Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
Sehr günstig ist dieser Ansicht eine Reihe von Thatsachen, die
auf ein sehr hohes Alter unseres Geschlechtes schliessen lassen,
sowie die Fähigkeit des Menschen sich den grössten Witterungs-
gegensätzen auf unsrer Erdoberfläche anzupassen.

So weit als bisher auf den Festlanden die Menschen polwärts
vorgedrungen sind, hat man Spuren von Bewohnern entdeckt, denn
kurz bevor der Matrose Morton und der Eskimo Hans am 24. Juni
1854 Cap Constitution der Westküste Grönlands unter 81° 22' N. B. er-
reichten, hatten sie die Trümmer eines Schlittens bemerkt 1). Er
bezeugte die frühere Anwesenheit von Eskimos, die wir, homerisch
gesprochen, als die äussersten Menschen (eskhatoi andron)
zu preisen haben. Auch entdecken wir neben dem Menschen die
Fährte wenigstens eines Hausthieres: der Hund ist stets sein Be-
gleiter gewesen. Noch soll der Erdraum gefunden werden, der
nicht von irgend welchem Volke bewohnt oder wenigstens besucht
werden könnte. Die Übergänge aus verschiednen Climaten dürfen
allerdings nicht plötzlich erfolgen. Selbst Isländer, die nach Kopen-
hagen übersiedeln, erliegen dort der Schwindsucht 2), obgleich sie
doch mit den Dänen eine gemeinsame Abkunft besitzen und vor
800 Jahren noch eine gemeinsame Sprache redeten. Während die
Spanier sich in der Neuen Welt wie auf den Philippinen dem tro-
pischen Lebensraum angepasst haben 3), ist es weder den Briten
gelungen Vorderindien, noch den Holländern die Sundainseln mit
Abkömmlingen von Europäern zu bevölkern. Alle Kinder eng-
lischer Eltern die in Indien geboren werden, kränkeln und sterben,
wenn sie ein Alter von etwa 10 Jahren überschreiten. Daher senden
die Briten ihre Kinder beim Herannahen des gefährlichen Zeit-
punkts nach Europa, und ein gleiches geschieht von den Hollän-
dern. Eine Europäerin in Niederländisch-Indien bedenkt sich sehr
reiflich ehe sie in eine Ehe willigt, denn das erste Kindbett kostet
gewöhnlich der Mutter das Leben. Diesem Schicksale erliegen
sogar portugiesische Frauen im südafrikanischen Tete am Zambesi,
wie es kürzlich der englische Missionär Rowley bestätigt hat. Er-
folgen aber die Uebergänge zu andern Climaten stufenweise und
in grossen Zeitzwischenräumen, so herrscht allerdings kein Zweifel,

1) Kane, Arctic Explorations. Philadelphia 1856. I, 297.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 145.
3) Jagor, Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 29.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
Sehr günstig ist dieser Ansicht eine Reihe von Thatsachen, die
auf ein sehr hohes Alter unseres Geschlechtes schliessen lassen,
sowie die Fähigkeit des Menschen sich den grössten Witterungs-
gegensätzen auf unsrer Erdoberfläche anzupassen.

