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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Religion des Buddha.
Nach Erlösung seufzt die Creatur, lauten auch die Worte des
Apostels. Auf dem Hindu lastete als Judasqual die Vorstellung
einer rastlosen Erneuerung, ohne Rettung, dass das ewig rollende
Rad jemals still stehen könnte und seine Einbildungskraft sah,
beunruhigt von unheimlichen Zahlenausdrücken, in eine Zeit ohne
Grenzen hinaus, die mit jedem Schritt vorwärts ihren Horizont
ebenfalls um einen Schritt vorwärts schob. Wenn nun schon
die höchsten Kasten nach einer Entfesselung der Seele sich
sehnten, so war für die Gedrückten das Dasein ohne Abschluss
eine Folter ohne Ruhepause.

Da trat nun nach den überlieferten Angaben im 6. Jahr-
hundert vor unserer Zeitrechnung der Sohn Cuddhodana's des
Königs von Kapilavastu, aus dem Stamme Gautama und dem
Hause Cakja Namens Siddhartha mit einer Hoffnung auf Erlösung
unter das indische Volk 1). Der Anblick von körperlichen Uebeln,
von Krankheit, Alter und Tod hatten ihn zum Nachdenken an-
geregt, wie der Mensch sich wohl dem Elend des irdischen
Daseins entziehen möchte. Die Lehren brahmanischer Schulen
befriedigten ihn nicht. Er erkannte vielmehr die Nichtigkeit des
Gebetes, der Opfer und der Bussübungen. Schon diese Ver-
nichtung der schamanistischen Verirrungen sichert ihm einen
hohen Rang unter den Religionsstiftern. Er verkündete ferner
seine Lehre nicht an Geweihte und wie ein Geheimniss, sondern
er wirkte ganz im Gegensatze zu den Brahmanen durch die
öffentliche Predigt in der Volkssprache 2); er wendete sich auch
nicht an auserwählte Kasten, sondern an die gesammte Mensch-
heit. Niemals ist der Buddhismus national gewesen, sondern
weltbürgerlich geblieben bis auf den heutigen Tag. Laut ver-
kündete vielmehr der Cakjamuni, um diesen Beinamen des neuen
Religionsstifters hier einzuflechten, dass seine Lehre ein Gesetz
der Gnade für Alle sei 3), und bekannt ist die schöne Legende
von seinem Lieblingsschüler Ananda, welche so ähnlich klingt,
wie die Begegnung mit der Samariterin am Brunnen im vierten
Evangelium. Er begehrt nämlich von einem Tschandala-Mädchen,
das Wasser schöpft, einen Trunk, und als es zögert, um ihn
nicht durch Berührung zu beflecken, spricht er: "Meine Schwester,

1) Chr. Lassen, Indische Alterthumskunde. Bd. 2. S. 66.
2) Burnouf, Introduction, tom. I. p. 195.
3) Burnouf, l. c. tom. I. p. 198.

Die Religion des Buddha.
Nach Erlösung seufzt die Creatur, lauten auch die Worte des
Apostels. Auf dem Hindu lastete als Judasqual die Vorstellung
einer rastlosen Erneuerung, ohne Rettung, dass das ewig rollende
Rad jemals still stehen könnte und seine Einbildungskraft sah,
beunruhigt von unheimlichen Zahlenausdrücken, in eine Zeit ohne
Grenzen hinaus, die mit jedem Schritt vorwärts ihren Horizont
ebenfalls um einen Schritt vorwärts schob. Wenn nun schon
die höchsten Kasten nach einer Entfesselung der Seele sich
sehnten, so war für die Gedrückten das Dasein ohne Abschluss
eine Folter ohne Ruhepause.

