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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
sich mit der Mythenbildung fast immer die darstellenden Künste in
Bewegung und es mag dann der Bildhauer oder Maler noch so
sehr in der Gottdarstellung die Menschengestalt verklären, das
sinnliche Abbild wird vor der verehrungsgierigen Menge alsbald
zum Abgott, der seine Wunder verrichtet, der als bewegliche Sache
in das Eigenthum einer Gemeinde übergeht und schliesslich durch
die Thorheit der Mehrzahl zum Fetisch herabsinkt.

Eine andere Richtung schlägt die religiöse Verehrung ein,
wenn sie sich mit dem Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode
verknüpft. Dieser Glaube ist bei den amerikanischen Urbewohnern
fast ausnahmslos, dann auch bei Polynesiern, Papuanen und
Australiern, bei der Mehrzahl der Asiaten, bei den Bewohnern
Europa's im Alterthume, bei allen Hamiten Nord-Afrika's vom
Nil bis zu den Canarien angetroffen worden. Wo unmittelbare
Zeugnisse fehlen, kann aus der Bestattungsweise der Todten auf
den Unsterblichkeitsglauben geschlossen werden. Wenn wir über
die Vorstellungen der Aegypter von einem künftigen Leben nicht
besser unterrichtet wären, würden wir doch aus dem Umstande,
dass sie ihre Mumien mit Weizen versahen, um sie mit dem Saat-
korn nach der Auferstehung auszustatten, deutlich ihre Erwartungen
erkennen. So wird uns auch die Hoffnung auf ein Jenseits bei
den Altbabyloniern dadurch bestätigt, dass in ihren Gräbern sich
stets Dattelkerne vorfinden1) und das Gleiche gilt von den An-
wohnern des caribischen Golfes, die ihren Todten Maiskörner in
die Hand geben. Die Opfer von Menschen an den Gräbern von
Häuptlingen oder Königen, wie es die Ada oder "grosse Sitte"
vorschreibt, bezeugt uns den Unsterblichkeitsglauben in Dahome
und das Erdrosseln der Frauen beim Tode eines Fürsten bestätigt
uns das Nämliche für die Fidschi-Inselgruppe. Oder wenn wir
nichts Näheres über die Ansichten der geistig so hoch begabten,
früher so gröblich unterschätzten Hottentotten2) wüssten, so würde
es schon genügen, dass sie den Verstorbenen vor der Beerdigung
dieselbe Stellung geben, die sie einst als Keim im Mutter-
schoosse eingenommen hatten, denn die Bedeutung dieses sinnigen
Brauches ist es, dass die Todten einer neuen Geburt im Dunkel
der Erde entgegenreifen sollen. Da unentwickelte Völker, wie

1) Rawlinson, The five great monarchies, tom. I. p. 107.
2) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 578.

Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
sich mit der Mythenbildung fast immer die darstellenden Künste in
Bewegung und es mag dann der Bildhauer oder Maler noch so
sehr in der Gottdarstellung die Menschengestalt verklären, das
sinnliche Abbild wird vor der verehrungsgierigen Menge alsbald
zum Abgott, der seine Wunder verrichtet, der als bewegliche Sache
in das Eigenthum einer Gemeinde übergeht und schliesslich durch
die Thorheit der Mehrzahl zum Fetisch herabsinkt.

Eine andere Richtung schlägt die religiöse Verehrung ein,
wenn sie sich mit dem Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode
verknüpft. Dieser Glaube ist bei den amerikanischen Urbewohnern
fast ausnahmslos, dann auch bei Polynesiern, Papuanen und
Australiern, bei der Mehrzahl der Asiaten, bei den Bewohnern
Europa’s im Alterthume, bei allen Hamiten Nord-Afrika’s vom
Nil bis zu den Canarien angetroffen worden. Wo unmittelbare
Zeugnisse fehlen, kann aus der Bestattungsweise der Todten auf
den Unsterblichkeitsglauben geschlossen werden. Wenn wir über
die Vorstellungen der Aegypter von einem künftigen Leben nicht
besser unterrichtet wären, würden wir doch aus dem Umstande,
dass sie ihre Mumien mit Weizen versahen, um sie mit dem Saat-
korn nach der Auferstehung auszustatten, deutlich ihre Erwartungen
erkennen. So wird uns auch die Hoffnung auf ein Jenseits bei
den Altbabyloniern dadurch bestätigt, dass in ihren Gräbern sich
stets Dattelkerne vorfinden1) und das Gleiche gilt von den An-
wohnern des caribischen Golfes, die ihren Todten Maiskörner in
die Hand geben. Die Opfer von Menschen an den Gräbern von
Häuptlingen oder Königen, wie es die Ada oder „grosse Sitte“
vorschreibt, bezeugt uns den Unsterblichkeitsglauben in Dahome
und das Erdrosseln der Frauen beim Tode eines Fürsten bestätigt
uns das Nämliche für die Fidschi-Inselgruppe. Oder wenn wir
nichts Näheres über die Ansichten der geistig so hoch begabten,
früher so gröblich unterschätzten Hottentotten2) wüssten, so würde
es schon genügen, dass sie den Verstorbenen vor der Beerdigung
dieselbe Stellung geben, die sie einst als Keim im Mutter-
schoosse eingenommen hatten, denn die Bedeutung dieses sinnigen
Brauches ist es, dass die Todten einer neuen Geburt im Dunkel
der Erde entgegenreifen sollen. Da unentwickelte Völker, wie

1) Rawlinson, The five great monarchies, tom. I. p. 107.
2) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 578.
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[270/0288] Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern. sich mit der Mythenbildung fast immer die darstellenden Künste in Bewegung und es mag dann der Bildhauer oder Maler noch so sehr in der Gottdarstellung die Menschengestalt verklären, das sinnliche Abbild wird vor der verehrungsgierigen Menge alsbald zum Abgott, der seine Wunder verrichtet, der als bewegliche Sache in das Eigenthum einer Gemeinde übergeht und schliesslich durch die Thorheit der Mehrzahl zum Fetisch herabsinkt. Eine andere Richtung schlägt die religiöse Verehrung ein, wenn sie sich mit dem Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode verknüpft. Dieser Glaube ist bei den amerikanischen Urbewohnern fast ausnahmslos, dann auch bei Polynesiern, Papuanen und Australiern, bei der Mehrzahl der Asiaten, bei den Bewohnern Europa’s im Alterthume, bei allen Hamiten Nord-Afrika’s vom Nil bis zu den Canarien angetroffen worden. Wo unmittelbare Zeugnisse fehlen, kann aus der Bestattungsweise der Todten auf den Unsterblichkeitsglauben geschlossen werden. Wenn wir über die Vorstellungen der Aegypter von einem künftigen Leben nicht besser unterrichtet wären, würden wir doch aus dem Umstande, dass sie ihre Mumien mit Weizen versahen, um sie mit dem Saat- korn nach der Auferstehung auszustatten, deutlich ihre Erwartungen erkennen. So wird uns auch die Hoffnung auf ein Jenseits bei den Altbabyloniern dadurch bestätigt, dass in ihren Gräbern sich stets Dattelkerne vorfinden 1) und das Gleiche gilt von den An- wohnern des caribischen Golfes, die ihren Todten Maiskörner in die Hand geben. Die Opfer von Menschen an den Gräbern von Häuptlingen oder Königen, wie es die Ada oder „grosse Sitte“ vorschreibt, bezeugt uns den Unsterblichkeitsglauben in Dahome und das Erdrosseln der Frauen beim Tode eines Fürsten bestätigt uns das Nämliche für die Fidschi-Inselgruppe. Oder wenn wir nichts Näheres über die Ansichten der geistig so hoch begabten, früher so gröblich unterschätzten Hottentotten 2) wüssten, so würde es schon genügen, dass sie den Verstorbenen vor der Beerdigung dieselbe Stellung geben, die sie einst als Keim im Mutter- schoosse eingenommen hatten, denn die Bedeutung dieses sinnigen Brauches ist es, dass die Todten einer neuen Geburt im Dunkel der Erde entgegenreifen sollen. Da unentwickelte Völker, wie 1) Rawlinson, The five great monarchies, tom. I. p. 107. 2) Kolbe, Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 578.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/288>, abgerufen am 23.12.2024.