So weit als bisher auf den Festlanden die Menschen polwärts
vorgedrungen sind, hat man Spuren von Bewohnern entdeckt, denn
kurz bevor der Matrose Morton und der Eskimo Hans am 24. Juni
1854 Cap Constitution der Westküste Grönlands unter 81° 22′ N. B. er-
reichten, hatten sie die Trümmer eines Schlittens bemerkt 1). Er
bezeugte die frühere Anwesenheit von Eskimos, die wir, homerisch
gesprochen, als die äussersten Menschen (ἔσχατοι ἀνδρῶν)
zu preisen haben. Auch entdecken wir neben dem Menschen die
Fährte wenigstens eines Hausthieres: der Hund ist stets sein Be-
gleiter gewesen. Noch soll der Erdraum gefunden werden, der
nicht von irgend welchem Volke bewohnt oder wenigstens besucht
werden könnte. Die Übergänge aus verschiednen Climaten dürfen
allerdings nicht plötzlich erfolgen. Selbst Isländer, die nach Kopen-
hagen übersiedeln, erliegen dort der Schwindsucht 2), obgleich sie
doch mit den Dänen eine gemeinsame Abkunft besitzen und vor
800 Jahren noch eine gemeinsame Sprache redeten. Während die
Spanier sich in der Neuen Welt wie auf den Philippinen dem tro-
pischen Lebensraum angepasst haben 3), ist es weder den Briten
gelungen Vorderindien, noch den Holländern die Sundainseln mit
Abkömmlingen von Europäern zu bevölkern. Alle Kinder eng-
lischer Eltern die in Indien geboren werden, kränkeln und sterben,
wenn sie ein Alter von etwa 10 Jahren überschreiten. Daher senden
die Briten ihre Kinder beim Herannahen des gefährlichen Zeit-
punkts nach Europa, und ein gleiches geschieht von den Hollän-
dern. Eine Europäerin in Niederländisch-Indien bedenkt sich sehr
reiflich ehe sie in eine Ehe willigt, denn das erste Kindbett kostet
gewöhnlich der Mutter das Leben. Diesem Schicksale erliegen
sogar portugiesische Frauen im südafrikanischen Tete am Zambesi,
wie es kürzlich der englische Missionär Rowley bestätigt hat. Er-
folgen aber die Uebergänge zu andern Climaten stufenweise und
in grossen Zeitzwischenräumen, so herrscht allerdings kein Zweifel,

1) Kane, Arctic Explorations. Philadelphia 1856. I, 297.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 145.
3) Jagor, Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0039" n="21"/><fw place="top" type="header">Arteneinheit des Menschengeschlechtes.</fw><lb/>
Sehr günstig ist dieser Ansicht eine Reihe von Thatsachen, die<lb/>
auf ein sehr hohes Alter unseres Geschlechtes schliessen lassen,<lb/>
sowie die Fähigkeit des Menschen sich den grössten Witterungs-<lb/>
gegensätzen auf unsrer Erdoberfläche anzupassen.</p><lb/>
          <p>So weit als bisher auf den Festlanden die Menschen polwärts<lb/>
vorgedrungen sind, hat man Spuren von Bewohnern entdeckt, denn<lb/>
kurz bevor der Matrose Morton und der Eskimo Hans am 24. Juni<lb/>
1854 Cap Constitution der Westküste Grönlands unter 81° 22&#x2032; N. B. er-<lb/>
reichten, hatten sie die Trümmer eines Schlittens bemerkt <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Kane</hi>, Arctic Explorations. Philadelphia 1856. I, 297.</note>. Er<lb/>
bezeugte die frühere Anwesenheit von Eskimos, die wir, homerisch<lb/>
gesprochen, als die <hi rendition="#g">äussersten Menschen</hi> <hi rendition="#i">(&#x1F14;&#x03C3;&#x03C7;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF;&#x03B9; &#x1F00;&#x03BD;&#x03B4;&#x03C1;&#x1FF6;&#x03BD;)</hi><lb/>
zu preisen haben. Auch entdecken wir neben dem Menschen die<lb/>
Fährte wenigstens eines Hausthieres: der Hund ist stets sein Be-<lb/>
gleiter gewesen. Noch soll der Erdraum gefunden werden, der<lb/>
nicht von irgend welchem Volke bewohnt oder wenigstens besucht<lb/>
werden könnte. Die Übergänge aus verschiednen Climaten dürfen<lb/>
allerdings nicht plötzlich erfolgen. Selbst Isländer, die nach Kopen-<lb/>
hagen übersiedeln, erliegen dort der Schwindsucht <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie. Bd. 1. S. 145.</note>, obgleich sie<lb/>
doch mit den Dänen eine gemeinsame Abkunft besitzen und vor<lb/>
