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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Hottentotten und Buschmänner.
das schlechte Beispiel der Boeren verdorben worden sind. Wie
die benachbarten Bantuneger zeigen sich die Koi-koin bei öffent-
lichen Gerichtsverhandlungen in allen forensischen Künsten be-
wandert. Die Pflichten der Blutrache sind nicht völlig erloschen,
doch begnügt man sich meistens mit Entrichtung von Wergeldern.

Ueber die Religionsschöpfungen dieser merkwürdigen Be-
völkerung herrscht noch grosse Dunkelheit. Gewiss ist nur, dass die
Koi-koin den männlich gedachten Mond verehren. Ihren Glauben
an eine Fortdauer der Entschlafnen bezeugt die Sitte, dass sie
den Leichen bei der Beerdigung eine Stellung wie im Mutter-
schoosse geben, auch brechen sie ihren Kraal sogleich nach jedem
Todesfall ab, um sich aus der Nähe des Grabes zu entfernen.
Ahnendienst ist streng nachgewiesen worden bei der Koranahorde,
welche im Tsui-khoab einen grossen Häuptling früherer Zeiten ver-
ehrt 1). Weit schwieriger ist es zu entscheiden, ob der hotten-
tottische Heitsi -Eibib ein geschichtlicher Held gewesen sei. Zu
seinem Andenken häufen sie Steine auf Steine zu Grabhügeln
und ihm zu Ehren werden Tänze aufgeführt, sodass die Namaqua
von Stammesgenossen sagen "sie tanzen noch" oder "sie tanzen
nicht mehr", je nachdem sie ein Verharren im Heidenthum oder
eine Bekehrung zum Christenthume ausdrücken wollen. Wenig
Aufschluss gewähren die Fabeln, welche über Tod und Thaten
dieses räthselhaften Wesens erzählt werden 2). Mehr als einmal soll
er gestorben und wieder geboren worden sein, so dass Viele ihn
mit der Mondgottheit für eins halten 3). Unter den Hottentotten,
gab es auch Schamanen, die über Regen und Sonnenschein Ge-
walt ausübten und die Geister der Krankheiten austrieben. Natür-
lich fand sich auch der Glaube an Zaubermittel vor, doch stiftete
die Hexenverfolgung lange nicht soviel Unheil an, wie bei den
Bantunegern.

Wer die hohe Entwicklung ihrer Sprache zu würdigen ver-
steht, wer ausserdem zu schätzen weiss, dass die Hottentotten
fremde Sprachen leicht erlernen und tadellos sprechen, wer nach
den Mustern im Reineke Fuchs von Bleek ihre Gabe bewundert,

1) Fritsch, Eingeborne. S. 338.
2) Bleek, Reineke Fuchs. S. 59--64.
3) Theophilus Hahn, Die Nama-Hottentotten. Globus 1867. Bd. 12.
S. 276.

Hottentotten und Buschmänner.
das schlechte Beispiel der Boeren verdorben worden sind. Wie
die benachbarten Bantuneger zeigen sich die Koi-koin bei öffent-
lichen Gerichtsverhandlungen in allen forensischen Künsten be-
wandert. Die Pflichten der Blutrache sind nicht völlig erloschen,
doch begnügt man sich meistens mit Entrichtung von Wergeldern.

Ueber die Religionsschöpfungen dieser merkwürdigen Be-
völkerung herrscht noch grosse Dunkelheit. Gewiss ist nur, dass die
Koi-koin den männlich gedachten Mond verehren. Ihren Glauben
an eine Fortdauer der Entschlafnen bezeugt die Sitte, dass sie
den Leichen bei der Beerdigung eine Stellung wie im Mutter-
schoosse geben, auch brechen sie ihren Kraal sogleich nach jedem
Todesfall ab, um sich aus der Nähe des Grabes zu entfernen.
Ahnendienst ist streng nachgewiesen worden bei der Koranahorde,
welche im Tsui-χoab einen grossen Häuptling früherer Zeiten ver-
ehrt 1). Weit schwieriger ist es zu entscheiden, ob der hotten-
tottische Heitsi -Eibib ein geschichtlicher Held gewesen sei. Zu
seinem Andenken häufen sie Steine auf Steine zu Grabhügeln
und ihm zu Ehren werden Tänze aufgeführt, sodass die Namaqua
von Stammesgenossen sagen „sie tanzen noch“ oder „sie tanzen
nicht mehr“, je nachdem sie ein Verharren im Heidenthum oder
eine Bekehrung zum Christenthume ausdrücken wollen. Wenig
Aufschluss gewähren die Fabeln, welche über Tod und Thaten
dieses räthselhaften Wesens erzählt werden 2). Mehr als einmal soll
er gestorben und wieder geboren worden sein, so dass Viele ihn
mit der Mondgottheit für eins halten 3). Unter den Hottentotten,
gab es auch Schamanen, die über Regen und Sonnenschein Ge-
walt ausübten und die Geister der Krankheiten austrieben. Natür-
lich fand sich auch der Glaube an Zaubermittel vor, doch stiftete
die Hexenverfolgung lange nicht soviel Unheil an, wie bei den
Bantunegern.

