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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
insel Aljaska, die wie ein Arm nach Nordasien sich hinüber-
streckt, ja an dem ausgebreiteten Arm schwebt noch wie eine
Schnur Perlen die Inselkette der Aleuten, welche einen, wenn auch
lückenhaften Uebergang nach Kamtschatka vermittelt. Diess war,
wenn man von Prädestination reden dürfte, der vorausbeschiedene
Pfad einer Culturvereinigung zwischen der alten Welt und der
neuen Welt, und wenn nicht schon im Jahre 1492 Amerika unter
spanischer Flagge entdeckt worden wäre, sondern wenn Europa
die Reife des Jahres 1492 erst ein halbes Jahrtausend später er-
reicht hätte, so wären uns asiatische Culturvölker, nämlich die
Japanesen, mit der Entdeckung Amerikas auf dem östlichen See-
wege zuvorgekommen. Wir denken dabei an nichts weniger, als
dass japanische Seefahrer über den Stillen Ocean verweht worden
sind wie 1832 und 1833 nach den Sandwichinseln und nach Ame-
rika selbst in die Nähe der De Fuca-Strasse, denn die Geschichte
kennt keinen Fall, dass durch Entdeckungen verschlagener oder
schiffbrüchiger Seeleute irgend eine folgenschwere Verbindung mit
fremden Erdräumen eingeleitet worden wäre1). Wir beziehen uns
vielmehr darauf, dass schon vor den Russen die Japanesen die
Kurilen besuchten, ja die südlichen Inseln bereits besetzt hatten,
und drei Mal 1697, 1710 und 1729 Kunde nach Russland gelangte,
dass japanesische Handelsschiffe bis nach Kamtschatka vorgedrungen
waren, so dass, wenn ihnen die Russen nicht zuvorgekommen
wären, sie gerade so wie diese im Laufe der Jahrhunderte durch
den Pelzhandel von den Kurilen nach den Aleuten und von dort
nach Amerika geführt worden wären.

Nichts begünstigt die Ausbildung der Seetüchtigkeit besser
als Inseln, die einer Küste nahe liegen. So hat die Nähe Elbas

1) Allerdings könnte man vielleicht an die Fahrt von Bjarne Herjulfsson
denken, der im Jahre 1000 Grönland aufsuchen wollte und durch einen ver-
fehlten Schiffslauf Amerika, wahrscheinlich Labrador, entdeckte. Allein dieses
zufällige Bekanntwerden der Normannen mit Amerika ist ohne einen cultur-
geschichtlichen Erfolg geblieben. Dann möchte vielleicht auch des Portu-
giesen Cabral gedacht werden, der auf der zweiten Fahrt nach dem asia-
tischen Indien begriffen, Brasilien entdeckte. Es war jedoch kein Zufall,
sondern wegen der im atlantischen Meer herrschenden Passate eine physische
Nothwendigkeit, dass die Nachfolger Vasco da Gamas auf ihren Fahrten nach
dem Cap der guten Hoffnung früher oder später in Sicht von Südamerika ge-
rathen mussten.
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Fahrzeuge und Seetüchtigkeit.
insel Aljaska, die wie ein Arm nach Nordasien sich hinüber-
streckt, ja an dem ausgebreiteten Arm schwebt noch wie eine
Schnur Perlen die Inselkette der Alëuten, welche einen, wenn auch
lückenhaften Uebergang nach Kamtschatka vermittelt. Diess war,
wenn man von Prädestination reden dürfte, der vorausbeschiedene
Pfad einer Culturvereinigung zwischen der alten Welt und der
neuen Welt, und wenn nicht schon im Jahre 1492 Amerika unter
spanischer Flagge entdeckt worden wäre, sondern wenn Europa
die Reife des Jahres 1492 erst ein halbes Jahrtausend später er-
reicht hätte, so wären uns asiatische Culturvölker, nämlich die
Japanesen, mit der Entdeckung Amerikas auf dem östlichen See-
wege zuvorgekommen. Wir denken dabei an nichts weniger, als
dass japanische Seefahrer über den Stillen Ocean verweht worden
sind wie 1832 und 1833 nach den Sandwichinseln und nach Ame-
rika selbst in die Nähe der De Fuca-Strasse, denn die Geschichte
kennt keinen Fall, dass durch Entdeckungen verschlagener oder
schiffbrüchiger Seeleute irgend eine folgenschwere Verbindung mit
fremden Erdräumen eingeleitet worden wäre1). Wir beziehen uns
vielmehr darauf, dass schon vor den Russen die Japanesen die
Kurilen besuchten, ja die südlichen Inseln bereits besetzt hatten,
und drei Mal 1697, 1710 und 1729 Kunde nach Russland gelangte,
dass japanesische Handelsschiffe bis nach Kamtschatka vorgedrungen
waren, so dass, wenn ihnen die Russen nicht zuvorgekommen
wären, sie gerade so wie diese im Laufe der Jahrhunderte durch
den Pelzhandel von den Kurilen nach den Alëuten und von dort
nach Amerika geführt worden wären.

