Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die amerikanische Urbevölkerung.
vom Passatwind nach Westindien getragen wurde 1). Nur ein
selbstgefälliger Wahn ist es aber, dass irgendein Einzelner oder
Einzelne die Cultur ihrer Heimat als Fracht im Hohlraume eines
Fahrzeuges nach fernen Welten führen können. Wenn wir Euro-
päer uns mit dem Australier vergleichen, dünken wir uns Halb-
götter neben Halbthieren. Ein jeder von uns träumt wohl gern,
dass er, unter einen Stamm solcher Wilden geworfen, diesen einen
Antheil am Segen unserer Gesittung zubringen werde, dass ihn
die Beglückten dermaleinst als ihren Wohlthäter und Erlöser ver-
ehren, ja dass das Auftreten des "bärtigen Mannes" als religiöse
Sage unter ihnen fortleben und von seiner zweiten Rückkehr der
Anbruch eines neuen beglückenden Weltalters erwartet werden
möchte, wie die Azteken von dem Wiedererscheinen Quetzalcoatls
eine Verjüngung und Verklärung ihrer Zustände sich versprachen.
Was aber in einem solchen Falle sich wirklich zuträgt, das lehren
uns mit Genauigkeit die Schicksale James Morills, eines verun-
glückten Matrosen, der 17 Jahre unter australischen Stämmen
lebte 2). Nach Ablauf dieser 17 Jahre führten die Eingebornen
genau das nämliche Leben wie vorher, Morill aber ass wie sie
Muscheln, schlief wie sie unter einer lockern Laubhütte, hatte die
Kleidung abgeworfen, fast gänzlich seine Muttersprache vergessen,
und er, der Halbgott, war zum Australier herabgesunken. Auch
sollte man sich nicht damit trösten, dass, wenn auch der Einzelne
diesem Schicksal erliegen musste, doch eine Mehrheit, die Mann-
schaft eines Fahrzeuges beispielsweise, das nach der neuen Welt
verschlagen worden wäre, grössere Erfolge errungen hätte. Denn
auch dagegen sprechen geschichtliche Beispiele. Colon (Columbus)
liess auf seiner ersten Fahrt 40 Spanier, wohl ausgerüstet, in
einer kleinen Burg unter einer gutmüthigen, fast unbewehrten Be-
völkerung auf Haiti zurück, und als er nach wenigen Monaten
wieder kam, fand er nichts als Leichen und die Trümmer einer
Feuersbrunst. Noch belehrender ist das Schicksal Hernando de
Soto's und seiner Gefährten auf ihren Querzügen im Süden der
Vereinigten Staaten. Sie landeten 1540 wohlausgerüstet, erhielten
aber nie Zufuhren aus der Heimat. Ihre Rosse fielen, ihre Feuer-
rohre wurden nutzlos, weil es an Pulver fehlte, ihre Degen rosteten

1) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. II. cap. 6; p. 327.
2) vgl. Ausland. 1866. S. 237.

Die amerikanische Urbevölkerung.
vom Passatwind nach Westindien getragen wurde 1). Nur ein
selbstgefälliger Wahn ist es aber, dass irgendein Einzelner oder
Einzelne die Cultur ihrer Heimat als Fracht im Hohlraume eines
Fahrzeuges nach fernen Welten führen können. Wenn wir Euro-
päer uns mit dem Australier vergleichen, dünken wir uns Halb-
götter neben Halbthieren. Ein jeder von uns träumt wohl gern,
dass er, unter einen Stamm solcher Wilden geworfen, diesen einen
Antheil am Segen unserer Gesittung zubringen werde, dass ihn
die Beglückten dermaleinst als ihren Wohlthäter und Erlöser ver-
ehren, ja dass das Auftreten des „bärtigen Mannes“ als religiöse
Sage unter ihnen fortleben und von seiner zweiten Rückkehr der
Anbruch eines neuen beglückenden Weltalters erwartet werden
möchte, wie die Azteken von dem Wiedererscheinen Quetzalcoatls
eine Verjüngung und Verklärung ihrer Zustände sich versprachen.
