Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Das Alter des Menschengeschlechtes. Küchenabfällen (Kjökkenmöddingern) erhalten haben. Unter diesenNahrungsresten wurden Steingeräthe mit rohen Bruchflächen, sel- tener geschliffne, dann Scherben von irdnem Geschirr, die Reste des Hundes als Hausthier, endlich sogar ein Spinnwirtel, dagegen keine Spuren von ausgestorbnen Thieren des Diluvium gefunden. Zur Zeit ihrer Anhäufungen übten daher jene Muschelesser noch nicht die Kunst oder fingen erst an den Feuerstein zu glätten. Einen bessern Begriff von dem Alterthum jener Muschelbänke er- weckt der Umstand, dass damals Jütland und die dänischen Inseln mit Fichtenwäldern bedeckt waren. Zur Zeit als die Einwohner Bronzegeräthe sich verschafft hatten, verschwanden die Nadelhölzer und Eichen herrschten an ihrer Stelle. Seit der Bronzezeit aber sind auch die Eichenwälder nach und nach durch die Buche ver- drängt worden, deren Waldbestände jetzt fast ausschliesslich jenes Gebiet bedecken. Die Küchenreste enthalten aber Knochen des Auerhahnes, der sich von Fichtensprossen nährt und die Gegen- wart von Nadelhölzern voraussetzt. Es hat also jener Erdraum seit der Zeit der muschelessenden Strandbewohner zweimal seine Pflanzen- tracht verändert, wozu gewiss jedesmal Jahrtausende gehörten 1). Diess bestätigt auch das Vorkommen von Austerschalen in den dänischen Küchenabfällen, denn die Auster gedeiht jetzt in der Ostsee nicht mehr, wegen des geringen Salzgehaltes dieses Golfes. Folglich mussten damals Strömungen der nördlichen Oceane durch viel grössere Pforten als die gegenwärtigen Sunde bis zu den dä- nischen Inseln gelangt sein. Zu den jüngsten Resten des vorgeschichtlichen Alterthums ge- 1) Sir Charles Lyell, Antiquity of Man. London 1863. p. 9--17. 2) Der Golf von Maracaibo wurde von den ersten Entdeckern Golf von
Venedig genannt, weil ein indianisches Pfahldorf am Eingange zuvor den Namen Venezuela empfangen hatte. (S. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen S. 313.) Noch bis auf den heutigen Tag werden Wohnungen auf Pfählen mitten im Maracaibogolfe errichtet. (Ramon Paez, Wild Scenes in South America p. 392.) Ueber die papuanischen Pfahldörfer vgl. Wallace, der malayische Archipel. Braunschweig 1869. Bd. 2. S. 282. und über Bruni s. Spenser St. John. Life in the Far East. London 1862. tom. I, p. 89. Das Alter des Menschengeschlechtes. Küchenabfällen (Kjökkenmöddingern) erhalten haben. Unter diesenNahrungsresten wurden Steingeräthe mit rohen Bruchflächen, sel- tener geschliffne, dann Scherben von irdnem Geschirr, die Reste des Hundes als Hausthier, endlich sogar ein Spinnwirtel, dagegen keine Spuren von ausgestorbnen Thieren des Diluvium gefunden. Zur Zeit ihrer Anhäufungen übten daher jene Muschelesser noch nicht die Kunst oder fingen erst an den Feuerstein zu glätten. Einen bessern Begriff von dem Alterthum jener Muschelbänke er- weckt der Umstand, dass damals Jütland und die dänischen Inseln mit Fichtenwäldern bedeckt waren. Zur Zeit als die Einwohner Bronzegeräthe sich verschafft hatten, verschwanden die Nadelhölzer und Eichen herrschten an ihrer Stelle. Seit der Bronzezeit aber sind auch die Eichenwälder nach und nach durch die Buche ver- drängt worden, deren Waldbestände jetzt fast ausschliesslich jenes Gebiet bedecken. Die Küchenreste enthalten aber Knochen des Auerhahnes, der sich von Fichtensprossen nährt und die Gegen- wart von Nadelhölzern voraussetzt. Es hat also jener Erdraum seit der Zeit der muschelessenden Strandbewohner zweimal seine Pflanzen- tracht verändert, wozu gewiss jedesmal Jahrtausende gehörten 1). Diess bestätigt auch das Vorkommen von Austerschalen in den dänischen Küchenabfällen, denn die Auster gedeiht jetzt in der Ostsee nicht mehr, wegen des geringen Salzgehaltes dieses Golfes. Folglich mussten damals Strömungen der nördlichen Oceane durch viel grössere Pforten als die gegenwärtigen Sunde bis zu den dä- nischen Inseln gelangt sein. Zu den jüngsten Resten des vorgeschichtlichen Alterthums ge- 1) Sir Charles Lyell, Antiquity of Man. London 1863. p. 9—17. 2) Der Golf von Maracaibo wurde von den ersten Entdeckern Golf von