Da trat nun nach den überlieferten Angaben im 6. Jahr-
hundert vor unserer Zeitrechnung der Sohn Çuddhôdana’s des
Königs von Kapilavastu, aus dem Stamme Gautama und dem
Hause Çâkja Namens Siddhârtha mit einer Hoffnung auf Erlösung
unter das indische Volk 1). Der Anblick von körperlichen Uebeln,
von Krankheit, Alter und Tod hatten ihn zum Nachdenken an-
geregt, wie der Mensch sich wohl dem Elend des irdischen
Daseins entziehen möchte. Die Lehren brahmanischer Schulen
befriedigten ihn nicht. Er erkannte vielmehr die Nichtigkeit des
Gebetes, der Opfer und der Bussübungen. Schon diese Ver-
nichtung der schamanistischen Verirrungen sichert ihm einen
hohen Rang unter den Religionsstiftern. Er verkündete ferner
seine Lehre nicht an Geweihte und wie ein Geheimniss, sondern
er wirkte ganz im Gegensatze zu den Brahmanen durch die
öffentliche Predigt in der Volkssprache 2); er wendete sich auch
nicht an auserwählte Kasten, sondern an die gesammte Mensch-
heit. Niemals ist der Buddhismus national gewesen, sondern
weltbürgerlich geblieben bis auf den heutigen Tag. Laut ver-
kündete vielmehr der Çákjamuni, um diesen Beinamen des neuen
Religionsstifters hier einzuflechten, dass seine Lehre ein Gesetz
der Gnade für Alle sei 3), und bekannt ist die schöne Legende
von seinem Lieblingsschüler Ananda, welche so ähnlich klingt,
wie die Begegnung mit der Samariterin am Brunnen im vierten
Evangelium. Er begehrt nämlich von einem Tschândâla-Mädchen,
das Wasser schöpft, einen Trunk, und als es zögert, um ihn
nicht durch Berührung zu beflecken, spricht er: „Meine Schwester,

1) Chr. Lassen, Indische Alterthumskunde. Bd. 2. S. 66.
2) Burnouf, Introduction, tom. I. p. 195.
3) Burnouf, l. c. tom. I. p. 198.
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[285/0303] Die Religion des Buddha. Nach Erlösung seufzt die Creatur, lauten auch die Worte des Apostels. Auf dem Hindu lastete als Judasqual die Vorstellung einer rastlosen Erneuerung, ohne Rettung, dass das ewig rollende Rad jemals still stehen könnte und seine Einbildungskraft sah, beunruhigt von unheimlichen Zahlenausdrücken, in eine Zeit ohne Grenzen hinaus, die mit jedem Schritt vorwärts ihren Horizont ebenfalls um einen Schritt vorwärts schob. Wenn nun schon die höchsten Kasten nach einer Entfesselung der Seele sich sehnten, so war für die Gedrückten das Dasein ohne Abschluss eine Folter ohne Ruhepause. Da trat nun nach den überlieferten Angaben im 6. Jahr- hundert vor unserer Zeitrechnung der Sohn Çuddhôdana’s des Königs von Kapilavastu, aus dem Stamme Gautama und dem Hause Çâkja Namens Siddhârtha mit einer Hoffnung auf Erlösung unter das indische Volk 1). Der Anblick von körperlichen Uebeln, von Krankheit, Alter und Tod hatten ihn zum Nachdenken an- geregt, wie der Mensch sich wohl dem Elend des irdischen Daseins entziehen möchte. Die Lehren brahmanischer Schulen befriedigten ihn nicht. Er erkannte vielmehr die Nichtigkeit des Gebetes, der Opfer und der Bussübungen. Schon diese Ver- nichtung der schamanistischen Verirrungen sichert ihm einen hohen Rang unter den Religionsstiftern. Er verkündete ferner seine Lehre nicht an Geweihte und wie ein Geheimniss, sondern er wirkte ganz im Gegensatze zu den Brahmanen durch die öffentliche Predigt in der Volkssprache 2); er wendete sich auch nicht an auserwählte Kasten, sondern an die gesammte Mensch- heit. Niemals ist der Buddhismus national gewesen, sondern weltbürgerlich geblieben bis auf den heutigen Tag. Laut ver- kündete vielmehr der Çákjamuni, um diesen Beinamen des neuen Religionsstifters hier einzuflechten, dass seine Lehre ein Gesetz der Gnade für Alle sei 3), und bekannt ist die schöne Legende von seinem Lieblingsschüler Ananda, welche so ähnlich klingt, wie die Begegnung mit der Samariterin am Brunnen im vierten Evangelium. Er begehrt nämlich von einem Tschândâla-Mädchen, das Wasser schöpft, einen Trunk, und als es zögert, um ihn nicht durch Berührung zu beflecken, spricht er: „Meine Schwester, 1) Chr. Lassen, Indische Alterthumskunde. Bd. 2. S. 66. 2) Burnouf, Introduction, tom. I. p. 195. 3) Burnouf, l. c. tom. I. p. 198.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/303>, abgerufen am 22.12.2024.