Wer die hohe Entwicklung ihrer Sprache zu würdigen ver-
steht, wer ausserdem zu schätzen weiss, dass die Hottentotten
fremde Sprachen leicht erlernen und tadellos sprechen, wer nach
den Mustern im Reineke Fuchs von Bleek ihre Gabe bewundert,

1) Fritsch, Eingeborne. S. 338.
2) Bleek, Reineke Fuchs. S. 59—64.
3) Theophilus Hahn, Die Nama-Hottentotten. Globus 1867. Bd. 12.
S. 276.
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[494/0512] Hottentotten und Buschmänner. das schlechte Beispiel der Boeren verdorben worden sind. Wie die benachbarten Bantuneger zeigen sich die Koi-koin bei öffent- lichen Gerichtsverhandlungen in allen forensischen Künsten be- wandert. Die Pflichten der Blutrache sind nicht völlig erloschen, doch begnügt man sich meistens mit Entrichtung von Wergeldern. Ueber die Religionsschöpfungen dieser merkwürdigen Be- völkerung herrscht noch grosse Dunkelheit. Gewiss ist nur, dass die Koi-koin den männlich gedachten Mond verehren. Ihren Glauben an eine Fortdauer der Entschlafnen bezeugt die Sitte, dass sie den Leichen bei der Beerdigung eine Stellung wie im Mutter- schoosse geben, auch brechen sie ihren Kraal sogleich nach jedem Todesfall ab, um sich aus der Nähe des Grabes zu entfernen. Ahnendienst ist streng nachgewiesen worden bei der Koranahorde, welche im Tsui-χoab einen grossen Häuptling früherer Zeiten ver- ehrt 1). Weit schwieriger ist es zu entscheiden, ob der hotten- tottische Heitsi -Eibib ein geschichtlicher Held gewesen sei. Zu seinem Andenken häufen sie Steine auf Steine zu Grabhügeln und ihm zu Ehren werden Tänze aufgeführt, sodass die Namaqua von Stammesgenossen sagen „sie tanzen noch“ oder „sie tanzen nicht mehr“, je nachdem sie ein Verharren im Heidenthum oder eine Bekehrung zum Christenthume ausdrücken wollen. Wenig Aufschluss gewähren die Fabeln, welche über Tod und Thaten dieses räthselhaften Wesens erzählt werden 2). Mehr als einmal soll er gestorben und wieder geboren worden sein, so dass Viele ihn mit der Mondgottheit für eins halten 3). Unter den Hottentotten, gab es auch Schamanen, die über Regen und Sonnenschein Ge- walt ausübten und die Geister der Krankheiten austrieben. Natür- lich fand sich auch der Glaube an Zaubermittel vor, doch stiftete die Hexenverfolgung lange nicht soviel Unheil an, wie bei den Bantunegern. Wer die hohe Entwicklung ihrer Sprache zu würdigen ver- steht, wer ausserdem zu schätzen weiss, dass die Hottentotten fremde Sprachen leicht erlernen und tadellos sprechen, wer nach den Mustern im Reineke Fuchs von Bleek ihre Gabe bewundert, 1) Fritsch, Eingeborne. S. 338. 2) Bleek, Reineke Fuchs. S. 59—64. 3) Theophilus Hahn, Die Nama-Hottentotten. Globus 1867. Bd. 12. S. 276.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/512>, abgerufen am 07.05.2024.