Venedig genannt, weil ein indianisches Pfahldorf am Eingange zuvor den Namen Venezuela empfangen hatte. (S. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen S. 313.) Noch bis auf den heutigen Tag werden Wohnungen auf Pfählen mitten im Maracaibogolfe errichtet. (Ramon Paez, Wild Scenes in South America p. 392.) Ueber die papuanischen Pfahldörfer vgl. Wallace, der malayische Archipel. Braunschweig 1869. Bd. 2. S. 282. und über Bruni s. Spenser St. John. Life in the Far East. London 1862. tom. I, p. 89. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0062" n="44"/><fw place="top" type="header">Das Alter des Menschengeschlechtes.</fw><lb/> Küchenabfällen (Kjökkenmöddingern) erhalten haben. Unter diesen<lb/> Nahrungsresten wurden Steingeräthe mit rohen Bruchflächen, sel-<lb/> tener geschliffne, dann Scherben von irdnem Geschirr, die Reste<lb/> des Hundes als Hausthier, endlich sogar ein Spinnwirtel, dagegen<lb/> keine Spuren von ausgestorbnen Thieren des Diluvium gefunden.<lb/> Zur Zeit ihrer Anhäufungen übten daher jene Muschelesser noch<lb/> nicht die Kunst oder fingen erst an den Feuerstein zu glätten.<lb/> Einen bessern Begriff von dem Alterthum jener Muschelbänke er-<lb/> weckt der Umstand, dass damals Jütland und die dänischen Inseln<lb/> mit Fichtenwäldern bedeckt waren. Zur Zeit als die Einwohner<lb/> Bronzegeräthe sich verschafft hatten, verschwanden die Nadelhölzer<lb/> und Eichen herrschten an ihrer Stelle. Seit der Bronzezeit aber<lb/> sind auch die Eichenwälder nach und nach durch die Buche ver-<lb/> drängt worden, deren Waldbestände jetzt fast ausschliesslich jenes<lb/> Gebiet bedecken. Die Küchenreste enthalten aber Knochen des<lb/> Auerhahnes, der sich von Fichtensprossen nährt und die Gegen-<lb/> wart von Nadelhölzern voraussetzt. Es hat also jener Erdraum seit<lb/> der Zeit der muschelessenden Strandbewohner zweimal seine Pflanzen-<lb/> tracht verändert, wozu gewiss jedesmal Jahrtausende gehörten <note place="foot" n="1)">Sir <hi rendition="#g">Charles Lyell</hi>, Antiquity of Man. London 1863. p. 9—17.</note>.<lb/> Diess bestätigt auch das Vorkommen von Austerschalen in den<lb/> dänischen Küchenabfällen, denn die Auster gedeiht jetzt in der<lb/> Ostsee nicht mehr, wegen des geringen Salzgehaltes dieses Golfes.<lb/> Folglich mussten damals Strömungen der nördlichen Oceane durch<lb/> viel grössere Pforten als die gegenwärtigen Sunde bis zu den dä-<lb/> nischen Inseln gelangt sein.</p><lb/> <p>Zu den jüngsten Resten des vorgeschichtlichen Alterthums ge-<lb/> hören die Ortschaften an Alpenseen, die wie dermaleinst Venedig, wie<lb/> noch jetzt die Wohnungen der Eingebornen am Maracaibogolfe,<lb/> wie die Stadt Bruni auf Borneo, wie die Hütten der Papuanen<lb/> an der Nordküste von Neu-Guinea auf einem Rost von Pfählen im<lb/> Wasser errichtet wurden <note place="foot" n="2)">Der Golf von Maracaibo wurde von den ersten Entdeckern Golf von<lb/> Venedig genannt, weil ein indianisches Pfahldorf am Eingange zuvor den<lb/> Namen Venezuela empfangen hatte. (S. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen S. 313.)<lb/> Noch bis auf den heutigen Tag werden Wohnungen auf Pfählen mitten im<lb/> Maracaibogolfe errichtet. (Ramon Paez, Wild Scenes in South America<lb/> p. 392.) Ueber die papuanischen Pfahldörfer vgl. Wallace, der malayische<lb/> Archipel. Braunschweig 1869. Bd. 2. S. 282. und über Bruni s. Spenser<lb/> St. John. Life in the Far East. London 1862. tom. I, p. 89.</note>. Die Gewohnheit auf solchen im Wasser<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0062]
Das Alter des Menschengeschlechtes.