Was aber in einem solchen Falle sich wirklich zuträgt, das lehren
uns mit Genauigkeit die Schicksale James Morills, eines verun-
glückten Matrosen, der 17 Jahre unter australischen Stämmen
lebte 2). Nach Ablauf dieser 17 Jahre führten die Eingebornen
genau das nämliche Leben wie vorher, Morill aber ass wie sie
Muscheln, schlief wie sie unter einer lockern Laubhütte, hatte die
Kleidung abgeworfen, fast gänzlich seine Muttersprache vergessen,
und er, der Halbgott, war zum Australier herabgesunken. Auch
sollte man sich nicht damit trösten, dass, wenn auch der Einzelne
diesem Schicksal erliegen musste, doch eine Mehrheit, die Mann-
schaft eines Fahrzeuges beispielsweise, das nach der neuen Welt
verschlagen worden wäre, grössere Erfolge errungen hätte. Denn
auch dagegen sprechen geschichtliche Beispiele. Cólon (Columbus)
liess auf seiner ersten Fahrt 40 Spanier, wohl ausgerüstet, in
einer kleinen Burg unter einer gutmüthigen, fast unbewehrten Be-
völkerung auf Haiti zurück, und als er nach wenigen Monaten
wieder kam, fand er nichts als Leichen und die Trümmer einer
Feuersbrunst. Noch belehrender ist das Schicksal Hernando de
Soto’s und seiner Gefährten auf ihren Querzügen im Süden der
Vereinigten Staaten. Sie landeten 1540 wohlausgerüstet, erhielten
aber nie Zufuhren aus der Heimat. Ihre Rosse fielen, ihre Feuer-
rohre wurden nutzlos, weil es an Pulver fehlte, ihre Degen rosteten

1) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. II. cap. 6; p. 327.
2) vgl. Ausland. 1866. S. 237.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0489" n="471"/><fw place="top" type="header">Die amerikanische Urbevölkerung.</fw><lb/>
vom Passatwind nach Westindien getragen wurde <note place="foot" n="1)">P. <hi rendition="#g">Gumilla</hi>, El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. II. cap. 6; p. 327.</note>. Nur ein<lb/>
selbstgefälliger Wahn ist es aber, dass irgendein Einzelner oder<lb/>
Einzelne die Cultur ihrer Heimat als Fracht im Hohlraume eines<lb/>
Fahrzeuges nach fernen Welten führen können. Wenn wir Euro-<lb/>
päer uns mit dem Australier vergleichen, dünken wir uns Halb-<lb/>
götter neben Halbthieren. Ein jeder von uns träumt wohl gern,<lb/>
dass er, unter einen Stamm solcher Wilden geworfen, diesen einen<lb/>
Antheil am Segen unserer Gesittung zubringen werde, dass ihn<lb/>
die Beglückten dermaleinst als ihren Wohlthäter und Erlöser ver-<lb/>
ehren, ja dass das Auftreten des &#x201E;bärtigen Mannes&#x201C; als religiöse<lb/>
Sage unter ihnen fortleben und von seiner zweiten Rückkehr der<lb/>
Anbruch eines neuen beglückenden Weltalters erwartet werden<lb/>
möchte, wie die Azteken von dem Wiedererscheinen Quetzalcoatls<lb/>
eine Verjüngung und Verklärung ihrer Zustände sich versprachen.<lb/>
Was aber in einem solchen Falle sich wirklich zuträgt, das lehren<lb/>
uns mit Genauigkeit die Schicksale James Morills, eines verun-<lb/>
glückten Matrosen, der 17 Jahre unter australischen Stämmen<lb/>
lebte <note place="foot" n="2)">vgl. Ausland. 1866. S. 237.</note>. Nach Ablauf dieser 17 Jahre führten die Eingebornen<lb/>
genau das nämliche Leben wie vorher, Morill aber ass wie sie<lb/>
Muscheln, schlief wie sie unter einer lockern Laubhütte, hatte die<lb/>
Kleidung abgeworfen, fast gänzlich seine Muttersprache vergessen,<lb/>
und er, der Halbgott, war zum Australier herabgesunken. Auch<lb/>
sollte man sich nicht damit trösten, dass, wenn auch der Einzelne<lb/>
diesem Schicksal erliegen musste, doch eine Mehrheit, die Mann-<lb/>
