Geschöpfe die neueren, die unvollkommener gegliederten die älteren sind. Aber die zoologischen Moden haben sich nicht überall mit gleicher Geschwindigkeit geändert. Sie haben sich am hastigsten in der alten Welt umgestaltet, minder rasch in Nordamerika, sie sind ziemlich weit zurückgeblieben in Südamerika, am alterthümlichsten in Australien. Je kleiner und je abgesonderter ein Erdraum lag, desto langsamer legte er seine Trachten ab oder behielt sie wohl gänzlich bei.
Australiens Thierwelt bewahrt die Trachten jener Zeit als noch die Känguruh Mode waren, denn bei uns finden wir Beutelthiere nur noch als Versteinerungen der tertiären Zeit, auch in der neuen Welt sind sie bis auf wenige kleinere Arten über dem Erdboden völlig verschwunden. Australien fehlen alle Affen, alle Raubthiere, alle Hufthiere, alle Zahnlücker. Von seinen 132 Säugethierarten sind 102 Beutelthiere und der Rest besteht aus Nagern, Fleder- mäusen und seltsamen Monotrematen oder Cloakenthieren. Allerdings ist in diese Schöpfung auch der Mensch hineingerathen und in seiner Begleitung -- denn gleich und gleich gesellt sich gern -- ein reissendes Thier, der Dingo oder neuholländische Hund. Allein, dass sie als Fremdlinge diese zoologische Provinz betraten 1), fühlt ein jeder der den Thatsachen der Thiergeographie ihre geschicht- lichen Lehren abgewonnen hat.
Das gleiche gilt von Südamerika, welches ein eigenes streng gesondertes Säugethierreich beherbergt, als dessen Charaktergestalten die Zahnlücker gelten. Alle seine Arten, die Mehrzahl der Gat- tungen, ja selbst der Familien sind verschieden von denen der alten Welt. Wichtig für unsere Beweisführung ist noch die Be- merkung Andreas Wagners, dass die heutigen Säugethiere Austra- liens und Südamerika's viel näher den fossilen Trachten der ter- tiären Zeit stehen als die unsrigen 2), dass also auf beiden Gebieten die Moden viel langsamer gewechselt haben. War doch Süd- amerika eine Insel noch in einer kurzen geologischen Vergangen- heit, bevor die Landenge von Panama die beiden Festlande zu- sammenschloss. Südamerika also, das alterthümlich gebliebene, ist
1) Diess gesteht selbst Agassiz im Essay on classification. London 1849. p. 60.
2) Abhandlungen der mathem. physik. Classe der k. bayr. Akademie der Wissenschaften. München 1846. IV. Bd. 1. Abth. S. 18.
Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes.
Geschöpfe die neueren, die unvollkommener gegliederten die älteren sind. Aber die zoologischen Moden haben sich nicht überall mit gleicher Geschwindigkeit geändert. Sie haben sich am hastigsten in der alten Welt umgestaltet, minder rasch in Nordamerika, sie sind ziemlich weit zurückgeblieben in Südamerika, am alterthümlichsten in Australien. Je kleiner und je abgesonderter ein Erdraum lag, desto langsamer legte er seine Trachten ab oder behielt sie wohl gänzlich bei.
Australiens Thierwelt bewahrt die Trachten jener Zeit als noch die Känguruh Mode waren, denn bei uns finden wir Beutelthiere nur noch als Versteinerungen der tertiären Zeit, auch in der neuen Welt sind sie bis auf wenige kleinere Arten über dem Erdboden völlig verschwunden. Australien fehlen alle Affen, alle Raubthiere, alle Hufthiere, alle Zahnlücker. Von seinen 132 Säugethierarten sind 102 Beutelthiere und der Rest besteht aus Nagern, Fleder- mäusen und seltsamen Monotrematen oder Cloakenthieren. Allerdings ist in diese Schöpfung auch der Mensch hineingerathen und in seiner Begleitung — denn gleich und gleich gesellt sich gern — ein reissendes Thier, der Dingo oder neuholländische Hund. Allein, dass sie als Fremdlinge diese zoologische Provinz betraten 1), fühlt ein jeder der den Thatsachen der Thiergeographie ihre geschicht- lichen Lehren abgewonnen hat.