800 Jahren noch eine gemeinsame Sprache redeten. Während die<lb/>
Spanier sich in der Neuen Welt wie auf den Philippinen dem tro-<lb/>
pischen Lebensraum angepasst haben <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Jagor</hi>, Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 29.</note>, ist es weder den Briten<lb/>
gelungen Vorderindien, noch den Holländern die Sundainseln mit<lb/>
Abkömmlingen von Europäern zu bevölkern. Alle Kinder eng-<lb/>
lischer Eltern die in Indien geboren werden, kränkeln und sterben,<lb/>
wenn sie ein Alter von etwa 10 Jahren überschreiten. Daher senden<lb/>
die Briten ihre Kinder beim Herannahen des gefährlichen Zeit-<lb/>
punkts nach Europa, und ein gleiches geschieht von den Hollän-<lb/>
dern. Eine Europäerin in Niederländisch-Indien bedenkt sich sehr<lb/>
reiflich ehe sie in eine Ehe willigt, denn das erste Kindbett kostet<lb/>
gewöhnlich der Mutter das Leben. Diesem Schicksale erliegen<lb/>
sogar portugiesische Frauen im südafrikanischen Tete am Zambesi,<lb/>
wie es kürzlich der englische Missionär Rowley bestätigt hat. Er-<lb/>
folgen aber die Uebergänge zu andern Climaten stufenweise und<lb/>
in grossen Zeitzwischenräumen, so herrscht allerdings kein Zweifel,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0039] Arteneinheit des Menschengeschlechtes. Sehr günstig ist dieser Ansicht eine Reihe von Thatsachen, die auf ein sehr hohes Alter unseres Geschlechtes schliessen lassen, sowie die Fähigkeit des Menschen sich den grössten Witterungs- gegensätzen auf unsrer Erdoberfläche anzupassen. So weit als bisher auf den Festlanden die Menschen polwärts vorgedrungen sind, hat man Spuren von Bewohnern entdeckt, denn kurz bevor der Matrose Morton und der Eskimo Hans am 24. Juni 1854 Cap Constitution der Westküste Grönlands unter 81° 22′ N. B. er- reichten, hatten sie die Trümmer eines Schlittens bemerkt 1). Er bezeugte die frühere Anwesenheit von Eskimos, die wir, homerisch gesprochen, als die äussersten Menschen (ἔσχατοι ἀνδρῶν) zu preisen haben. Auch entdecken wir neben dem Menschen die Fährte wenigstens eines Hausthieres: der Hund ist stets sein Be- gleiter gewesen. Noch soll der Erdraum gefunden werden, der nicht von irgend welchem Volke bewohnt oder wenigstens besucht werden könnte. Die Übergänge aus verschiednen Climaten dürfen allerdings nicht plötzlich erfolgen. Selbst Isländer, die nach Kopen- hagen übersiedeln, erliegen dort der Schwindsucht 2), obgleich sie doch mit den Dänen eine gemeinsame Abkunft besitzen und vor 800 Jahren noch eine gemeinsame Sprache redeten. Während die Spanier sich in der Neuen Welt wie auf den Philippinen dem tro- pischen Lebensraum angepasst haben 3), ist es weder den Briten gelungen Vorderindien, noch den Holländern die Sundainseln mit Abkömmlingen von Europäern zu bevölkern. Alle Kinder eng- lischer Eltern die in Indien geboren werden, kränkeln und sterben, wenn sie ein Alter von etwa 10 Jahren überschreiten. Daher senden die Briten ihre Kinder beim Herannahen des gefährlichen Zeit- punkts nach Europa, und ein gleiches geschieht von den Hollän- dern. Eine Europäerin in Niederländisch-Indien bedenkt sich sehr reiflich ehe sie in eine Ehe willigt, denn das erste Kindbett kostet gewöhnlich der Mutter das Leben. Diesem Schicksale erliegen sogar portugiesische Frauen im südafrikanischen Tete am Zambesi, wie es kürzlich der englische Missionär Rowley bestätigt hat. Er- folgen aber die Uebergänge zu andern Climaten stufenweise und in grossen Zeitzwischenräumen, so herrscht allerdings kein Zweifel, 1) Kane, Arctic Explorations. Philadelphia 1856. I, 297. 2) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 145. 3) Jagor, Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. S. 29.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/39
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/39>, abgerufen am 22.12.2024.