schaft eines Fahrzeuges beispielsweise, das nach der neuen Welt<lb/>
verschlagen worden wäre, grössere Erfolge errungen hätte. Denn<lb/>
auch dagegen sprechen geschichtliche Beispiele. Cólon (Columbus)<lb/>
liess auf seiner ersten Fahrt 40 Spanier, wohl ausgerüstet, in<lb/>
einer kleinen Burg unter einer gutmüthigen, fast unbewehrten Be-<lb/>
völkerung auf Haiti zurück, und als er nach wenigen Monaten<lb/>
wieder kam, fand er nichts als Leichen und die Trümmer einer<lb/>
Feuersbrunst. Noch belehrender ist das Schicksal Hernando de<lb/>
Soto&#x2019;s und seiner Gefährten auf ihren Querzügen im Süden der<lb/>
Vereinigten Staaten. Sie landeten 1540 wohlausgerüstet, erhielten<lb/>
aber nie Zufuhren aus der Heimat. Ihre Rosse fielen, ihre Feuer-<lb/>
rohre wurden nutzlos, weil es an Pulver fehlte, ihre Degen rosteten<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0489] Die amerikanische Urbevölkerung. vom Passatwind nach Westindien getragen wurde 1). Nur ein selbstgefälliger Wahn ist es aber, dass irgendein Einzelner oder Einzelne die Cultur ihrer Heimat als Fracht im Hohlraume eines Fahrzeuges nach fernen Welten führen können. Wenn wir Euro- päer uns mit dem Australier vergleichen, dünken wir uns Halb- götter neben Halbthieren. Ein jeder von uns träumt wohl gern, dass er, unter einen Stamm solcher Wilden geworfen, diesen einen Antheil am Segen unserer Gesittung zubringen werde, dass ihn die Beglückten dermaleinst als ihren Wohlthäter und Erlöser ver- ehren, ja dass das Auftreten des „bärtigen Mannes“ als religiöse Sage unter ihnen fortleben und von seiner zweiten Rückkehr der Anbruch eines neuen beglückenden Weltalters erwartet werden möchte, wie die Azteken von dem Wiedererscheinen Quetzalcoatls eine Verjüngung und Verklärung ihrer Zustände sich versprachen. Was aber in einem solchen Falle sich wirklich zuträgt, das lehren uns mit Genauigkeit die Schicksale James Morills, eines verun- glückten Matrosen, der 17 Jahre unter australischen Stämmen lebte 2). Nach Ablauf dieser 17 Jahre führten die Eingebornen genau das nämliche Leben wie vorher, Morill aber ass wie sie Muscheln, schlief wie sie unter einer lockern Laubhütte, hatte die Kleidung abgeworfen, fast gänzlich seine Muttersprache vergessen, und er, der Halbgott, war zum Australier herabgesunken. Auch sollte man sich nicht damit trösten, dass, wenn auch der Einzelne diesem Schicksal erliegen musste, doch eine Mehrheit, die Mann- schaft eines Fahrzeuges beispielsweise, das nach der neuen Welt verschlagen worden wäre, grössere Erfolge errungen hätte. Denn auch dagegen sprechen geschichtliche Beispiele. Cólon (Columbus) liess auf seiner ersten Fahrt 40 Spanier, wohl ausgerüstet, in einer kleinen Burg unter einer gutmüthigen, fast unbewehrten Be- völkerung auf Haiti zurück, und als er nach wenigen Monaten wieder kam, fand er nichts als Leichen und die Trümmer einer Feuersbrunst. Noch belehrender ist das Schicksal Hernando de Soto’s und seiner Gefährten auf ihren Querzügen im Süden der Vereinigten Staaten. Sie landeten 1540 wohlausgerüstet, erhielten aber nie Zufuhren aus der Heimat. Ihre Rosse fielen, ihre Feuer- rohre wurden nutzlos, weil es an Pulver fehlte, ihre Degen rosteten 1) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. Madrid 1741. II. cap. 6; p. 327. 2) vgl. Ausland. 1866. S. 237.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/489
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/489>, abgerufen am 05.05.2024.