Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Der Schamanismus. in Baumrinde und wenn die Nacht herabsinkt, setzt er sich anein Feuer und lässt das Nahak langsam verbrennen. Ist Alles in Asche verwandelt, so hat der Zauber Kraft und der Tod dessen, von dem der Fruchtabfall herrührte, ist besiegelt. Allein die Kunde von dem nächtlichen Vorhaben verbreitet sich rasch und bei Zeiten. Weilt also in der Nähe irgendwer, dem das Gewissen mit Ver- nachlässigung seiner Speisereste belastet ist oder der schon krank darniederliegt, so lässt er von einem der Seinigen auf dem Muschel- horn blasen, zum Zeichen, dass der Schamane mit seinem Ver- nichtungswerk innehalten möge. Am nächsten Morgen werden dann Lösegelder für die Rückgabe des Nahak angeboten. Der Missionär Turner 1) erzählt, dass ihm manche Nachtruhe durch jene unheimlichen Muschelhornklänge gestört worden sei; waren doch bisweilen mehrere solcher klagenden Signale gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen hörbar. Dass die papuanischen Scha- manen ernsthaft auf ihre Kunst vertrauen, ist desshalb nicht zu bezweifeln, weil, so oft einer aus der Zunft von Krankheit und Todesfurcht befallen wird, er seinerseits ebenfalls einen Muschel- bläser ins Freie schickt. Nur gegen die Krankheiten, welche die Europäer auf die Inseln eingeschleppt haben, gestanden sich die Eingeborenen, seien alle Gegenzauber unwirksam geblieben. Die Nahakceremonie kehrt mit kleinen Abänderungen auf der Marquesas- insel Nukahiwa wieder 2), also unter reinen Polynesiern; sie findet sich ferner auf den Fidschiinseln unter dem Titel "ein Vollbringen mit Blättern" 3), ja sogar in Australien wird der Tod eines Er- krankten mit Sicherheit erwartet, wenn ein feindseliger Schamane das Pringurru, ein heilig gehaltenes Stück Bein, welches auch beim Aderlassen dient, verbrannt haben sollte 4). Begeben wir uns von Australien fast um ein Drittel des Erdkreises 1) Nineteen Years in Polynesia. p. 89--92. 2) v. Langsdorff, Reise um die Welt. Frankfurt 1812. Bd. 1. S. 135. 3) Nach Williams im Ausland 1858. S. 587. 4) Eyre, Central-Australia. tom. II. p. 360.
Der Schamanismus. in Baumrinde und wenn die Nacht herabsinkt, setzt er sich anein Feuer und lässt das Nahak langsam verbrennen. Ist Alles in Asche verwandelt, so hat der Zauber Kraft und der Tod dessen, von dem der Fruchtabfall herrührte, ist besiegelt. Allein die Kunde von dem nächtlichen Vorhaben verbreitet sich rasch und bei Zeiten. Weilt also in der Nähe irgendwer, dem das Gewissen mit Ver- nachlässigung seiner Speisereste belastet ist oder der schon krank darniederliegt, so lässt er von einem der Seinigen auf dem Muschel- horn blasen, zum Zeichen, dass der Schamane mit seinem Ver- nichtungswerk innehalten möge. Am nächsten Morgen werden dann Lösegelder für die Rückgabe des Nahak angeboten. Der Missionär Turner 1) erzählt, dass ihm manche Nachtruhe durch jene unheimlichen Muschelhornklänge gestört worden sei; waren doch bisweilen mehrere solcher klagenden Signale gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen hörbar. Dass die papuanischen Scha- manen ernsthaft auf ihre Kunst vertrauen, ist desshalb nicht zu bezweifeln, weil, so oft einer aus der Zunft von Krankheit und Todesfurcht befallen wird, er seinerseits ebenfalls einen Muschel- bläser ins Freie schickt. Nur gegen die Krankheiten, welche die Europäer auf die Inseln eingeschleppt haben, gestanden sich die Eingeborenen, seien alle Gegenzauber unwirksam geblieben. Die Nahakceremonie kehrt mit kleinen Abänderungen auf der Marquesas- insel Nukahiwa wieder 2), also unter reinen Polynesiern; sie findet sich ferner auf den Fidschiinseln unter dem Titel „ein Vollbringen mit Blättern“ 3), ja sogar in Australien wird der Tod eines Er- krankten mit Sicherheit erwartet, wenn ein feindseliger Schamane das Pringurru, ein heilig gehaltenes Stück Bein, welches auch beim Aderlassen dient, verbrannt haben sollte 4). Begeben wir uns von Australien fast um ein Drittel des Erdkreises 1) Nineteen Years in Polynesia. p. 89—92. 2) v. Langsdorff, Reise um die Welt. Frankfurt 1812. Bd. 1. S. 135. 3) Nach Williams im Ausland 1858. S. 587. 4) Eyre, Central-Australia. tom. II. p. 360.
