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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Bekleidung und Obdach.

Da sehr viele Thiere und zwar sogar niedrige Thiere gegen
die Unbilden der Witterung einen künstlichen Schutz sich ver-
schaffen, und kein Menschenstamm auf Erden ohne irgend ein
Obdach getroffen worden ist, so sind die ersten Regungen der
Baulust so alt, wie unser Geschlecht selbst. Den ältesten Spuren
unsrer Vorfahren sind wir in Höhlen begegnet, aber wir dürfen
darum nicht schliessen, dass solche natürliche Zufluchtstätten, die
doch nur felsigen Strichen und zwar vorzugsweise dem Kalk-
gebirge angehören, die ältesten Wohnstätten des Menschen ge-
wesen sein oder die Anregung zu den ersten künstlichen Deckungs-
mitteln gegeben haben sollten. Die Buschmänner, wenn sie
auf ihren Streifzügen ihre Höhlen verlassen, bedecken sich mit
Sand so oft sie im Freien übernachten oder flechten sich im
Dickicht aus Aesten und Reissig ein Wetterdach. In der milden
Jahreszeit schützen sich die Australier mit Windschirmen aus
Laub, sonst aber spannen sie abgelöste Baumrinden, oft 12 Fuss
lang und 8--10 Fuss breit, über ein kegelförmiges Gerüst zelt-
artig aus 1). Ein ähnliches Sommerzelt, aus Birkenrinde zu-
sammengenähet, genügt den Ostjaken Sibiriens 2). und nicht viel
besser beschreibt der Jesuit Charlevoix das Obdach vieler Jäger-
stämme in Canada 3).

Im äussersten Norden der alten und der neuen Welt jenseits
der Baumgrenze oder schon dort, wo die Baumstämme nicht mehr
die nöthigen Durchmesser besitzen, oder endlich auf den baum-
losen Steppen werden die Rindenwände durch Thierfelle ersetzt.
So reicht das Lederzelt von Lappland 4) durch ganz Sibirien, bis in
die Prairien der Vereinigten Staaten zum 35. Breitengrade 5). Im
äquatorialen und im südlichen Amerika verschwindet es, um noch
einmal bei den Patagoniern wiederzukehren, die ein Geripp aus
Stangen mit zusammengenähten Guanacohäuten bedecken 6). Das
Zelt aus Filz, eine Erfindung der uralaltaischen Völker, gehört

1) Dumont d'Urville, Voyage de l'Astrolabe. tom. I. p. 407. Atlas
pl. 18.
2) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 57.
3) Nouvelle France, tom. III., p. 334.
4) Siehe die Abbildung lappländischer Sommerzelte bei J. A. Frijs im
Globus. 1873. Bd. XXIII. Nr. 3. S. 34.
5) Möllhausen, vom Mississippi nach der Südsee. S. 134.
6) Musters, im Journ. of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 197.
Bekleidung und Obdach.

Da sehr viele Thiere und zwar sogar niedrige Thiere gegen
die Unbilden der Witterung einen künstlichen Schutz sich ver-
schaffen, und kein Menschenstamm auf Erden ohne irgend ein
Obdach getroffen worden ist, so sind die ersten Regungen der
Baulust so alt, wie unser Geschlecht selbst. Den ältesten Spuren
unsrer Vorfahren sind wir in Höhlen begegnet, aber wir dürfen
darum nicht schliessen, dass solche natürliche Zufluchtstätten, die
doch nur felsigen Strichen und zwar vorzugsweise dem Kalk-
gebirge angehören, die ältesten Wohnstätten des Menschen ge-
wesen sein oder die Anregung zu den ersten künstlichen Deckungs-
mitteln gegeben haben sollten. Die Buschmänner, wenn sie
auf ihren Streifzügen ihre Höhlen verlassen, bedecken sich mit
Sand so oft sie im Freien übernachten oder flechten sich im
Dickicht aus Aesten und Reissig ein Wetterdach. In der milden
Jahreszeit schützen sich die Australier mit Windschirmen aus
Laub, sonst aber spannen sie abgelöste Baumrinden, oft 12 Fuss
lang und 8—10 Fuss breit, über ein kegelförmiges Gerüst zelt-
artig aus 1). Ein ähnliches Sommerzelt, aus Birkenrinde zu-
sammengenähet, genügt den Ostjaken Sibiriens 2). und nicht viel
besser beschreibt der Jesuit Charlevoix das Obdach vieler Jäger-
stämme in Canada 3).

