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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
dort endigen, wo Schouw die Südgrenze der Kiefernarten bestimmt
hatte. Ganz ähnlich konnten auch Bevölkerungen des Nordens
ihre Wohnsitze wechseln und rasch den Wendekreis überschreiten,
ohne dass sie gezwungen waren, nach dem heissen Fiebersaum
an der Küste hinabzusteigen, der für sie erst nach längerer Ge-
wöhnung und einer Reihenfolge von Geschlechtern bewohnbar ge-
wesen wäre.

Ein begünstigter Erdraum wird aber nicht bloss die geistige
Entwicklung seiner Bewohner beschleunigen, sondern er wird auch
stets früher oder später den fähigsten Völkern zur Beute fallen,
denn auf den Fähigkeiten beruht zum grossen Theile die ge-
schichtliche Stärke. Warum aber die Nahuatlakenvölker auf ihren
Wanderungen das Hochland von Mexico als Sitz allen übrigen
Gebieten vorzogen, darüber gibt uns ihre Landwirthschaft Auf-
schluss. Sie bauten, wie alle Amerikaner, die einzige Halmfrucht
der neuen Welt, den Mais, der zwar äusserst reiche Ernten in
Mexico trägt, doch aber auch vielfach anderwärts mit gleichem
Erfolge gewonnen werden konnte. Dagegen gesellt sich zum
Mais auf den dortigen Hochebenen die Maguey (Agave mexicana), aus
deren Blüthenknospen in staunenswerthen Mengen ein Saft ge-
zapft wird, den die alten Mexicaner in ihr Lieblingsgetränk, das
Metl (Pulque) verwandelten 1). Ausserdem lag hart zu ihren
Füssen der heisse Küstenstrich, der sie mit allen Früchten der
Tropen versah, unter anderen mit dem Cacao, den sie bereits
mit den Schoten der Vanille zu mischen verstanden.

So ist es uns also erklärlich, warum auch von den vielen
Stämmen, die jemals nach einander Mittelamerika durchzogen
haben, die begabtesten sich das Hochland von Mexico erwählten,
wo sie zugleich in günstige Berührung traten mit den Maya und
den Quiche der Halbinsel Yucatan und Guatemala's. Die Orts-

1) Decandolle betrachtet Mexico als die botanische Heimat jener
Agave. Die Verbote des Trinkens von Pulque und die harten Strafen, die
auf Trunkenheit im spätern Aztekenreich erfolgten, beweisen besser als alles
andere, wie verführerisch dieses Getränk gewesen sein mag. (Prescott,
Mexico. tom. I. p. 137. p. 157.) Vielleicht ist es ein übermässiger Genuss des
Metl gewesen, welcher die Kraft der alten Tolteken zerrüttete.
Peschel, Völkerkunde. 31

Die amerikanische Urbevölkerung.
dort endigen, wo Schouw die Südgrenze der Kiefernarten bestimmt
hatte. Ganz ähnlich konnten auch Bevölkerungen des Nordens
ihre Wohnsitze wechseln und rasch den Wendekreis überschreiten,
ohne dass sie gezwungen waren, nach dem heissen Fiebersaum
an der Küste hinabzusteigen, der für sie erst nach längerer Ge-
wöhnung und einer Reihenfolge von Geschlechtern bewohnbar ge-
wesen wäre.

Ein begünstigter Erdraum wird aber nicht bloss die geistige
Entwicklung seiner Bewohner beschleunigen, sondern er wird auch
stets früher oder später den fähigsten Völkern zur Beute fallen,
denn auf den Fähigkeiten beruht zum grossen Theile die ge-
schichtliche Stärke. Warum aber die Nahuatlakenvölker auf ihren
Wanderungen das Hochland von Mexico als Sitz allen übrigen
Gebieten vorzogen, darüber gibt uns ihre Landwirthschaft Auf-
schluss. Sie bauten, wie alle Amerikaner, die einzige Halmfrucht
der neuen Welt, den Mais, der zwar äusserst reiche Ernten in
Mexico trägt, doch aber auch vielfach anderwärts mit gleichem
Erfolge gewonnen werden konnte. Dagegen gesellt sich zum
Mais auf den dortigen Hochebenen die Maguey (Agave mexicana), aus
deren Blüthenknospen in staunenswerthen Mengen ein Saft ge-
zapft wird, den die alten Mexicaner in ihr Lieblingsgetränk, das
Metl (Pulque) verwandelten 1). Ausserdem lag hart zu ihren
Füssen der heisse Küstenstrich, der sie mit allen Früchten der
Tropen versah, unter anderen mit dem Cacao, den sie bereits
mit den Schoten der Vanille zu mischen verstanden.