Nichts begünstigt die Ausbildung der Seetüchtigkeit besser
als Inseln, die einer Küste nahe liegen. So hat die Nähe Elbas

1) Allerdings könnte man vielleicht an die Fahrt von Bjarne Herjulfsson
denken, der im Jahre 1000 Grönland aufsuchen wollte und durch einen ver-
fehlten Schiffslauf Amerika, wahrscheinlich Labrador, entdeckte. Allein dieses
zufällige Bekanntwerden der Normannen mit Amerika ist ohne einen cultur-
geschichtlichen Erfolg geblieben. Dann möchte vielleicht auch des Portu-
giesen Cabral gedacht werden, der auf der zweiten Fahrt nach dem asia-
tischen Indien begriffen, Brasilien entdeckte. Es war jedoch kein Zufall,
sondern wegen der im atlantischen Meer herrschenden Passate eine physische
Nothwendigkeit, dass die Nachfolger Vasco da Gamas auf ihren Fahrten nach
dem Cap der guten Hoffnung früher oder später in Sicht von Südamerika ge-
rathen mussten.
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[211/0229] Fahrzeuge und Seetüchtigkeit. insel Aljaska, die wie ein Arm nach Nordasien sich hinüber- streckt, ja an dem ausgebreiteten Arm schwebt noch wie eine Schnur Perlen die Inselkette der Alëuten, welche einen, wenn auch lückenhaften Uebergang nach Kamtschatka vermittelt. Diess war, wenn man von Prädestination reden dürfte, der vorausbeschiedene Pfad einer Culturvereinigung zwischen der alten Welt und der neuen Welt, und wenn nicht schon im Jahre 1492 Amerika unter spanischer Flagge entdeckt worden wäre, sondern wenn Europa die Reife des Jahres 1492 erst ein halbes Jahrtausend später er- reicht hätte, so wären uns asiatische Culturvölker, nämlich die Japanesen, mit der Entdeckung Amerikas auf dem östlichen See- wege zuvorgekommen. Wir denken dabei an nichts weniger, als dass japanische Seefahrer über den Stillen Ocean verweht worden sind wie 1832 und 1833 nach den Sandwichinseln und nach Ame- rika selbst in die Nähe der De Fuca-Strasse, denn die Geschichte kennt keinen Fall, dass durch Entdeckungen verschlagener oder schiffbrüchiger Seeleute irgend eine folgenschwere Verbindung mit fremden Erdräumen eingeleitet worden wäre 1). Wir beziehen uns vielmehr darauf, dass schon vor den Russen die Japanesen die Kurilen besuchten, ja die südlichen Inseln bereits besetzt hatten, und drei Mal 1697, 1710 und 1729 Kunde nach Russland gelangte, dass japanesische Handelsschiffe bis nach Kamtschatka vorgedrungen waren, so dass, wenn ihnen die Russen nicht zuvorgekommen wären, sie gerade so wie diese im Laufe der Jahrhunderte durch den Pelzhandel von den Kurilen nach den Alëuten und von dort nach Amerika geführt worden wären. Nichts begünstigt die Ausbildung der Seetüchtigkeit besser als Inseln, die einer Küste nahe liegen. So hat die Nähe Elbas 1) Allerdings könnte man vielleicht an die Fahrt von Bjarne Herjulfsson denken, der im Jahre 1000 Grönland aufsuchen wollte und durch einen ver- fehlten Schiffslauf Amerika, wahrscheinlich Labrador, entdeckte. Allein dieses zufällige Bekanntwerden der Normannen mit Amerika ist ohne einen cultur- geschichtlichen Erfolg geblieben. Dann möchte vielleicht auch des Portu- giesen Cabral gedacht werden, der auf der zweiten Fahrt nach dem asia- tischen Indien begriffen, Brasilien entdeckte. Es war jedoch kein Zufall, sondern wegen der im atlantischen Meer herrschenden Passate eine physische Nothwendigkeit, dass die Nachfolger Vasco da Gamas auf ihren Fahrten nach dem Cap der guten Hoffnung früher oder später in Sicht von Südamerika ge- rathen mussten. 14*

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/229>, abgerufen am 27.04.2024.