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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
Obendrein haben wir die Igname der neuen Welt ebenfalls gut
geschrieben, obgleich wahrscheinlicher Hinterindien ihr Vaterland
ist, und ebenso gönnten wir ihr die wichtige Banane, weil es
immer noch Botaniker gibt die sich nicht von der Ansicht trennen
können als sei wenigstens eine Abart, die sie als Musa paradisiaca
unterscheiden wollen, ein Geschöpf der neuen Welt. Wir haben
aus Schonung für den Leser die tropischen Obstsorten der alten
und der neuen Welt nicht verglichen und überlassen es andern
zu entscheiden, ob durch ihren gegenseitigen Austausch die neue
oder die alte Welt mehr gewonnen habe. Wenn wir dagegen in
unsern Obstrevieren uns umschauen, begegnen wir nicht einem
einzigen Geschenk Amerika's. Diess beweist jedoch keineswegs
dass die neue Welt in dieser Beziehung kümmerlicher von der
Natur ausgestattet sein sollte als die östlichen Festlande, denn
alle unsere Obstbäume sind in ihrer jetzigen Gestalt Gewerbs-
erzeugnisse, die durch lange Pflege, sorgfältige Zuchtwahl und
künstliche Vermehrung veredelt worden sind. Wer wollte also
verneinen, dass sich nicht auch im gemässigten Amerika Bäume
und Gesträucher finden möchten, aus deren unschmackhaften
wilden Früchten durch geduldige Zucht sich ein geniessbares Obst
erziehen liesse?

Bei einjährigen Pflanzen die sich durch Samen vermehren,
ist aber die menschliche Cultur meistens machtlos gewesen. Zu
ihnen gehören unsere Getreide-Arten, von denen wir eine ganze
Reihe besitzen, während Amerika allein nur den Mais hervor-
gebracht hat. Da sie nach ihren gemeinsamen Familienzügen zu
den Gräsern gehören, so ist es nicht unwichtig, dass nach Decan-
dolle's statistischen Musterungen die alte Welt, vorzüglich Asien,
an Gramineen vergleichsweise reicher ist als die neue, denn wäh-
rend sie dort in den einzelnen Pflanzengebieten selten 10 Procent,
gewöhnlich nur 9, ja bisweilen nur 7 Procent aller blühenden
Arten umfassen, erheben sie sich in den östlichen Festlanden ge-
wöhnlich zu 10, häufig zu 12 Proc. Unter den Grasarten liebt
das Getreide vorzugsweise sonnige Standorte, die neue Welt da-
gegen ist vergleichsweise auf viel grösseren Räumen von Waldland
beschattet als die alte.

Ungleicher noch ist der diesseitige und jenseitige Artenreich-
thum bei den Thieren. Wenn wir in einer Uebersicht nur die
beiderseitigen Hausthiere vereinigen, d. h. Thiere die wirklich ge-

Die amerikanische Urbevölkerung.
Obendrein haben wir die Igname der neuen Welt ebenfalls gut
geschrieben, obgleich wahrscheinlicher Hinterindien ihr Vaterland
ist, und ebenso gönnten wir ihr die wichtige Banane, weil es
immer noch Botaniker gibt die sich nicht von der Ansicht trennen
können als sei wenigstens eine Abart, die sie als Musa paradisiaca
unterscheiden wollen, ein Geschöpf der neuen Welt. Wir haben
aus Schonung für den Leser die tropischen Obstsorten der alten
und der neuen Welt nicht verglichen und überlassen es andern
zu entscheiden, ob durch ihren gegenseitigen Austausch die neue
oder die alte Welt mehr gewonnen habe. Wenn wir dagegen in
unsern Obstrevieren uns umschauen, begegnen wir nicht einem
einzigen Geschenk Amerika’s. Diess beweist jedoch keineswegs
dass die neue Welt in dieser Beziehung kümmerlicher von der
Natur ausgestattet sein sollte als die östlichen Festlande, denn
alle unsere Obstbäume sind in ihrer jetzigen Gestalt Gewerbs-
erzeugnisse, die durch lange Pflege, sorgfältige Zuchtwahl und
künstliche Vermehrung veredelt worden sind. Wer wollte also
verneinen, dass sich nicht auch im gemässigten Amerika Bäume
und Gesträucher finden möchten, aus deren unschmackhaften
wilden Früchten durch geduldige Zucht sich ein geniessbares Obst
erziehen liesse?