Im äussersten Norden der alten und der neuen Welt jenseits
der Baumgrenze oder schon dort, wo die Baumstämme nicht mehr
die nöthigen Durchmesser besitzen, oder endlich auf den baum-
losen Steppen werden die Rindenwände durch Thierfelle ersetzt.
So reicht das Lederzelt von Lappland 4) durch ganz Sibirien, bis in
die Prairien der Vereinigten Staaten zum 35. Breitengrade 5). Im
äquatorialen und im südlichen Amerika verschwindet es, um noch
einmal bei den Patagoniern wiederzukehren, die ein Geripp aus
Stangen mit zusammengenähten Guanacohäuten bedecken 6). Das
Zelt aus Filz, eine Erfindung der uralaltaischen Völker, gehört

1) Dumont d’Urville, Voyage de l’Astrolabe. tom. I. p. 407. Atlas
pl. 18.
2) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 57.
3) Nouvelle France, tom. III., p. 334.
4) Siehe die Abbildung lappländischer Sommerzelte bei J. A. Frijs im
Globus. 1873. Bd. XXIII. Nr. 3. S. 34.
5) Möllhausen, vom Mississippi nach der Südsee. S. 134.
6) Musters, im Journ. of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 197.
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[185/0203] Bekleidung und Obdach. Da sehr viele Thiere und zwar sogar niedrige Thiere gegen die Unbilden der Witterung einen künstlichen Schutz sich ver- schaffen, und kein Menschenstamm auf Erden ohne irgend ein Obdach getroffen worden ist, so sind die ersten Regungen der Baulust so alt, wie unser Geschlecht selbst. Den ältesten Spuren unsrer Vorfahren sind wir in Höhlen begegnet, aber wir dürfen darum nicht schliessen, dass solche natürliche Zufluchtstätten, die doch nur felsigen Strichen und zwar vorzugsweise dem Kalk- gebirge angehören, die ältesten Wohnstätten des Menschen ge- wesen sein oder die Anregung zu den ersten künstlichen Deckungs- mitteln gegeben haben sollten. Die Buschmänner, wenn sie auf ihren Streifzügen ihre Höhlen verlassen, bedecken sich mit Sand so oft sie im Freien übernachten oder flechten sich im Dickicht aus Aesten und Reissig ein Wetterdach. In der milden Jahreszeit schützen sich die Australier mit Windschirmen aus Laub, sonst aber spannen sie abgelöste Baumrinden, oft 12 Fuss lang und 8—10 Fuss breit, über ein kegelförmiges Gerüst zelt- artig aus 1). Ein ähnliches Sommerzelt, aus Birkenrinde zu- sammengenähet, genügt den Ostjaken Sibiriens 2). und nicht viel besser beschreibt der Jesuit Charlevoix das Obdach vieler Jäger- stämme in Canada 3). Im äussersten Norden der alten und der neuen Welt jenseits der Baumgrenze oder schon dort, wo die Baumstämme nicht mehr die nöthigen Durchmesser besitzen, oder endlich auf den baum- losen Steppen werden die Rindenwände durch Thierfelle ersetzt. So reicht das Lederzelt von Lappland 4) durch ganz Sibirien, bis in die Prairien der Vereinigten Staaten zum 35. Breitengrade 5). Im äquatorialen und im südlichen Amerika verschwindet es, um noch einmal bei den Patagoniern wiederzukehren, die ein Geripp aus Stangen mit zusammengenähten Guanacohäuten bedecken 6). Das Zelt aus Filz, eine Erfindung der uralaltaischen Völker, gehört 1) Dumont d’Urville, Voyage de l’Astrolabe. tom. I. p. 407. Atlas pl. 18. 2) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 57. 3) Nouvelle France, tom. III., p. 334. 4) Siehe die Abbildung lappländischer Sommerzelte bei J. A. Frijs im Globus. 1873. Bd. XXIII. Nr. 3. S. 34. 5) Möllhausen, vom Mississippi nach der Südsee. S. 134. 6) Musters, im Journ. of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 197.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/203>, abgerufen am 22.12.2024.