Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Neger.
der Arbeit, die Einrichtungen zu einem geordneten Beisammen-
leben, endlich die höchsten Güter des Menschen, die Erkenntniss
unserer selbst, das Streben nach höherer Würde, nach idealen
Vorbildern, mit einem Worte die Religion, zusammenfassen. An-
dererseits aber nöthigt uns auch eine richtige Schätzung gerade
jener absondernden Gewalt der Wüsten, dass wir sehr viele, wenn
auch nicht alle günstigen bürgerlichen und sittlichen Erscheinungen,
deren neuere Reisende im Sudan gedenken, als eigene Schöpfungen
der dortigen Afrikaner gelten lassen, und danach, wie diess von
Gerhard Rohlfs geschehen ist, unser Urtheil über die Entwicklungs-
fähigkeit der Negerstämme gerechter als bisher bemessen.

Der Werth eines Welttheiles als Schauplatz menschlicher Ge-
sittung richtet sich aber nicht bloss nach seiner eigenen Gestaltung
sondern er steigt und fällt mit seiner Nähe oder seiner Entfernung
von andern besonders bevorzugten Erdräumen. Afrika ist in diesem
Sinne eine Halbinsel der östlichen Erdveste. Dürften wir uns vor-
stellen, dass die Landenge von Suez eine Meerenge wäre und dass
ganz Afrika um etwa zehn Grad südlicher und westlicher in den
Ocean hinausgerückt läge, so dass es als Inselwelttheil seines Zu-
sammenhanges mit der alten Welt beraubt gewesen wäre, so
würden dort Zustände herrschen müssen, die noch viel unerquick-
licher wären als die jetzigen, viel näher denen, die uns Australien
zur Zeit seiner Entdeckung gewahren liess. Durch seine trockene
Verknüpfung mit Kleinasien, seine Annäherung an Arabien wie
an Südeuropa genoss Afrika Vorzüge, die der amerikanischen
Menschheit gänzlich versagt blieben. Es stand wenigstens durch
seinen Nordrand und seine östlichen Gestade einer günstigen Ein-
wirkung asiatischer Gesittung offen.

Als eine Wirkung dieser bevorzugten terrestrischen Lage
dürfen wir es betrachten, dass durch den ganzen Welttheil hin-
durch die Kenntniss vom Ausschmelzen der Eisenerze und ihrer
Verarbeitung zu Werkzeugen und Waffen sich verbreitet hat. Wo
immer Reisende in's Innere gedrungen sind, haben sie die Afri-
kaner mitten im sogenannten Eisenzeitalter angetroffen. Keinem
der Stämme, auf deren Gebiete Eisenerze brechen, ist die Erfindung
fremd, durch einen einströmenden Luftstrom eine Kohlengluth bis
zur Hitze der Löthrohrflammen zu steigern. Der afrikanische
Blasebalg besteht aus einem Paar ausgehöhlter Holztrommeln oben
mit ledernen Beuteln geschlossen, unten in eine thönerne Röhre

Die Neger.
der Arbeit, die Einrichtungen zu einem geordneten Beisammen-
leben, endlich die höchsten Güter des Menschen, die Erkenntniss
unserer selbst, das Streben nach höherer Würde, nach idealen
Vorbildern, mit einem Worte die Religion, zusammenfassen. An-
dererseits aber nöthigt uns auch eine richtige Schätzung gerade
jener absondernden Gewalt der Wüsten, dass wir sehr viele, wenn
auch nicht alle günstigen bürgerlichen und sittlichen Erscheinungen,
deren neuere Reisende im Sudan gedenken, als eigene Schöpfungen
der dortigen Afrikaner gelten lassen, und danach, wie diess von
Gerhard Rohlfs geschehen ist, unser Urtheil über die Entwicklungs-
fähigkeit der Negerstämme gerechter als bisher bemessen.

