sterben und wieder lebendig werden. Der Hase richtete die Bot- schaft jedoch verkehrt aus, denn er gebrauchte die Worte: wie ich sterbe und nicht wieder geboren werde. Als er dem Monde seinen Missgriff gestanden hatte, schleuderte dieser ergrimmt einen Stecken nach dem Hasen, der diesem die Lippen aufschlitzte. Auch ergriff der ungetreue Bote die Flucht und streift noch heute flüchtig auf der Erde 1).
Wie verführerisch ist es nun, das Zusammentreffen entscheiden- der Körpermerkmale, sonderbarer Sitten und sogar einer eigen- thümlichen Sage entweder dadurch zu erklären, dass die Koi-koin und papuanischen Fidschi von gemeinsamen Voreltern der Urzeit abstammen oder wenigstens, dass sie ehemals so nahe neben ein- ander sassen, um Sitten und Sagen auszutauschen. Dennoch ist weder das eine noch das andere glaubwürdig. Bei schärferer Unter- suchung unterscheiden sich die Koi-koin durch die Farbe der Haut, durch den Mangel an Leibhaaren, durch die geringe Höhe ihrer Schädel hinreichend von den Fidschi. Das Abschneiden der Fingerglieder wird bei den Koi-koin in der Jugend vollzogen und scheint irgend ein abergläubisches Schutzmittel gewähren zu sollen 2), kommt übrigens auch bei Polynesiern und auf den Nikobaren vor 3). Somit bleibt nur die ühereinstimmende Verknüpfung des Mondes mit der Unsterblichkeitshoffnung übrig. Allein sie bestätigt blos den alten Satz, dass derselbe Gedanke bei den verschiedenen Spielarten unsers Geschlechtes in verschiedenen Räumen und zu verschiedenen Zeiten durch die nämlichen Gegenstände angeregt worden sei. Das psychische Einerlei der Menschennatur sollte also fernerhin nicht mehr bestritten werden.
1) Eine andere Wendung des Unsterblichkeitsmythus findet sich bei den Bantunegern. Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 255.
2) Bei Maclean, Kafir laws and customs, p. 93, wird derselbe Gebrauch von Kafirn berichtet. Auch die Buschmänner sollen die vorderen Glieder der Finger vom kleinen an der linken Hand angefangen bei Erkrankungen opfern in der Meinung, dass mit dem abrinnenden Blute die Krankheit sich ent- fernen werde. Barrow, Travels. tom. I., p. 289.
3)Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 402.
Hottentotten und Buschmänner.
sterben und wieder lebendig werden. Der Hase richtete die Bot- schaft jedoch verkehrt aus, denn er gebrauchte die Worte: wie ich sterbe und nicht wieder geboren werde. Als er dem Monde seinen Missgriff gestanden hatte, schleuderte dieser ergrimmt einen Stecken nach dem Hasen, der diesem die Lippen aufschlitzte. Auch ergriff der ungetreue Bote die Flucht und streift noch heute flüchtig auf der Erde 1).
Wie verführerisch ist es nun, das Zusammentreffen entscheiden- der Körpermerkmale, sonderbarer Sitten und sogar einer eigen- thümlichen Sage entweder dadurch zu erklären, dass die Koi-koin und papuanischen Fidschi von gemeinsamen Voreltern der Urzeit abstammen oder wenigstens, dass sie ehemals so nahe neben ein- ander sassen, um Sitten und Sagen auszutauschen. Dennoch ist weder das eine noch das andere glaubwürdig. Bei schärferer Unter- suchung unterscheiden sich die Koi-koin durch die Farbe der Haut, durch den Mangel an Leibhaaren, durch die geringe Höhe ihrer Schädel hinreichend von den Fidschi. Das Abschneiden der Fingerglieder wird bei den Koi-koin in der Jugend vollzogen und scheint irgend ein abergläubisches Schutzmittel gewähren zu sollen 2), kommt übrigens auch bei Polynesiern und auf den Nikobaren vor 3). Somit bleibt nur die ühereinstimmende Verknüpfung des Mondes mit der Unsterblichkeitshoffnung übrig. Allein sie bestätigt blos den alten Satz, dass derselbe Gedanke bei den verschiedenen Spielarten unsers Geschlechtes in verschiedenen Räumen und zu verschiedenen Zeiten durch die nämlichen Gegenstände angeregt worden sei. Das psychische Einerlei der Menschennatur sollte also fernerhin nicht mehr bestritten werden.
1) Eine andere Wendung des Unsterblichkeitsmythus findet sich bei den Bantunegern. Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 255.
2) Bei Maclean, Kafir laws and customs, p. 93, wird derselbe Gebrauch von Kafirn berichtet. Auch die Buschmänner sollen die vorderen Glieder der Finger vom kleinen an der linken Hand angefangen bei Erkrankungen opfern in der Meinung, dass mit dem abrinnenden Blute die Krankheit sich ent- fernen werde. Barrow, Travels. tom. I., p. 289.
3)Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 402.
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Hottentotten und Buschmänner.
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schaft jedoch verkehrt aus, denn er gebrauchte die Worte: wie ich
sterbe und nicht wieder geboren werde. Als er dem Monde
seinen Missgriff gestanden hatte, schleuderte dieser ergrimmt einen
Stecken nach dem Hasen, der diesem die Lippen aufschlitzte.
Auch ergriff der ungetreue Bote die Flucht und streift noch heute
flüchtig auf der Erde 1).
Wie verführerisch ist es nun, das Zusammentreffen entscheiden-
der Körpermerkmale, sonderbarer Sitten und sogar einer eigen-
thümlichen Sage entweder dadurch zu erklären, dass die Koi-koin
und papuanischen Fidschi von gemeinsamen Voreltern der Urzeit
abstammen oder wenigstens, dass sie ehemals so nahe neben ein-
ander sassen, um Sitten und Sagen auszutauschen. Dennoch ist
weder das eine noch das andere glaubwürdig. Bei schärferer Unter-
suchung unterscheiden sich die Koi-koin durch die Farbe der
Haut, durch den Mangel an Leibhaaren, durch die geringe Höhe
ihrer Schädel hinreichend von den Fidschi. Das Abschneiden der
Fingerglieder wird bei den Koi-koin in der Jugend vollzogen und
scheint irgend ein abergläubisches Schutzmittel gewähren zu sollen 2),
kommt übrigens auch bei Polynesiern und auf den Nikobaren vor 3).
Somit bleibt nur die ühereinstimmende Verknüpfung des Mondes mit
der Unsterblichkeitshoffnung übrig. Allein sie bestätigt blos den
alten Satz, dass derselbe Gedanke bei den verschiedenen Spielarten
unsers Geschlechtes in verschiedenen Räumen und zu verschiedenen
Zeiten durch die nämlichen Gegenstände angeregt worden sei. Das
psychische Einerlei der Menschennatur sollte also fernerhin nicht
mehr bestritten werden.
1) Eine andere Wendung des Unsterblichkeitsmythus findet sich bei den
Bantunegern. Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 255.
2) Bei Maclean, Kafir laws and customs, p. 93, wird derselbe Gebrauch
von Kafirn berichtet. Auch die Buschmänner sollen die vorderen Glieder der
Finger vom kleinen an der linken Hand angefangen bei Erkrankungen opfern
in der Meinung, dass mit dem abrinnenden Blute die Krankheit sich ent-
fernen werde. Barrow, Travels. tom. I., p. 289.
3) Tylor, Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 402.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/514>, abgerufen am 16.07.2024.
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