Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Arteneinheit des Menschengeschlechtes. Albernheit zu schmähen oder zu verspotten, gründliche Kennerdagegen haben uns belehrt, dass nur ein ängstlicher Wahn dieser Sitte zu Grunde liegt. Dobrizhoffer, der sie bei den Abiponen beschreibt, belehrt uns, dass die Väter nur deswegen den Luftzug ver- meiden und streng fasten, weil sie voraussetzen, es bestehe noch ein leibliches Band mit dem Neugebornen, so dass ihre Unmässig- keiten oder Erkältungen auf das Kind sich übertragen möchten. Stirbt der Sprössling in den ersten Tagen, so verfehlen die Frauen niemals dem Erzeuger lieblosen Leichtsinn vorzuwerfen 1). Auf den Antillen durfte der Vater, der Nachkommen zu erwarten hatte, kein Schildkröten- und kein Manatifleisch essen, denn im ersten Falle war Taubheit und Gehirnmangel, im andern eine Entstellung durch kleine runde Augen für das Kind zu befürchten 2). Ganz ähnlich legen sich bei den Indianern des britischen Guayana nach einem Schlangen- biss die Eltern und Geschwister des Verwundeten etliche Tage Fasten und Entbehrungen auf 3). Auf dieselben Gedanken oder auf dieselben Wahnbilder sind also die Bewohner von vier Welt- theilen gerathen und wir können dieses Zusammentreffen nur auf eine doppelte Weise erklären, denn entweder entstanden jene Ver- irrungen schon als die sämmtlichen Spielarten unsres Geschlechtes noch eine enge Heimath bewohnten, oder sie haben sich selbst- ständig erst entwickelt nach der Zerstreuung über den ganzen Erd- kreis. Ist das Letztere wahrscheinlich, dann gleicht das Denkver- mögen aller Menschenstämme sich bis auf seine seltsamsten Sprünge und Irrfahrten. 1) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 273. 2) E. B. Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 372. 3) C. F. Appun im Ausland 1872. No. 31. S. 440.
Arteneinheit des Menschengeschlechtes. Albernheit zu schmähen oder zu verspotten, gründliche Kennerdagegen haben uns belehrt, dass nur ein ängstlicher Wahn dieser Sitte zu Grunde liegt. Dobrizhoffer, der sie bei den Abiponen beschreibt, belehrt uns, dass die Väter nur deswegen den Luftzug ver- meiden und streng fasten, weil sie voraussetzen, es bestehe noch ein leibliches Band mit dem Neugebornen, so dass ihre Unmässig- keiten oder Erkältungen auf das Kind sich übertragen möchten. Stirbt der Sprössling in den ersten Tagen, so verfehlen die Frauen niemals dem Erzeuger lieblosen Leichtsinn vorzuwerfen 1). Auf den Antillen durfte der Vater, der Nachkommen zu erwarten hatte, kein Schildkröten- und kein Manatifleisch essen, denn im ersten Falle war Taubheit und Gehirnmangel, im andern eine Entstellung durch kleine runde Augen für das Kind zu befürchten 2). Ganz ähnlich legen sich bei den Indianern des britischen Guayana nach einem Schlangen- biss die Eltern und Geschwister des Verwundeten etliche Tage Fasten und Entbehrungen auf 3). Auf dieselben Gedanken oder auf dieselben Wahnbilder sind also die Bewohner von vier Welt- theilen gerathen und wir können dieses Zusammentreffen nur auf eine doppelte Weise erklären, denn entweder entstanden jene Ver- irrungen schon als die sämmtlichen Spielarten unsres Geschlechtes noch eine enge Heimath bewohnten, oder sie haben sich selbst- ständig erst entwickelt nach der Zerstreuung über den ganzen Erd- kreis. Ist das Letztere wahrscheinlich, dann gleicht das Denkver- mögen aller Menschenstämme sich bis auf seine seltsamsten Sprünge und Irrfahrten. 1) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 273. 2) E. B. Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 372. 3) C. F. Appun im Ausland 1872. No. 31. S. 440.
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Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
Albernheit zu schmähen oder zu verspotten, gründliche Kenner
dagegen haben uns belehrt, dass nur ein ängstlicher Wahn dieser
Sitte zu Grunde liegt. Dobrizhoffer, der sie bei den Abiponen
beschreibt, belehrt uns, dass die Väter nur deswegen den Luftzug ver-
meiden und streng fasten, weil sie voraussetzen, es bestehe noch
ein leibliches Band mit dem Neugebornen, so dass ihre Unmässig-
keiten oder Erkältungen auf das Kind sich übertragen möchten.
Stirbt der Sprössling in den ersten Tagen, so verfehlen die Frauen
niemals dem Erzeuger lieblosen Leichtsinn vorzuwerfen 1). Auf den
Antillen durfte der Vater, der Nachkommen zu erwarten hatte, kein
Schildkröten- und kein Manatifleisch essen, denn im ersten Falle
war Taubheit und Gehirnmangel, im andern eine Entstellung durch
kleine runde Augen für das Kind zu befürchten 2). Ganz ähnlich legen
sich bei den Indianern des britischen Guayana nach einem Schlangen-
biss die Eltern und Geschwister des Verwundeten etliche Tage
Fasten und Entbehrungen auf 3). Auf dieselben Gedanken oder
auf dieselben Wahnbilder sind also die Bewohner von vier Welt-
theilen gerathen und wir können dieses Zusammentreffen nur auf
eine doppelte Weise erklären, denn entweder entstanden jene Ver-
irrungen schon als die sämmtlichen Spielarten unsres Geschlechtes
noch eine enge Heimath bewohnten, oder sie haben sich selbst-
ständig erst entwickelt nach der Zerstreuung über den ganzen Erd-
kreis. Ist das Letztere wahrscheinlich, dann gleicht das Denkver-
mögen aller Menschenstämme sich bis auf seine seltsamsten Sprünge
und Irrfahrten.
1) Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 273.
2) E. B. Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 372.
3) C. F. Appun im Ausland 1872. No. 31. S. 440.
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