So ist es uns also erklärlich, warum auch von den vielen
Stämmen, die jemals nach einander Mittelamerika durchzogen
haben, die begabtesten sich das Hochland von Mexico erwählten,
wo sie zugleich in günstige Berührung traten mit den Maya und
den Quiché der Halbinsel Yucatan und Guatemala’s. Die Orts-

1) Decandolle betrachtet Mexico als die botanische Heimat jener
Agave. Die Verbote des Trinkens von Pulque und die harten Strafen, die
auf Trunkenheit im spätern Aztekenreich erfolgten, beweisen besser als alles
andere, wie verführerisch dieses Getränk gewesen sein mag. (Prescott,
Mexico. tom. I. p. 137. p. 157.) Vielleicht ist es ein übermässiger Genuss des
Metl gewesen, welcher die Kraft der alten Tolteken zerrüttete.
Peschel, Völkerkunde. 31
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[481/0499] Die amerikanische Urbevölkerung. dort endigen, wo Schouw die Südgrenze der Kiefernarten bestimmt hatte. Ganz ähnlich konnten auch Bevölkerungen des Nordens ihre Wohnsitze wechseln und rasch den Wendekreis überschreiten, ohne dass sie gezwungen waren, nach dem heissen Fiebersaum an der Küste hinabzusteigen, der für sie erst nach längerer Ge- wöhnung und einer Reihenfolge von Geschlechtern bewohnbar ge- wesen wäre. Ein begünstigter Erdraum wird aber nicht bloss die geistige Entwicklung seiner Bewohner beschleunigen, sondern er wird auch stets früher oder später den fähigsten Völkern zur Beute fallen, denn auf den Fähigkeiten beruht zum grossen Theile die ge- schichtliche Stärke. Warum aber die Nahuatlakenvölker auf ihren Wanderungen das Hochland von Mexico als Sitz allen übrigen Gebieten vorzogen, darüber gibt uns ihre Landwirthschaft Auf- schluss. Sie bauten, wie alle Amerikaner, die einzige Halmfrucht der neuen Welt, den Mais, der zwar äusserst reiche Ernten in Mexico trägt, doch aber auch vielfach anderwärts mit gleichem Erfolge gewonnen werden konnte. Dagegen gesellt sich zum Mais auf den dortigen Hochebenen die Maguey (Agave mexicana), aus deren Blüthenknospen in staunenswerthen Mengen ein Saft ge- zapft wird, den die alten Mexicaner in ihr Lieblingsgetränk, das Metl (Pulque) verwandelten 1). Ausserdem lag hart zu ihren Füssen der heisse Küstenstrich, der sie mit allen Früchten der Tropen versah, unter anderen mit dem Cacao, den sie bereits mit den Schoten der Vanille zu mischen verstanden. So ist es uns also erklärlich, warum auch von den vielen Stämmen, die jemals nach einander Mittelamerika durchzogen haben, die begabtesten sich das Hochland von Mexico erwählten, wo sie zugleich in günstige Berührung traten mit den Maya und den Quiché der Halbinsel Yucatan und Guatemala’s. Die Orts- 1) Decandolle betrachtet Mexico als die botanische Heimat jener Agave. Die Verbote des Trinkens von Pulque und die harten Strafen, die auf Trunkenheit im spätern Aztekenreich erfolgten, beweisen besser als alles andere, wie verführerisch dieses Getränk gewesen sein mag. (Prescott, Mexico. tom. I. p. 137. p. 157.) Vielleicht ist es ein übermässiger Genuss des Metl gewesen, welcher die Kraft der alten Tolteken zerrüttete. Peschel, Völkerkunde. 31

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/499>, abgerufen am 22.12.2024.