Das gleiche gilt von Südamerika, welches ein eigenes streng gesondertes Säugethierreich beherbergt, als dessen Charaktergestalten die Zahnlücker gelten. Alle seine Arten, die Mehrzahl der Gat- tungen, ja selbst der Familien sind verschieden von denen der alten Welt. Wichtig für unsere Beweisführung ist noch die Be- merkung Andreas Wagners, dass die heutigen Säugethiere Austra- liens und Südamerika’s viel näher den fossilen Trachten der ter- tiären Zeit stehen als die unsrigen 2), dass also auf beiden Gebieten die Moden viel langsamer gewechselt haben. War doch Süd- amerika eine Insel noch in einer kurzen geologischen Vergangen- heit, bevor die Landenge von Panamá die beiden Festlande zu- sammenschloss. Südamerika also, das alterthümlich gebliebene, ist
1) Diess gesteht selbst Agassiz im Essay on classification. London 1849. p. 60.
2) Abhandlungen der mathem. physik. Classe der k. bayr. Akademie der Wissenschaften. München 1846. IV. Bd. 1. Abth. S. 18.
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Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes.
Geschöpfe die neueren, die unvollkommener gegliederten die älteren
sind. Aber die zoologischen Moden haben sich nicht überall mit
gleicher Geschwindigkeit geändert. Sie haben sich am hastigsten in der
alten Welt umgestaltet, minder rasch in Nordamerika, sie sind
ziemlich weit zurückgeblieben in Südamerika, am alterthümlichsten
in Australien. Je kleiner und je abgesonderter ein Erdraum lag,
desto langsamer legte er seine Trachten ab oder behielt sie wohl
gänzlich bei.
Australiens Thierwelt bewahrt die Trachten jener Zeit als noch
die Känguruh Mode waren, denn bei uns finden wir Beutelthiere
nur noch als Versteinerungen der tertiären Zeit, auch in der neuen
Welt sind sie bis auf wenige kleinere Arten über dem Erdboden
völlig verschwunden. Australien fehlen alle Affen, alle Raubthiere,
alle Hufthiere, alle Zahnlücker. Von seinen 132 Säugethierarten
sind 102 Beutelthiere und der Rest besteht aus Nagern, Fleder-
mäusen und seltsamen Monotrematen oder Cloakenthieren. Allerdings
ist in diese Schöpfung auch der Mensch hineingerathen und in
seiner Begleitung — denn gleich und gleich gesellt sich gern —
ein reissendes Thier, der Dingo oder neuholländische Hund. Allein,
dass sie als Fremdlinge diese zoologische Provinz betraten 1), fühlt
ein jeder der den Thatsachen der Thiergeographie ihre geschicht-
lichen Lehren abgewonnen hat.
Das gleiche gilt von Südamerika, welches ein eigenes streng
gesondertes Säugethierreich beherbergt, als dessen Charaktergestalten
die Zahnlücker gelten. Alle seine Arten, die Mehrzahl der Gat-
tungen, ja selbst der Familien sind verschieden von denen der
alten Welt. Wichtig für unsere Beweisführung ist noch die Be-
merkung Andreas Wagners, dass die heutigen Säugethiere Austra-
liens und Südamerika’s viel näher den fossilen Trachten der ter-
tiären Zeit stehen als die unsrigen 2), dass also auf beiden Gebieten
die Moden viel langsamer gewechselt haben. War doch Süd-
amerika eine Insel noch in einer kurzen geologischen Vergangen-
heit, bevor die Landenge von Panamá die beiden Festlande zu-
sammenschloss. Südamerika also, das alterthümlich gebliebene, ist
1) Diess gesteht selbst Agassiz im Essay on classification. London 1849. p. 60.
2) Abhandlungen der mathem. physik. Classe der k. bayr. Akademie der
Wissenschaften. München 1846. IV. Bd. 1. Abth. S. 18.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/50>, abgerufen am 22.12.2024.
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