So wären wir denn zu dem Ergebniss gelangt, dass sich kein Zusammenhang zeige zwischen der höheren Lebensgefährdung an einem Wohnsitze oder der Volksnahrung und den örtlichen Reli- gionsschöpfungen. Vielleicht finden wir aber etwas brauchbares, wo wir es am wenigsten erwarten, bei den alten arabischen Geo- graphen. Schüler der alexandrinischen Griechen und mit der Gradeintheilung des Ptolemäus wohl vertraut, zerlegten sie gleich- wohl die Erde, wenn sie populär ihre Wissenschaft vortragen wollten, in Klimate, oder wie wir zu sprechen gewohnt sind, in Zonen. Diese Gürtel besassen nicht immer eine gleiche Breite, sondern ihre Abstände betrugen bald mehr, bald weniger wie sieben Grad. Jedem Gürtel, so meinte man, gehörten gewisse Erzeugnisse der drei Reiche in besonderer Vollkommenheit an, und noch am Schlusse des Mittelalters wussten es auch unsere Scholastiker nicht besser, als dass schwarze Menschen nur dicht über oder unter dem Aequator sich finden könnten, und dass Gold in Fülle sowie Edelsteine sich nicht über die Grenze des zweiten Klima's verirrten. In der Sprache dieses methodischen Irr- thums äussert Schemseddin1), nach seiner Vaterstadt Dimeschqi ge- heissen, dass die Völker heller Hautfarbe und hoher geistiger Begabung nur auf das dritte und vierte Klima oder zwischen den 20° und 33° 49' n. Br. beschränkt wären und dass unter dieser Zone alle grossen Religionsstifter, Weltweisen und Gelehrten (auch unser Damascener) geboren worden seien. Diese Zone beginnt etwas südlicher als der Parallel von Mekka (21° 21'), um vieles südlicher als der Parallel von Kapilavastu (lat. 27°), dem Geburtsort des Buddha Gautama; dagegen umfasst ihr Nordrand nicht mehr Rai (Raghes) bei Teheran und noch weniger Balch (Bactra). In einer dieser beiden Städte erblickte, wie wir schon anführten, Zoroaster das Licht dieser Welt. Jedenfalls liegt eine Wahrheit in der Beobachtung des arabischen Geographen, dass die Stifter der höheren und jetzt noch bestehenden Religionen, Zoroaster, Mose, Buddha, Christus und Mohammed, der subtropischen Zone ange- hören, denn nur der Geburtsort des jüngsten der Propheten fällt noch innerhalb des Wendekreises, liegt jedoch immerhin nur etwa 16 deutsche Meilen von dessen Grenze entfernt. Wenn wir Confutse nicht nennen, so geschieht es nicht wegen der Polhöhe seines
1) Nouvelles Annales des voyages. Paris 1860. 6 eme serie. tom. VI. p. 309.
Die Zone der Religionsstifter.
So wären wir denn zu dem Ergebniss gelangt, dass sich kein Zusammenhang zeige zwischen der höheren Lebensgefährdung an einem Wohnsitze oder der Volksnahrung und den örtlichen Reli- gionsschöpfungen. Vielleicht finden wir aber etwas brauchbares, wo wir es am wenigsten erwarten, bei den alten arabischen Geo- graphen. Schüler der alexandrinischen Griechen und mit der Gradeintheilung des Ptolemäus wohl vertraut, zerlegten sie gleich- wohl die Erde, wenn sie populär ihre Wissenschaft vortragen wollten, in Klimate, oder wie wir zu sprechen gewohnt sind, in Zonen. Diese Gürtel besassen nicht immer eine gleiche Breite, sondern ihre Abstände betrugen bald mehr, bald weniger wie sieben Grad. Jedem Gürtel, so meinte man, gehörten gewisse Erzeugnisse der drei Reiche in besonderer Vollkommenheit an, und noch am Schlusse des Mittelalters wussten es auch unsere Scholastiker nicht besser, als dass schwarze Menschen nur dicht über oder unter dem Aequator sich finden könnten, und dass Gold in Fülle sowie Edelsteine sich nicht über die Grenze des zweiten Klima’s verirrten. In der Sprache dieses methodischen Irr- thums äussert Schemseddin1), nach seiner Vaterstadt Dimeschqi ge- heissen, dass die Völker heller Hautfarbe und hoher geistiger Begabung nur auf