Der Werth eines Welttheiles als Schauplatz menschlicher Ge-
sittung richtet sich aber nicht bloss nach seiner eigenen Gestaltung
sondern er steigt und fällt mit seiner Nähe oder seiner Entfernung
von andern besonders bevorzugten Erdräumen. Afrika ist in diesem
Sinne eine Halbinsel der östlichen Erdveste. Dürften wir uns vor-
stellen, dass die Landenge von Suez eine Meerenge wäre und dass
ganz Afrika um etwa zehn Grad südlicher und westlicher in den
Ocean hinausgerückt läge, so dass es als Inselwelttheil seines Zu-
sammenhanges mit der alten Welt beraubt gewesen wäre, so
würden dort Zustände herrschen müssen, die noch viel unerquick-
licher wären als die jetzigen, viel näher denen, die uns Australien
zur Zeit seiner Entdeckung gewahren liess. Durch seine trockene
Verknüpfung mit Kleinasien, seine Annäherung an Arabien wie
an Südeuropa genoss Afrika Vorzüge, die der amerikanischen
Menschheit gänzlich versagt blieben. Es stand wenigstens durch
seinen Nordrand und seine östlichen Gestade einer günstigen Ein-
wirkung asiatischer Gesittung offen.

Als eine Wirkung dieser bevorzugten terrestrischen Lage
dürfen wir es betrachten, dass durch den ganzen Welttheil hin-
durch die Kenntniss vom Ausschmelzen der Eisenerze und ihrer
Verarbeitung zu Werkzeugen und Waffen sich verbreitet hat. Wo
immer Reisende in’s Innere gedrungen sind, haben sie die Afri-
kaner mitten im sogenannten Eisenzeitalter angetroffen. Keinem
der Stämme, auf deren Gebiete Eisenerze brechen, ist die Erfindung
fremd, durch einen einströmenden Luftstrom eine Kohlengluth bis
zur Hitze der Löthrohrflammen zu steigern. Der afrikanische
Blasebalg besteht aus einem Paar ausgehöhlter Holztrommeln oben
mit ledernen Beuteln geschlossen, unten in eine thönerne Röhre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0526" n="508"/><fw place="top" type="header">Die Neger.</fw><lb/>
der Arbeit, die Einrichtungen zu einem geordneten Beisammen-<lb/>
leben, endlich die höchsten Güter des Menschen, die Erkenntniss<lb/>
unserer selbst, das Streben nach höherer Würde, nach idealen<lb/>
Vorbildern, mit einem Worte die Religion, zusammenfassen. An-<lb/>
dererseits aber nöthigt uns auch eine richtige Schätzung gerade<lb/>
jener absondernden Gewalt der Wüsten, dass wir sehr viele, wenn<lb/>
auch nicht alle günstigen bürgerlichen und sittlichen Erscheinungen,<lb/>
deren neuere Reisende im Sudan gedenken, als eigene Schöpfungen<lb/>
der dortigen Afrikaner gelten lassen, und danach, wie diess von<lb/>
Gerhard Rohlfs geschehen ist, unser Urtheil über die Entwicklungs-<lb/>
fähigkeit der Negerstämme gerechter als bisher bemessen.</p><lb/>
            <p>Der Werth eines Welttheiles als Schauplatz menschlicher Ge-<lb/>
sittung richtet sich aber nicht bloss nach seiner eigenen Gestaltung<lb/>
sondern er steigt und fällt mit seiner Nähe oder seiner Entfernung<lb/>
von andern besonders bevorzugten Erdräumen. Afrika ist in diesem<lb/>
Sinne eine Halbinsel der östlichen Erdveste. Dürften wir uns vor-<lb/>
stellen, dass die Landenge von Suez eine Meerenge wäre und dass<lb/>
ganz Afrika um etwa zehn Grad südlicher und westlicher in den<lb/>
Ocean hinausgerückt läge, so dass es als Inselwelttheil seines Zu-<lb/>
sammenhanges mit der alten Welt beraubt gewesen wäre, so<lb/>
würden dort Zustände herrschen müssen, die noch viel unerquick-<lb/>
licher wären als die jetzigen, viel näher denen, die uns Australien<lb/>
zur Zeit seiner Entdeckung gewahren liess. Durch seine trockene<lb/>
Verknüpfung mit Kleinasien, seine Annäherung an Arabien wie<lb/>
an Südeuropa genoss Afrika Vorzüge, die der amerikanischen<lb/>
