb/>
rer mit ihm ſey, und wie gern er ihn dieſe<lb/>
Nacht heim gelaſſen: dann fragte er bald<lb/>
darauf: „Aber wie gehts auch dir, Frau?<lb/>
du haſt dieſe zehn Tage ſo gar abgenoh-<lb/>
men.“</p><lb/><p>Sie antwortete: „Wie koͤnnte es auch an-<lb/>
derſt ſeyn? wenns nur Gotts Will iſt, daß<lb/>
er mich bald zu ſich nihmt.“</p><lb/><p><hirendition="#fr">Vogt.</hi> Wuͤnſch doch das nicht: Es geht<lb/>
wills Gott, von nun an beſſer.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Voͤgtin.</hi> O Mann! ich wuͤnſche es fuͤr<lb/>
dich und mich von Herzen, und mag dir den<lb/>
Kopf nicht groß machen: Aber vom Beſſer-<lb/>
gehen mag ich auch nicht hoͤren — Unſre<lb/>
Zeit iſt voruͤber, und was uns vorſteht, iſt<lb/>
Jammer und Elend.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Vogt.</hi> Jch weiß es — Aber wir wol-<lb/>
len auf Gott trauen, und mit Geduld tra-<lb/>
gen, was er uns zu tragen giebt.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Voͤgtin.</hi> Verblende dich doch nicht im̃er,<lb/>
und glaube nicht, daß du jemals etwas ge-<lb/>
duldig tragen werdeſt, was dich ſchwer duͤnkt.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[106/0124]
ſie vor Freuden nicht reden konnte: Eine
Weile wainten beyde mit einander, und es
gieng recht lang, eh Eines das Andre nur
fragen konnte, wie es ihm auch gegangen.
Nach und nach aber erhollten ſie ſich, u.
erzaͤhlten dann faſt die ganze Nacht durch ein-
ander, was vorgefallen.
Zuerſt ſagte der Vogt, wie gut der Pfar-
rer mit ihm ſey, und wie gern er ihn dieſe
Nacht heim gelaſſen: dann fragte er bald
darauf: „Aber wie gehts auch dir, Frau?
du haſt dieſe zehn Tage ſo gar abgenoh-
men.“
Sie antwortete: „Wie koͤnnte es auch an-
derſt ſeyn? wenns nur Gotts Will iſt, daß
er mich bald zu ſich nihmt.“
Vogt. Wuͤnſch doch das nicht: Es geht
wills Gott, von nun an beſſer.
Voͤgtin. O Mann! ich wuͤnſche es fuͤr
dich und mich von Herzen, und mag dir den
Kopf nicht groß machen: Aber vom Beſſer-
gehen mag ich auch nicht hoͤren — Unſre
Zeit iſt voruͤber, und was uns vorſteht, iſt
Jammer und Elend.
Vogt. Jch weiß es — Aber wir wol-
len auf Gott trauen, und mit Geduld tra-
gen, was er uns zu tragen giebt.
Voͤgtin. Verblende dich doch nicht im̃er,
und glaube nicht, daß du jemals etwas ge-
duldig tragen werdeſt, was dich ſchwer duͤnkt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/124>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.