das dritte und vierte Klima oder zwischen den 20° und 33° 49′ n. Br. beschränkt wären und dass unter dieser Zone alle grossen Religionsstifter, Weltweisen und Gelehrten (auch unser Damascener) geboren worden seien. Diese Zone beginnt etwas südlicher als der Parallel von Mekka (21° 21′), um vieles südlicher als der Parallel von Kapilavastu (lat. 27°), dem Geburtsort des Buddha Gautama; dagegen umfasst ihr Nordrand nicht mehr Rai (Raghes) bei Teheran und noch weniger Balch (Bactra). In einer dieser beiden Städte erblickte, wie wir schon anführten, Zoroaster das Licht dieser Welt. Jedenfalls liegt eine Wahrheit in der Beobachtung des arabischen Geographen, dass die Stifter der höheren und jetzt noch bestehenden Religionen, Zoroaster, Mose, Buddha, Christus und Mohammed, der subtropischen Zone ange- hören, denn nur der Geburtsort des jüngsten der Propheten fällt noch innerhalb des Wendekreises, liegt jedoch immerhin nur etwa 16 deutsche Meilen von dessen Grenze entfernt. Wenn wir Confutse nicht nennen, so geschieht es nicht wegen der Polhöhe seines
1) Nouvelles Annales des voyages. Paris 1860. 6 ème série. tom. VI. p. 309.
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Die Zone der Religionsstifter.
So wären wir denn zu dem Ergebniss gelangt, dass sich kein
Zusammenhang zeige zwischen der höheren Lebensgefährdung an
einem Wohnsitze oder der Volksnahrung und den örtlichen Reli-
gionsschöpfungen. Vielleicht finden wir aber etwas brauchbares,
wo wir es am wenigsten erwarten, bei den alten arabischen Geo-
graphen. Schüler der alexandrinischen Griechen und mit der
Gradeintheilung des Ptolemäus wohl vertraut, zerlegten sie gleich-
wohl die Erde, wenn sie populär ihre Wissenschaft vortragen
wollten, in Klimate, oder wie wir zu sprechen gewohnt sind, in
Zonen. Diese Gürtel besassen nicht immer eine gleiche Breite,
sondern ihre Abstände betrugen bald mehr, bald weniger wie
sieben Grad. Jedem Gürtel, so meinte man, gehörten gewisse
Erzeugnisse der drei Reiche in besonderer Vollkommenheit an,
und noch am Schlusse des Mittelalters wussten es auch unsere
Scholastiker nicht besser, als dass schwarze Menschen nur dicht
über oder unter dem Aequator sich finden könnten, und dass
Gold in Fülle sowie Edelsteine sich nicht über die Grenze des
zweiten Klima’s verirrten. In der Sprache dieses methodischen Irr-
thums äussert Schemseddin 1), nach seiner Vaterstadt Dimeschqi ge-
heissen, dass die Völker heller Hautfarbe und hoher geistiger
Begabung nur auf das dritte und vierte Klima oder zwischen den
20° und 33° 49′ n. Br. beschränkt wären und dass unter dieser Zone
alle grossen Religionsstifter, Weltweisen und Gelehrten (auch unser
Damascener) geboren worden seien. Diese Zone beginnt etwas
südlicher als der Parallel von Mekka (21° 21′), um vieles südlicher
als der Parallel von Kapilavastu (lat. 27°), dem Geburtsort des
Buddha Gautama; dagegen umfasst ihr Nordrand nicht mehr Rai
(Raghes) bei Teheran und noch weniger Balch (Bactra). In einer
dieser beiden Städte erblickte, wie wir schon anführten, Zoroaster
das Licht dieser Welt. Jedenfalls liegt eine Wahrheit in der
Beobachtung des arabischen Geographen, dass die Stifter der
höheren und jetzt noch bestehenden Religionen, Zoroaster, Mose,
Buddha, Christus und Mohammed, der subtropischen Zone ange-
hören, denn nur der Geburtsort des jüngsten der Propheten fällt
noch innerhalb des Wendekreises, liegt jedoch immerhin nur etwa
16 deutsche Meilen von dessen Grenze entfernt. Wenn wir Confutse
nicht nennen, so geschieht es nicht wegen der Polhöhe seines
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/350>, abgerufen am 23.12.2024.
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