Menschheit gänzlich versagt blieben. Es stand wenigstens durch<lb/>
seinen Nordrand und seine östlichen Gestade einer günstigen Ein-<lb/>
wirkung asiatischer Gesittung offen.</p><lb/>
            <p>Als eine Wirkung dieser bevorzugten terrestrischen Lage<lb/>
dürfen wir es betrachten, dass durch den ganzen Welttheil hin-<lb/>
durch die Kenntniss vom Ausschmelzen der Eisenerze und ihrer<lb/>
Verarbeitung zu Werkzeugen und Waffen sich verbreitet hat. Wo<lb/>
immer Reisende in&#x2019;s Innere gedrungen sind, haben sie die Afri-<lb/>
kaner mitten im sogenannten Eisenzeitalter angetroffen. Keinem<lb/>
der Stämme, auf deren Gebiete Eisenerze brechen, ist die Erfindung<lb/>
fremd, durch einen einströmenden Luftstrom eine Kohlengluth bis<lb/>
zur Hitze der Löthrohrflammen zu steigern. Der afrikanische<lb/>
Blasebalg besteht aus einem Paar ausgehöhlter Holztrommeln oben<lb/>
mit ledernen Beuteln geschlossen, unten in eine thönerne Röhre<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[508/0526] Die Neger. der Arbeit, die Einrichtungen zu einem geordneten Beisammen- leben, endlich die höchsten Güter des Menschen, die Erkenntniss unserer selbst, das Streben nach höherer Würde, nach idealen Vorbildern, mit einem Worte die Religion, zusammenfassen. An- dererseits aber nöthigt uns auch eine richtige Schätzung gerade jener absondernden Gewalt der Wüsten, dass wir sehr viele, wenn auch nicht alle günstigen bürgerlichen und sittlichen Erscheinungen, deren neuere Reisende im Sudan gedenken, als eigene Schöpfungen der dortigen Afrikaner gelten lassen, und danach, wie diess von Gerhard Rohlfs geschehen ist, unser Urtheil über die Entwicklungs- fähigkeit der Negerstämme gerechter als bisher bemessen. Der Werth eines Welttheiles als Schauplatz menschlicher Ge- sittung richtet sich aber nicht bloss nach seiner eigenen Gestaltung sondern er steigt und fällt mit seiner Nähe oder seiner Entfernung von andern besonders bevorzugten Erdräumen. Afrika ist in diesem Sinne eine Halbinsel der östlichen Erdveste. Dürften wir uns vor- stellen, dass die Landenge von Suez eine Meerenge wäre und dass ganz Afrika um etwa zehn Grad südlicher und westlicher in den Ocean hinausgerückt läge, so dass es als Inselwelttheil seines Zu- sammenhanges mit der alten Welt beraubt gewesen wäre, so würden dort Zustände herrschen müssen, die noch viel unerquick- licher wären als die jetzigen, viel näher denen, die uns Australien zur Zeit seiner Entdeckung gewahren liess. Durch seine trockene Verknüpfung mit Kleinasien, seine Annäherung an Arabien wie an Südeuropa genoss Afrika Vorzüge, die der amerikanischen Menschheit gänzlich versagt blieben. Es stand wenigstens durch seinen Nordrand und seine östlichen Gestade einer günstigen Ein- wirkung asiatischer Gesittung offen. Als eine Wirkung dieser bevorzugten terrestrischen Lage dürfen wir es betrachten, dass durch den ganzen Welttheil hin- durch die Kenntniss vom Ausschmelzen der Eisenerze und ihrer Verarbeitung zu Werkzeugen und Waffen sich verbreitet hat. Wo immer Reisende in’s Innere gedrungen sind, haben sie die Afri- kaner mitten im sogenannten Eisenzeitalter angetroffen. Keinem der Stämme, auf deren Gebiete Eisenerze brechen, ist die Erfindung fremd, durch einen einströmenden Luftstrom eine Kohlengluth bis zur Hitze der Löthrohrflammen zu steigern. Der afrikanische Blasebalg besteht aus einem Paar ausgehöhlter Holztrommeln oben mit ledernen Beuteln geschlossen, unten in eine thönerne Röhre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/526
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/526>, abgerufen am 23.12.2024.