Küchenabfällen (Kjökkenmöddingern) erhalten haben. Unter diesen
Nahrungsresten wurden Steingeräthe mit rohen Bruchflächen, sel-
tener geschliffne, dann Scherben von irdnem Geschirr, die Reste
des Hundes als Hausthier, endlich sogar ein Spinnwirtel, dagegen
keine Spuren von ausgestorbnen Thieren des Diluvium gefunden.
Zur Zeit ihrer Anhäufungen übten daher jene Muschelesser noch
nicht die Kunst oder fingen erst an den Feuerstein zu glätten.
Einen bessern Begriff von dem Alterthum jener Muschelbänke er-
weckt der Umstand, dass damals Jütland und die dänischen Inseln
mit Fichtenwäldern bedeckt waren. Zur Zeit als die Einwohner
Bronzegeräthe sich verschafft hatten, verschwanden die Nadelhölzer
und Eichen herrschten an ihrer Stelle. Seit der Bronzezeit aber
sind auch die Eichenwälder nach und nach durch die Buche ver-
drängt worden, deren Waldbestände jetzt fast ausschliesslich jenes
Gebiet bedecken. Die Küchenreste enthalten aber Knochen des
Auerhahnes, der sich von Fichtensprossen nährt und die Gegen-
wart von Nadelhölzern voraussetzt. Es hat also jener Erdraum seit
der Zeit der muschelessenden Strandbewohner zweimal seine Pflanzen-
tracht verändert, wozu gewiss jedesmal Jahrtausende gehörten 1).
Diess bestätigt auch das Vorkommen von Austerschalen in den
dänischen Küchenabfällen, denn die Auster gedeiht jetzt in der
Ostsee nicht mehr, wegen des geringen Salzgehaltes dieses Golfes.
Folglich mussten damals Strömungen der nördlichen Oceane durch
viel grössere Pforten als die gegenwärtigen Sunde bis zu den dä-
nischen Inseln gelangt sein.
Zu den jüngsten Resten des vorgeschichtlichen Alterthums ge-
hören die Ortschaften an Alpenseen, die wie dermaleinst Venedig, wie
noch jetzt die Wohnungen der Eingebornen am Maracaibogolfe,
wie die Stadt Bruni auf Borneo, wie die Hütten der Papuanen
an der Nordküste von Neu-Guinea auf einem Rost von Pfählen im
Wasser errichtet wurden 2). Die Gewohnheit auf solchen im Wasser
1) Sir Charles Lyell, Antiquity of Man. London 1863. p. 9—17.
2) Der Golf von Maracaibo wurde von den ersten Entdeckern Golf von
Venedig genannt, weil ein indianisches Pfahldorf am Eingange zuvor den
Namen Venezuela empfangen hatte. (S. Peschel, Zeitalter der Entdeckungen S. 313.)
Noch bis auf den heutigen Tag werden Wohnungen auf Pfählen mitten im
Maracaibogolfe errichtet. (Ramon Paez, Wild Scenes in South America
p. 392.) Ueber die papuanischen Pfahldörfer vgl. Wallace, der malayische
Archipel. Braunschweig 1869. Bd. 2. S. 282. und über Bruni s. Spenser
St. John. Life in the Far East. London 1862. tom. I, p. 89.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |