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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Bekleidung und Obdach.
und in einem Bade Constantinopels von Männern überrascht
wurden, bedeckten, wie der ehrwürdige Carsten Niebuhr anführt,
nur das Gesicht 1). Ebenso entblössen sich in Aegypten Fellah-
frauen vor Männern ohne Scheu, wenn nur das Antlitz verhüllt
bleibt 2). "Die Araberin", sagt Georg Ebers, "wird Fuss, Bein und
Busen ohne Verlegenheit sehen lassen, dagegen gilt die Ent-
blössung des Hinterhauptes für noch unanständiger als die des
Gesichtes, welches letztere jede ehrbare Frau sorgsam verbirgt 3)."
Aehnlich dachte man in den ältesten Christengemeinden, denn der
Apostel befiehlt den Frauen bei Andachtsübungen das Haupthaar
zu verhüllen 4). Seltsamerweise tragen auch die Hottentottenfrauen
stets ein Tuch als Haube auf dem Kopfe und manche lassen sich
durch nichts bewegen, es zu entfernen 5). Bei Völkern der ma-
layischen Race stellt das Schamgefühl wieder eine andere For-
derung. Der Reisende Jagor erzählte dem Verfasser, dass, als er
auf der Philippineninsel Samar ein kleines nacktes Mädchen zeich-
nete, die Mutter scheltend dazwischen fuhr und das Kind nöthigte
ein Hemd anzuziehen, welches freilich nach unsern Anstands-
begriffen ebensogut hätte wegbleiben können 6). Dennoch verhüllte
es das Nöthigste nach den Landessitten, nämlich den Nabel. Auch
bei den Bewohnern der Schifferinseln gilt es als höchste Beschä-
mung, wenn diese Körperstelle sichtbar wird 7). Für eine grosse
Frechheit wird es in China angesehen, dass eine Frau einem Manne
ihren künstlich verkümmerten Fuss zeige, gilt es doch sogar für
unschicklich von ihm zu sprechen und bleibt er auch auf züch-
tigen Gemälden immer unter dem Kleide versteckt 8). Longobar-
dische Frauen hielten sich ebenfalls für tödtlich beschimpft, wenn
Männer ihre Füsse bis zu den Knien sahen 9). Zu diesen wunder-

1) Reisebeschreibung nach Arabien. Kopenhagen 1774. Bd. 1. S. 165.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 359.
3) Durch Gosen zum Sinai. Leipzig 1873. S. 45.
4) 1. Corinther 11, 5--6.
5) Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 311.
6) S. d. Abbildung der Kleinen in Jagor's Reisen in den Philippinen.
S. 192.
7) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 359.
8) Wilh. Stricker im Archiv für Anthropologie. Bd. 4. Braunschweig
1870. S. 243.
9) Chron. Salernit. cap. 76. bei Pertz, Monumenta. Hannover 1839,
tom. V. fol. 505.
Peschel, Völkerkunde. 12

Bekleidung und Obdach.
und in einem Bade Constantinopels von Männern überrascht
wurden, bedeckten, wie der ehrwürdige Carsten Niebuhr anführt,
nur das Gesicht 1). Ebenso entblössen sich in Aegypten Fellah-
frauen vor Männern ohne Scheu, wenn nur das Antlitz verhüllt
bleibt 2). „Die Araberin“, sagt Georg Ebers, „wird Fuss, Bein und
Busen ohne Verlegenheit sehen lassen, dagegen gilt die Ent-
blössung des Hinterhauptes für noch unanständiger als die des
Gesichtes, welches letztere jede ehrbare Frau sorgsam verbirgt 3).“
Aehnlich dachte man in den ältesten Christengemeinden, denn der
Apostel befiehlt den Frauen bei Andachtsübungen das Haupthaar
zu verhüllen 4). Seltsamerweise tragen auch die Hottentottenfrauen
stets ein Tuch als Haube auf dem Kopfe und manche lassen sich
durch nichts bewegen, es zu entfernen 5). Bei Völkern der ma-
layischen Race stellt das Schamgefühl wieder eine andere For-
derung. Der Reisende Jagor erzählte dem Verfasser, dass, als er
auf der Philippineninsel Samar ein kleines nacktes Mädchen zeich-
nete, die Mutter scheltend dazwischen fuhr und das Kind nöthigte
ein Hemd anzuziehen, welches freilich nach unsern Anstands-
begriffen ebensogut hätte wegbleiben können 6). Dennoch verhüllte
es das Nöthigste nach den Landessitten, nämlich den Nabel. Auch
bei den Bewohnern der Schifferinseln gilt es als höchste Beschä-
mung, wenn diese Körperstelle sichtbar wird 7). Für eine grosse
Frechheit wird es in China angesehen, dass eine Frau einem Manne
ihren künstlich verkümmerten Fuss zeige, gilt es doch sogar für
unschicklich von ihm zu sprechen und bleibt er auch auf züch-
tigen Gemälden immer unter dem Kleide versteckt 8). Longobar-
dische Frauen hielten sich ebenfalls für tödtlich beschimpft, wenn
Männer ihre Füsse bis zu den Knien sahen 9). Zu diesen wunder-

1) Reisebeschreibung nach Arabien. Kopenhagen 1774. Bd. 1. S. 165.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 359.
3) Durch Gosen zum Sinai. Leipzig 1873. S. 45.
4) 1. Corinther 11, 5—6.
5) Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 311.
6) S. d. Abbildung der Kleinen in Jagor’s Reisen in den Philippinen.
S. 192.
7) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 359.
8) Wilh. Stricker im Archiv für Anthropologie. Bd. 4. Braunschweig
1870. S. 243.
9) Chron. Salernit. cap. 76. bei Pertz, Monumenta. Hannover 1839,
tom. V. fol. 505.
Peschel, Völkerkunde. 12
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[177/0195] Bekleidung und Obdach. und in einem Bade Constantinopels von Männern überrascht wurden, bedeckten, wie der ehrwürdige Carsten Niebuhr anführt, nur das Gesicht 1). Ebenso entblössen sich in Aegypten Fellah- frauen vor Männern ohne Scheu, wenn nur das Antlitz verhüllt bleibt 2). „Die Araberin“, sagt Georg Ebers, „wird Fuss, Bein und Busen ohne Verlegenheit sehen lassen, dagegen gilt die Ent- blössung des Hinterhauptes für noch unanständiger als die des Gesichtes, welches letztere jede ehrbare Frau sorgsam verbirgt 3).“ Aehnlich dachte man in den ältesten Christengemeinden, denn der Apostel befiehlt den Frauen bei Andachtsübungen das Haupthaar zu verhüllen 4). Seltsamerweise tragen auch die Hottentottenfrauen stets ein Tuch als Haube auf dem Kopfe und manche lassen sich durch nichts bewegen, es zu entfernen 5). Bei Völkern der ma- layischen Race stellt das Schamgefühl wieder eine andere For- derung. Der Reisende Jagor erzählte dem Verfasser, dass, als er auf der Philippineninsel Samar ein kleines nacktes Mädchen zeich- nete, die Mutter scheltend dazwischen fuhr und das Kind nöthigte ein Hemd anzuziehen, welches freilich nach unsern Anstands- begriffen ebensogut hätte wegbleiben können 6). Dennoch verhüllte es das Nöthigste nach den Landessitten, nämlich den Nabel. Auch bei den Bewohnern der Schifferinseln gilt es als höchste Beschä- mung, wenn diese Körperstelle sichtbar wird 7). Für eine grosse Frechheit wird es in China angesehen, dass eine Frau einem Manne ihren künstlich verkümmerten Fuss zeige, gilt es doch sogar für unschicklich von ihm zu sprechen und bleibt er auch auf züch- tigen Gemälden immer unter dem Kleide versteckt 8). Longobar- dische Frauen hielten sich ebenfalls für tödtlich beschimpft, wenn Männer ihre Füsse bis zu den Knien sahen 9). Zu diesen wunder- 1) Reisebeschreibung nach Arabien. Kopenhagen 1774. Bd. 1. S. 165. 2) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 359. 3) Durch Gosen zum Sinai. Leipzig 1873. S. 45. 4) 1. Corinther 11, 5—6. 5) Fritsch, Eingeborne Südafrikas. S. 311. 6) S. d. Abbildung der Kleinen in Jagor’s Reisen in den Philippinen. S. 192. 7) Waitz, Anthropologie. Bd. 1. S. 359. 8) Wilh. Stricker im Archiv für Anthropologie. Bd. 4. Braunschweig 1870. S. 243. 9) Chron. Salernit. cap. 76. bei Pertz, Monumenta. Hannover 1839, tom. V. fol. 505. Peschel, Völkerkunde. 12

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/195>, abgerufen am 22.12.2024.