Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. weise durch einen ausserordentlich begabten, physisch und geistiggeadelten Menschenstamm, durch die Cariben, verdrängt worden, denen wir ihre völlige Nacktheit, den Hang zum Seeraub, das Gelüste nach Menschenfleisch und das Salben ihrer Pfeile mit Gift nicht allzuhoch anrechnen dürfen. Die Inselcariben, deren Sprache sich nur als Mundart von dem Caribischen des Festlandes unter- schied, hatten bereits die sogenannten kleinen Antillen erobert, die östliche Hälfte von Puertorico besetzt, und erstreckten ihren Menschenraub sogar bis nach Haiti, wo einzelne ihrer Abenteurer Reiche gegründet und ältere Ankömmlinge sich der Landschaften am Ostrande bemächtigt hatten. Ihre Kriegsschiffe oder Piroguen, 40 Fuss lang, und so breit, dass ein spanisches Fass (pipa) über quer darin Platz hatte, trugen 50 Seeleute, und wurden entweder mit Baumwollensegeln oder durch Ruder nach dem Tacte eines Vorsingers bewegt. Dass sie Seeräuber waren, darf niemanden anstössig erscheinen, er müsste sonst bei Thucydides nachlesen, wie die Hellenen durch das gleiche Gewerbe zur Seemacht ge- worden sind. Das Piratenhandwerk gehört in der That zu den Entwicklungskrankheiten des Völkerverkehres. Daher sind auch bis auf unser Jahrhundert die Seegebräuche noch äusserst roh geblieben. Viele der gefeierten britischen Weltumsegler und Ent- decker des 16. und 17. Jahrhunderts waren zugleich Seeräuber, ja die westindische Handelsgesellschaft der Holländer konnte nur deswegen ihren Theilnehmern fabelhafte Gewinne bezahlen, weil ihre Schiffe die spanischen Silberflotten abfingen. Der damalige Kriegsgebrauch adelte freilich den Seeraub. Wie sich an der Berührungsstelle der Antillen und des süd- Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. weise durch einen ausserordentlich begabten, physisch und geistiggeadelten Menschenstamm, durch die Cariben, verdrängt worden, denen wir ihre völlige Nacktheit, den Hang zum Seeraub, das Gelüste nach Menschenfleisch und das Salben ihrer Pfeile mit Gift nicht allzuhoch anrechnen dürfen. Die Inselcariben, deren Sprache sich nur als Mundart von dem Caribischen des Festlandes unter- schied, hatten bereits die sogenannten kleinen Antillen erobert, die östliche Hälfte von Puertorico besetzt, und erstreckten ihren Menschenraub sogar bis nach Haiti, wo einzelne ihrer Abenteurer Reiche gegründet und ältere Ankömmlinge sich der Landschaften am Ostrande bemächtigt hatten. Ihre Kriegsschiffe oder Piroguen, 40 Fuss lang, und so breit, dass ein spanisches Fass (pipa) über quer darin Platz hatte, trugen 50 Seeleute, und wurden entweder mit Baumwollensegeln oder durch Ruder nach dem Tacte eines Vorsingers bewegt. Dass sie Seeräuber waren, darf niemanden anstössig erscheinen, er müsste sonst bei Thucydides nachlesen, wie die Hellenen durch das gleiche Gewerbe zur Seemacht ge- worden sind. Das Piratenhandwerk gehört in der That zu den Entwicklungskrankheiten des Völkerverkehres. Daher sind auch bis auf unser Jahrhundert die Seegebräuche noch äusserst roh geblieben. Viele der gefeierten britischen Weltumsegler und Ent- decker des 16. und 17. Jahrhunderts waren zugleich Seeräuber, ja die westindische Handelsgesellschaft der Holländer konnte nur deswegen ihren Theilnehmern fabelhafte Gewinne bezahlen, weil ihre Schiffe die spanischen Silberflotten abfingen. Der damalige Kriegsgebrauch adelte freilich den Seeraub. 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Es war 8 Fuss breit und so gross „wie eine Galeere“,<lb/> auch mit einem Palmblätterdach versehen zum Schutz der Waaren,<lb/> die in Zeugen und Kleidungsstücken, hölzernen Schwertern mit<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0232]
Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
weise durch einen ausserordentlich begabten, physisch und geistig
geadelten Menschenstamm, durch die Cariben, verdrängt worden,
denen wir ihre völlige Nacktheit, den Hang zum Seeraub, das
Gelüste nach Menschenfleisch und das Salben ihrer Pfeile mit Gift
nicht allzuhoch anrechnen dürfen. Die Inselcariben, deren Sprache
sich nur als Mundart von dem Caribischen des Festlandes unter-
schied, hatten bereits die sogenannten kleinen Antillen erobert,
die östliche Hälfte von Puertorico besetzt, und erstreckten ihren
Menschenraub sogar bis nach Haiti, wo einzelne ihrer Abenteurer
Reiche gegründet und ältere Ankömmlinge sich der Landschaften
am Ostrande bemächtigt hatten. Ihre Kriegsschiffe oder Piroguen,
40 Fuss lang, und so breit, dass ein spanisches Fass (pipa) über
quer darin Platz hatte, trugen 50 Seeleute, und wurden entweder
mit Baumwollensegeln oder durch Ruder nach dem Tacte eines
Vorsingers bewegt. Dass sie Seeräuber waren, darf niemanden
anstössig erscheinen, er müsste sonst bei Thucydides nachlesen,
wie die Hellenen durch das gleiche Gewerbe zur Seemacht ge-
worden sind. Das Piratenhandwerk gehört in der That zu den
Entwicklungskrankheiten des Völkerverkehres. Daher sind auch
bis auf unser Jahrhundert die Seegebräuche noch äusserst roh
geblieben. Viele der gefeierten britischen Weltumsegler und Ent-
decker des 16. und 17. Jahrhunderts waren zugleich Seeräuber,
ja die westindische Handelsgesellschaft der Holländer konnte nur
deswegen ihren Theilnehmern fabelhafte Gewinne bezahlen, weil
ihre Schiffe die spanischen Silberflotten abfingen. Der damalige
Kriegsgebrauch adelte freilich den Seeraub.
Wie sich an der Berührungsstelle der Antillen und des süd-
amerikanischen Festlandes die Cariben für ihre Piratenzüge aus-
bildeten, so begegnen wir da, wo Cuba sich dem mittelamerika-
nischen Gestade nähert, den Yucateken, einem sehr hohen Cultur-
volk. Von Seeraub ist hier schon nicht mehr die Rede, wohl
aber stiess Colón, der Entdecker Amerikas, auf seiner vierten Reise,
als er von der Fichteninsel Guanaja (Bay Islands) nach der Küste
von Honduras steuerte, auf ein yucatekisches Marktschiff, welches,
wenn es der Küste entlang fuhr, mindestens 90 deutsche Meilen
zurücklegen musste, ehe es den nächsten nationalen Hafen er-
reichte. Es war 8 Fuss breit und so gross „wie eine Galeere“,
auch mit einem Palmblätterdach versehen zum Schutz der Waaren,
die in Zeugen und Kleidungsstücken, hölzernen Schwertern mit
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