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Der Schamanismus.
in Baumrinde und wenn die Nacht herabsinkt, setzt er sich an
ein Feuer und lässt das Nahak langsam verbrennen. Ist Alles in
Asche verwandelt, so hat der Zauber Kraft und der Tod dessen,
von dem der Fruchtabfall herrührte, ist besiegelt. Allein die Kunde
von dem nächtlichen Vorhaben verbreitet sich rasch und bei Zeiten.
Weilt also in der Nähe irgendwer, dem das Gewissen mit Ver-
nachlässigung seiner Speisereste belastet ist oder der schon krank
darniederliegt, so lässt er von einem der Seinigen auf dem Muschel-
horn blasen, zum Zeichen, dass der Schamane mit seinem Ver-
nichtungswerk innehalten möge. Am nächsten Morgen werden
dann Lösegelder für die Rückgabe des Nahak angeboten. Der
Missionär Turner 1) erzählt, dass ihm manche Nachtruhe durch
jene unheimlichen Muschelhornklänge gestört worden sei; waren
doch bisweilen mehrere solcher klagenden Signale gleichzeitig aus
verschiedenen Richtungen hörbar. Dass die papuanischen Scha-
manen ernsthaft auf ihre Kunst vertrauen, ist desshalb nicht zu
bezweifeln, weil, so oft einer aus der Zunft von Krankheit und
Todesfurcht befallen wird, er seinerseits ebenfalls einen Muschel-
bläser ins Freie schickt. Nur gegen die Krankheiten, welche die
Europäer auf die Inseln eingeschleppt haben, gestanden sich die
Eingeborenen, seien alle Gegenzauber unwirksam geblieben. Die
Nahakceremonie kehrt mit kleinen Abänderungen auf der Marquesas-
insel Nukahiwa wieder 2), also unter reinen Polynesiern; sie findet
sich ferner auf den Fidschiinseln unter dem Titel „ein Vollbringen
mit Blättern“ 3), ja sogar in Australien wird der Tod eines Er-
krankten mit Sicherheit erwartet, wenn ein feindseliger Schamane
das Pringurru, ein heilig gehaltenes Stück Bein, welches auch beim
Aderlassen dient, verbrannt haben sollte 4).
Begeben wir uns von Australien fast um ein Drittel des Erdkreises
nach Süd-Afrika, so erfahren wir, dass die Kafir-Fürsten, bevor
sie zum Krieg ausrücken, vor den Augen der Ihrigen, um deren
Muth zu erhöhen, einen Kleidungsfetzen, einen Speerschaft, eine
Tabaksdose, kurz irgendeinen Gegenstand vorzeigen, den sie sich
aus der Habe ihres Gegners zu verschaffen gewusst haben. Der
1) Nineteen Years in Polynesia. p. 89—92.
2) v. Langsdorff, Reise um die Welt. Frankfurt 1812. Bd. 1. S. 135.
3) Nach Williams im Ausland 1858. S. 587.
4) Eyre, Central-Australia. tom. II. p. 360.
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