del; denn der Pfarrer hatte unter den Armen viele Freunde; aber den grössern Bauern war er desto verhaßter, besonders seit dem er sich in einer Mor- genpredigt erklärt, es sey nicht recht, daß sie sich der Vertheilung eines elenden Waidgangs, welche der Junker zum Vortheil der Armen betreibe, wi- dersetzten.
Der Ehegaumer Hartknopf aber nahm den Ruf an, und sprach: Ihr berichtet mich zwar spät, doch will ich auf den Vortrag studieren; und er gieng von den Bauern weg in sein Haus, und stu- dierte den Vortrag vom Morgen bis an den Abend, da es zur Gemeind läutete. Da aber jezt die Ver- schwornen fast alle bey einander waren, wunderten sie sich, warum der Hartknopf nicht käme, und wußten nicht, wo es fehlte. Da sagte ihnen Ni- ckel Spitz: Es fehlt wahrlich nirgends, als daß er wartet, bis ihr ihn abholet.
Was ist zu machen, sagten die Bauern, wir müssen dem Narren uns wohl unterziehen, sonst kömmt er nicht.
Und sie sandten drey Richter, ihn abzuholen; diese kamen dann bald wieder mit ihm zurück.
Und der Ehegaumer grüßte die Bauern so gra- vitätisch, wie ein Pfarrer, und versicherte die Vor- gesetzten und Verschwornen, die um ihn herum stuhnden, leis und bedenklich, er habe nun den Vor- trag studiert.
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del; denn der Pfarrer hatte unter den Armen viele Freunde; aber den groͤſſern Bauern war er deſto verhaßter, beſonders ſeit dem er ſich in einer Mor- genpredigt erklaͤrt, es ſey nicht recht, daß ſie ſich der Vertheilung eines elenden Waidgangs, welche der Junker zum Vortheil der Armen betreibe, wi- derſetzten.
Der Ehegaumer Hartknopf aber nahm den Ruf an, und ſprach: Ihr berichtet mich zwar ſpaͤt, doch will ich auf den Vortrag ſtudieren; und er gieng von den Bauern weg in ſein Haus, und ſtu- dierte den Vortrag vom Morgen bis an den Abend, da es zur Gemeind laͤutete. Da aber jezt die Ver- ſchwornen faſt alle bey einander waren, wunderten ſie ſich, warum der Hartknopf nicht kaͤme, und wußten nicht, wo es fehlte. Da ſagte ihnen Ni- ckel Spitz: Es fehlt wahrlich nirgends, als daß er wartet, bis ihr ihn abholet.
Was iſt zu machen, ſagten die Bauern, wir muͤſſen dem Narren uns wohl unterziehen, ſonſt koͤmmt er nicht.
Und ſie ſandten drey Richter, ihn abzuholen; dieſe kamen dann bald wieder mit ihm zuruͤck.
Und der Ehegaumer gruͤßte die Bauern ſo gra- vitaͤtiſch, wie ein Pfarrer, und verſicherte die Vor- geſetzten und Verſchwornen, die um ihn herum ſtuhnden, leis und bedenklich, er habe nun den Vor- trag ſtudiert.
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del; denn der Pfarrer hatte unter den Armen viele
Freunde; aber den groͤſſern Bauern war er deſto
verhaßter, beſonders ſeit dem er ſich in einer Mor-
genpredigt erklaͤrt, es ſey nicht recht, daß ſie ſich
der Vertheilung eines elenden Waidgangs, welche
der Junker zum Vortheil der Armen betreibe, wi-
derſetzten.
Der Ehegaumer Hartknopf aber nahm den Ruf
an, und ſprach: Ihr berichtet mich zwar ſpaͤt,
doch will ich auf den Vortrag ſtudieren; und er
gieng von den Bauern weg in ſein Haus, und ſtu-
dierte den Vortrag vom Morgen bis an den Abend,
da es zur Gemeind laͤutete. Da aber jezt die Ver-
ſchwornen faſt alle bey einander waren, wunderten
ſie ſich, warum der Hartknopf nicht kaͤme, und
wußten nicht, wo es fehlte. Da ſagte ihnen Ni-
ckel Spitz: Es fehlt wahrlich nirgends, als daß er
wartet, bis ihr ihn abholet.
Was iſt zu machen, ſagten die Bauern, wir
muͤſſen dem Narren uns wohl unterziehen, ſonſt
koͤmmt er nicht.
Und ſie ſandten drey Richter, ihn abzuholen;
dieſe kamen dann bald wieder mit ihm zuruͤck.
Und der Ehegaumer gruͤßte die Bauern ſo gra-
vitaͤtiſch, wie ein Pfarrer, und verſicherte die Vor-
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ſtuhnden, leis und bedenklich, er habe nun den Vor-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/370>, abgerufen am 25.11.2024.
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