Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Bekleidung und Obdach.
rosetten des Phormium tenax oder neuseeländischen Hanfes einen
vorzüglichen Faserstoff und erfanden selbständig die Kunst der
Zubereitung und die Anfertigung einer Art Leinwand. Die Nutz-
barkeit der Baumwolle ist in beiden Welten erkannt worden, denn
die Bewohner Amerikas sind durch eignes Nachdenken, nicht durch
fremde Anleitung, dazu gekommen aus ihrem einheimischen Er-
zeugnisse Faden zu drehen und diese in Gewebe zu verwandeln.
Im alten Aegypten war die Baumwolle heimisch und wurde eben-
falls zu Zeugen verwebt 1). Doch drängte die Vorliebe für Lein-
wand sie völlig in den Hintergrund. Selbst in Syrien finden wir
schon in den frühesten Zeiten die Baumwolle eingebürgert. Wenn
nämlich unser Wort Kattun zunächst vom englischen cotton abzu-
leiten ist, so stammt doch dieses wieder von keton, was mit ge-
ringen vocalischen Abweichungen in allen semitischen Sprachen
Baumwolle bezeichnet und im Neuarabischen noch kutn lautet 2).
Baumwollengewebe, nicht Leinwand, brachten daher unter dem
Namen kitonet oder ketonet phönicische Seefahrer nach griechi-
schen Häfen und von jenem Ausdruck entstanden dann Wörter
wie khiton und kithon. Das Wort für Lein, im Griechischen und
Lateinischen ursprünglich schwankend gebraucht, geht wenig ver-
ändert von seiner lateinischen Form durch die baskische, die kel-
tischen und die germanischen Sprachen 3), scheint also von Südost-
europa nach Nord- und Westeuropa sich verbreitet zu haben.
Wenn wir übrigens dem Spinnwirtel bereits in den dänischen Mu-
schelüberresten begegneten und der Webstuhl schon auf den
Schweizer Pfahlbauten stand 4), so reicht die Kunst des Spinnens
und Webens in Zeiten hinauf, wo sich nicht mehr entscheiden
lässt, welches Volk oder welcher Menschenstamm der erste Erfinder
gewesen sein mag. Der Hanf ist jedenfalls ein Culturgewinn, der
den sogenannten barbarischen Völkern verdankt wird. Schon bei
medopersischen Skythen fand Herodot 5) den Hanfbau.

1) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 478.
2) H. Brandes, antike Namen der Baumwolle. Fünfter Jahresbericht
des Ver. für Erdkunde in Leipzig 1866. S. 103. 110. 116.
3) V. Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere. S. 111.
4) S. oben S. 44 und Wilhelm Baer, der vorgeschichtliche Mensch.
Leipzig 1874. S. 232.
5) Lib. IV. cap. 74.

Bekleidung und Obdach.
rosetten des Phormium tenax oder neuseeländischen Hanfes einen
vorzüglichen Faserstoff und erfanden selbständig die Kunst der
Zubereitung und die Anfertigung einer Art Leinwand. Die Nutz-
barkeit der Baumwolle ist in beiden Welten erkannt worden, denn
die Bewohner Amerikas sind durch eignes Nachdenken, nicht durch
fremde Anleitung, dazu gekommen aus ihrem einheimischen Er-
zeugnisse Faden zu drehen und diese in Gewebe zu verwandeln.
Im alten Aegypten war die Baumwolle heimisch und wurde eben-
falls zu Zeugen verwebt 1). Doch drängte die Vorliebe für Lein-
wand sie völlig in den Hintergrund. Selbst in Syrien finden wir
schon in den frühesten Zeiten die Baumwolle eingebürgert. Wenn
nämlich unser Wort Kattun zunächst vom englischen cotton abzu-
leiten ist, so stammt doch dieses wieder von keton, was mit ge-
ringen vocalischen Abweichungen in allen semitischen Sprachen
Baumwolle bezeichnet und im Neuarabischen noch kutn lautet 2).
Baumwollengewebe, nicht Leinwand, brachten daher unter dem
Namen kitonet oder ketonet phönicische Seefahrer nach griechi-
schen Häfen und von jenem Ausdruck entstanden dann Wörter
wie χιτών und κιϑών. Das Wort für Lein, im Griechischen und
Lateinischen ursprünglich schwankend gebraucht, geht wenig ver-
ändert von seiner lateinischen Form durch die baskische, die kel-
tischen und die germanischen Sprachen 3), scheint also von Südost-
europa nach Nord- und Westeuropa sich verbreitet zu haben.
Wenn wir übrigens dem Spinnwirtel bereits in den dänischen Mu-
schelüberresten begegneten und der Webstuhl schon auf den
Schweizer Pfahlbauten stand 4), so reicht die Kunst des Spinnens
und Webens in Zeiten hinauf, wo sich nicht mehr entscheiden
lässt, welches Volk oder welcher Menschenstamm der erste Erfinder
gewesen sein mag. Der Hanf ist jedenfalls ein Culturgewinn, der
den sogenannten barbarischen Völkern verdankt wird. Schon bei
medopersischen Skythen fand Herodot 5) den Hanfbau.

1) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 478.
2) H. Brandes, antike Namen der Baumwolle. Fünfter Jahresbericht
des Ver. für Erdkunde in Leipzig 1866. S. 103. 110. 116.
3) V. Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere. S. 111.
4) S. oben S. 44 und Wilhelm Baer, der vorgeschichtliche Mensch.
Leipzig 1874. S. 232.
5) Lib. IV. cap. 74.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0201" n="183"/><fw place="top" type="header">Bekleidung und Obdach.</fw><lb/>
rosetten des <hi rendition="#i">Phormium tenax</hi> oder neuseeländischen Hanfes einen<lb/>
vorzüglichen Faserstoff und erfanden selbständig die Kunst der<lb/>
Zubereitung und die Anfertigung einer Art Leinwand. Die Nutz-<lb/>
barkeit der Baumwolle ist in beiden Welten erkannt worden, denn<lb/>
die Bewohner Amerikas sind durch eignes Nachdenken, nicht durch<lb/>
fremde Anleitung, dazu gekommen aus ihrem einheimischen Er-<lb/>
zeugnisse Faden zu drehen und diese in Gewebe zu verwandeln.<lb/>
Im alten Aegypten war die Baumwolle heimisch und wurde eben-<lb/>
falls zu Zeugen verwebt <note place="foot" n="1)">G. <hi rendition="#g">Ebers</hi>, Durch Gosen zum Sinai. S. 478.</note>. Doch drängte die Vorliebe für Lein-<lb/>
wand sie völlig in den Hintergrund. Selbst in Syrien finden wir<lb/>
schon in den frühesten Zeiten die Baumwolle eingebürgert. Wenn<lb/>
nämlich unser Wort Kattun zunächst vom englischen <hi rendition="#i">cotton</hi> abzu-<lb/>
leiten ist, so stammt doch dieses wieder von <hi rendition="#i">keton</hi>, was mit ge-<lb/>
ringen vocalischen Abweichungen in allen semitischen Sprachen<lb/>
Baumwolle bezeichnet und im Neuarabischen noch <hi rendition="#i">kutn</hi> lautet <note place="foot" n="2)">H. <hi rendition="#g">Brandes</hi>, antike Namen der Baumwolle. Fünfter Jahresbericht<lb/>
des Ver. für Erdkunde in Leipzig 1866. S. 103. 110. 116.</note>.<lb/>
Baumwollengewebe, nicht Leinwand, brachten daher unter dem<lb/>
Namen <hi rendition="#i">kitonet</hi> oder <hi rendition="#i">ketonet</hi> phönicische Seefahrer nach griechi-<lb/>
schen Häfen und von jenem Ausdruck entstanden dann Wörter<lb/>
wie <hi rendition="#i">&#x03C7;&#x03B9;&#x03C4;&#x03CE;&#x03BD;</hi> und <hi rendition="#i">&#x03BA;&#x03B9;&#x03D1;&#x03CE;&#x03BD;</hi>. Das Wort für Lein, im Griechischen und<lb/>
Lateinischen ursprünglich schwankend gebraucht, geht wenig ver-<lb/>
ändert von seiner lateinischen Form durch die baskische, die kel-<lb/>
