Marx. Bey meiner Frauen sel. Schwester, sie essen da zu Mittag.
Vogt. Es war mir, ich hörte eben in der Kam- mer Kinder schreyen.
Marx. Es ist kein einziges bey Hause.
Der Vogt hört das Geschrey noch einmal, öffnet ohne Complimenten die Kammerthüre, sieht die fast nackenden Kinder, von Wind, Regen und Schnee, die in die Kammer hinein stürmen, zit- ternd und schlotternd, daß sie fast nicht reden konn- ten, und sagt dann:
Essen deine Kinder da zu Mittag, Marx? -- Du bist ein Hund und ein Heuchler, und du hast das um deines verdammten Hochmuths willen schon mehr so gemacht.
Marx. Um Gottes willen! sag es doch Nie- mand, bring mir's doch nicht aus, Vogt! Um Gottes willen! unter der Sonne wäre kein un- glücklicherer Mensch als ich, wenn's mir auskäme.
Vogt. Bist du denn auch von Sinnen? Auch jetzo sagst du nicht einmal, daß sie aus dem Hunds- stall heraus kommen sollen. Siehest du denn auch nicht, daß sie braun und blau sind vor Frieren? So würde ich einmal meinen Budel nicht ein- sperren.
Marx. Kommet jezt nur heraus; aber Vogt! um Gottes willen! sag's doch Niemand.
Vogt.
Marx. Bey meiner Frauen ſel. Schweſter, ſie eſſen da zu Mittag.
Vogt. Es war mir, ich hoͤrte eben in der Kam- mer Kinder ſchreyen.
Marx. Es iſt kein einziges bey Hauſe.
Der Vogt hoͤrt das Geſchrey noch einmal, oͤffnet ohne Complimenten die Kammerthuͤre, ſieht die faſt nackenden Kinder, von Wind, Regen und Schnee, die in die Kammer hinein ſtuͤrmen, zit- ternd und ſchlotternd, daß ſie faſt nicht reden konn- ten, und ſagt dann:
Eſſen deine Kinder da zu Mittag, Marx? — Du biſt ein Hund und ein Heuchler, und du haſt das um deines verdammten Hochmuths willen ſchon mehr ſo gemacht.
Marx. Um Gottes willen! ſag es doch Nie- mand, bring mir’s doch nicht aus, Vogt! Um Gottes willen! unter der Sonne waͤre kein un- gluͤcklicherer Menſch als ich, wenn’s mir auskaͤme.
Vogt. Biſt du denn auch von Sinnen? Auch jetzo ſagſt du nicht einmal, daß ſie aus dem Hunds- ſtall heraus kommen ſollen. Sieheſt du denn auch nicht, daß ſie braun und blau ſind vor Frieren? So wuͤrde ich einmal meinen Budel nicht ein- ſperren.
Marx. Kommet jezt nur heraus; aber Vogt! um Gottes willen! ſag’s doch Niemand.
Vogt.
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Marx. Bey meiner Frauen ſel. Schweſter,
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Vogt. Es war mir, ich hoͤrte eben in der Kam-
mer Kinder ſchreyen.
Marx. Es iſt kein einziges bey Hauſe.
Der Vogt hoͤrt das Geſchrey noch einmal,
oͤffnet ohne Complimenten die Kammerthuͤre, ſieht
die faſt nackenden Kinder, von Wind, Regen und
Schnee, die in die Kammer hinein ſtuͤrmen, zit-
ternd und ſchlotternd, daß ſie faſt nicht reden konn-
ten, und ſagt dann:
Eſſen deine Kinder da zu Mittag, Marx? —
Du biſt ein Hund und ein Heuchler, und du haſt das
um deines verdammten Hochmuths willen ſchon
mehr ſo gemacht.
Marx. Um Gottes willen! ſag es doch Nie-
mand, bring mir’s doch nicht aus, Vogt! Um
Gottes willen! unter der Sonne waͤre kein un-
gluͤcklicherer Menſch als ich, wenn’s mir auskaͤme.
Vogt. Biſt du denn auch von Sinnen? Auch
jetzo ſagſt du nicht einmal, daß ſie aus dem Hunds-
ſtall heraus kommen ſollen. Sieheſt du denn auch
nicht, daß ſie braun und blau ſind vor Frieren?
So wuͤrde ich einmal meinen Budel nicht ein-
ſperren.
Marx. Kommet jezt nur heraus; aber Vogt!
um Gottes willen! ſag’s doch Niemand.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/161>, abgerufen am 16.02.2025.
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