Bei einjährigen Pflanzen die sich durch Samen vermehren,
ist aber die menschliche Cultur meistens machtlos gewesen. Zu
ihnen gehören unsere Getreide-Arten, von denen wir eine ganze
Reihe besitzen, während Amerika allein nur den Mais hervor-
gebracht hat. Da sie nach ihren gemeinsamen Familienzügen zu
den Gräsern gehören, so ist es nicht unwichtig, dass nach Decan-
dolle’s statistischen Musterungen die alte Welt, vorzüglich Asien,
an Gramineen vergleichsweise reicher ist als die neue, denn wäh-
rend sie dort in den einzelnen Pflanzengebieten selten 10 Procent,
gewöhnlich nur 9, ja bisweilen nur 7 Procent aller blühenden
Arten umfassen, erheben sie sich in den östlichen Festlanden ge-
wöhnlich zu 10, häufig zu 12 Proc. Unter den Grasarten liebt
das Getreide vorzugsweise sonnige Standorte, die neue Welt da-
gegen ist vergleichsweise auf viel grösseren Räumen von Waldland
beschattet als die alte.

Ungleicher noch ist der diesseitige und jenseitige Artenreich-
thum bei den Thieren. Wenn wir in einer Uebersicht nur die
beiderseitigen Hausthiere vereinigen, d. h. Thiere die wirklich ge-

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[441/0459] Die amerikanische Urbevölkerung. Obendrein haben wir die Igname der neuen Welt ebenfalls gut geschrieben, obgleich wahrscheinlicher Hinterindien ihr Vaterland ist, und ebenso gönnten wir ihr die wichtige Banane, weil es immer noch Botaniker gibt die sich nicht von der Ansicht trennen können als sei wenigstens eine Abart, die sie als Musa paradisiaca unterscheiden wollen, ein Geschöpf der neuen Welt. Wir haben aus Schonung für den Leser die tropischen Obstsorten der alten und der neuen Welt nicht verglichen und überlassen es andern zu entscheiden, ob durch ihren gegenseitigen Austausch die neue oder die alte Welt mehr gewonnen habe. Wenn wir dagegen in unsern Obstrevieren uns umschauen, begegnen wir nicht einem einzigen Geschenk Amerika’s. Diess beweist jedoch keineswegs dass die neue Welt in dieser Beziehung kümmerlicher von der Natur ausgestattet sein sollte als die östlichen Festlande, denn alle unsere Obstbäume sind in ihrer jetzigen Gestalt Gewerbs- erzeugnisse, die durch lange Pflege, sorgfältige Zuchtwahl und künstliche Vermehrung veredelt worden sind. Wer wollte also verneinen, dass sich nicht auch im gemässigten Amerika Bäume und Gesträucher finden möchten, aus deren unschmackhaften wilden Früchten durch geduldige Zucht sich ein geniessbares Obst erziehen liesse? Bei einjährigen Pflanzen die sich durch Samen vermehren, ist aber die menschliche Cultur meistens machtlos gewesen. Zu ihnen gehören unsere Getreide-Arten, von denen wir eine ganze Reihe besitzen, während Amerika allein nur den Mais hervor- gebracht hat. Da sie nach ihren gemeinsamen Familienzügen zu den Gräsern gehören, so ist es nicht unwichtig, dass nach Decan- dolle’s statistischen Musterungen die alte Welt, vorzüglich Asien, an Gramineen vergleichsweise reicher ist als die neue, denn wäh- rend sie dort in den einzelnen Pflanzengebieten selten 10 Procent, gewöhnlich nur 9, ja bisweilen nur 7 Procent aller blühenden Arten umfassen, erheben sie sich in den östlichen Festlanden ge- wöhnlich zu 10, häufig zu 12 Proc. Unter den Grasarten liebt das Getreide vorzugsweise sonnige Standorte, die neue Welt da- gegen ist vergleichsweise auf viel grösseren Räumen von Waldland beschattet als die alte. Ungleicher noch ist der diesseitige und jenseitige Artenreich- thum bei den Thieren. Wenn wir in einer Uebersicht nur die beiderseitigen Hausthiere vereinigen, d. h. Thiere die wirklich ge-

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/459>, abgerufen am 05.05.2024.