tischen und die germanischen Sprachen <note place="foot" n="3)">V. <hi rendition="#g">Hehn</hi>, Kulturpflanzen und Hausthiere. S. 111.</note>, scheint also von Südost-<lb/>
europa nach Nord- und Westeuropa sich verbreitet zu haben.<lb/>
Wenn wir übrigens dem Spinnwirtel bereits in den dänischen Mu-<lb/>
schelüberresten begegneten und der Webstuhl schon auf den<lb/>
Schweizer Pfahlbauten stand <note place="foot" n="4)">S. oben S. 44 und <hi rendition="#g">Wilhelm Baer</hi>, der vorgeschichtliche Mensch.<lb/>
Leipzig 1874. S. 232.</note>, so reicht die Kunst des Spinnens<lb/>
und Webens in Zeiten hinauf, wo sich nicht mehr entscheiden<lb/>
lässt, welches Volk oder welcher Menschenstamm der erste Erfinder<lb/>
gewesen sein mag. Der Hanf ist jedenfalls ein Culturgewinn, der<lb/>
den sogenannten barbarischen Völkern verdankt wird. Schon bei<lb/>
medopersischen Skythen fand Herodot <note place="foot" n="5)">Lib. IV. cap. 74.</note> den Hanfbau.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0201] Bekleidung und Obdach. rosetten des Phormium tenax oder neuseeländischen Hanfes einen vorzüglichen Faserstoff und erfanden selbständig die Kunst der Zubereitung und die Anfertigung einer Art Leinwand. Die Nutz- barkeit der Baumwolle ist in beiden Welten erkannt worden, denn die Bewohner Amerikas sind durch eignes Nachdenken, nicht durch fremde Anleitung, dazu gekommen aus ihrem einheimischen Er- zeugnisse Faden zu drehen und diese in Gewebe zu verwandeln. Im alten Aegypten war die Baumwolle heimisch und wurde eben- falls zu Zeugen verwebt 1). Doch drängte die Vorliebe für Lein- wand sie völlig in den Hintergrund. Selbst in Syrien finden wir schon in den frühesten Zeiten die Baumwolle eingebürgert. Wenn nämlich unser Wort Kattun zunächst vom englischen cotton abzu- leiten ist, so stammt doch dieses wieder von keton, was mit ge- ringen vocalischen Abweichungen in allen semitischen Sprachen Baumwolle bezeichnet und im Neuarabischen noch kutn lautet 2). Baumwollengewebe, nicht Leinwand, brachten daher unter dem Namen kitonet oder ketonet phönicische Seefahrer nach griechi- schen Häfen und von jenem Ausdruck entstanden dann Wörter wie χιτών und κιϑών. Das Wort für Lein, im Griechischen und Lateinischen ursprünglich schwankend gebraucht, geht wenig ver- ändert von seiner lateinischen Form durch die baskische, die kel- tischen und die germanischen Sprachen 3), scheint also von Südost- europa nach Nord- und Westeuropa sich verbreitet zu haben. Wenn wir übrigens dem Spinnwirtel bereits in den dänischen Mu- schelüberresten begegneten und der Webstuhl schon auf den Schweizer Pfahlbauten stand 4), so reicht die Kunst des Spinnens und Webens in Zeiten hinauf, wo sich nicht mehr entscheiden lässt, welches Volk oder welcher Menschenstamm der erste Erfinder gewesen sein mag. Der Hanf ist jedenfalls ein Culturgewinn, der den sogenannten barbarischen Völkern verdankt wird. Schon bei medopersischen Skythen fand Herodot 5) den Hanfbau. 1) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 478. 2) H. Brandes, antike Namen der Baumwolle. Fünfter Jahresbericht des Ver. für Erdkunde in Leipzig 1866. S. 103. 110. 116. 3) V. Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere. S. 111. 4) S. oben S. 44 und Wilhelm Baer, der vorgeschichtliche Mensch. Leipzig 1874. S. 232. 5) Lib. IV. cap. 74.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/201
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/201>, abgerufen am 22.12.2024.