Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
ist indessen nicht zu erschöpfen, und wir müssen verzichten, genau
die Verkettung aller Vorgänge in jenen uns weit entrückten Zeiten
schon jetzt durchschauen zu wollen.

Das alte Feuerreibzeug, welches seine Dienste bisweilen ver-
sagte und zu seiner Handhabung immer wenigstens zwei Bundes-
genossen erforderte, erhielt seine höchste Vollendung durch den
glücklichen Einfall, dass der Bohrstift durch eine sich auf- und
abwickelnde Schnur in Drehung versetzt werden könnte. Diese
Erfindung hatte sich über den Norden Amerikas verbreitet bis zu
den Sioux oder Dacota 1), sowie zu den Irokesen 2). Noch sinn-
reicher pflegten die Aleuten den Drehstift mit der Spitze in das
Feuerholz einzusenken, sein oberes Ende aber in einem beinernen
Mundstück zwischen den Zähnen festzuhalten. Bei raschem An-
ziehen der Schnur sah Chamisso das Tannenholz in wenigen Se-
cunden schon Feuer geben 3). Dieses nämlichen Werkzeuges haben
alle Völker des Abendlandes in der Vorzeit sich bedient. Selbst
Plinius spricht noch von Feuerreibung wie von einer gut be-
kannten Thatsache 4). Nach den Untersuchungen Adalbert Kuhns
pflegten die brahmanischen Hindu einen Stab, Pramantha geheissen,
eingeklemmt zwischen zwei anderen Hölzern, Namens Arani, durch
eine sich auf- und abwickelnde Schnur in Drehung zu setzen.
Der genannte Sprachforscher überlässt uns sogar die Entschei-
dung, ob wir den Namen Prometheus von Pramatha Raub oder
von dem Drehstift Pramantha ableiten wollen und erinnert uns
zugleich, dass die Thurier vormals einen Zeus Promantheus ver-
ehrten 5). Wie dem auch sei, nicht anders als die Indier zur Zeit
der Hymnendichtungen bereiteten die alten Griechen das Feuer.
Ihre Pyreia oder Feuerzeuge bestanden ebenfalls aus zwei Stücken,
einer Unterlage aus weichem, am liebsten aus Epheuholz, Eschara
geheissen, und dem aus Lorbeer geschnittenen Trypanon, was
füglich mit Bohrstift übersetzt werden kann 6). Diese Bereitung
des Feuers hat sich in unserer Heimath noch bis in die jüngste

1) Tylor, Urgeschichte. S. 312.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 97.
3) O. v. Kotzebue's Reisen. Weimar 1821. Bd. 3. S. 154.
4) Hist. nat. lib. II, cap. 111. humani ignes ... attrita inter se ligna.
5) A. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers. Berlin 1859. S. 15--17.
6) Theophrastus, Hist. plantarum V, 9 ed. Wimmer. tom. I. p. 157.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
ist indessen nicht zu erschöpfen, und wir müssen verzichten, genau
die Verkettung aller Vorgänge in jenen uns weit entrückten Zeiten
schon jetzt durchschauen zu wollen.

Das alte Feuerreibzeug, welches seine Dienste bisweilen ver-
sagte und zu seiner Handhabung immer wenigstens zwei Bundes-
genossen erforderte, erhielt seine höchste Vollendung durch den
glücklichen Einfall, dass der Bohrstift durch eine sich auf- und
abwickelnde Schnur in Drehung versetzt werden könnte. Diese
Erfindung hatte sich über den Norden Amerikas verbreitet bis zu
den Sioux oder Dacota 1), sowie zu den Irokesen 2). Noch sinn-
reicher pflegten die Alëuten den Drehstift mit der Spitze in das
Feuerholz einzusenken, sein oberes Ende aber in einem beinernen
Mundstück zwischen den Zähnen festzuhalten. Bei raschem An-
ziehen der Schnur sah Chamisso das Tannenholz in wenigen Se-
cunden schon Feuer geben 3). Dieses nämlichen Werkzeuges haben
alle Völker des Abendlandes in der Vorzeit sich bedient. Selbst
Plinius spricht noch von Feuerreibung wie von einer gut be-
kannten Thatsache 4). Nach den Untersuchungen Adalbert Kuhns
pflegten die brahmanischen Hindu einen Stab, Pramantha geheissen,
eingeklemmt zwischen zwei anderen Hölzern, Namens Arani, durch
eine sich auf- und abwickelnde Schnur in Drehung zu setzen.
Der genannte Sprachforscher überlässt uns sogar die Entschei-
dung, ob wir den Namen Prometheus von Pramâtha Raub oder
von dem Drehstift Pramantha ableiten wollen und erinnert uns
zugleich, dass die Thurier vormals einen Zeus Promantheus ver-
ehrten 5). Wie dem auch sei, nicht anders als die Indier zur Zeit
der Hymnendichtungen bereiteten die alten Griechen das Feuer.
Ihre Pyreia oder Feuerzeuge bestanden ebenfalls aus zwei Stücken,
einer Unterlage aus weichem, am liebsten aus Epheuholz, Eschara
geheissen, und dem aus Lorbeer geschnittenen Trypanon, was
füglich mit Bohrstift übersetzt werden kann 6). Diese Bereitung
des Feuers hat sich in unserer Heimath noch bis in die jüngste

1) Tylor, Urgeschichte. S. 312.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 97.
3) O. v. Kotzebue’s Reisen. Weimar 1821. Bd. 3. S. 154.
4) Hist. nat. lib. II, cap. 111. humani ignes … attrita inter se ligna.
5) A. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers. Berlin 1859. S. 15—17.
6) Theophrastus, Hist. plantarum V, 9 ed. Wimmer. tom. I. p. 157.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="146"/><fw place="top" type="header">Die Urzustände des Menschengeschlechtes.</fw><lb/>
ist indessen nicht zu erschöpfen, und wir müssen verzichten, genau<lb/>
die Verkettung aller Vorgänge in jenen uns weit entrückten Zeiten<lb/>
schon jetzt durchschauen zu wollen.</p><lb/>
          <p>Das alte Feuerreibzeug, welches seine Dienste bisweilen ver-<lb/>
sagte und zu seiner Handhabung immer wenigstens zwei Bundes-<lb/>
genossen erforderte, erhielt seine höchste Vollendung durch den<lb/>
glücklichen Einfall, dass der Bohrstift durch eine sich auf- und<lb/>
abwickelnde Schnur in Drehung versetzt werden könnte. Diese<lb/>
Erfindung hatte sich über den Norden Amerikas verbreitet bis zu<lb/>
den Sioux oder Dacota <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Tylor</hi>, Urgeschichte. S. 312.</note>, sowie zu den Irokesen <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie. Bd. 3. S. 97.</note>. Noch sinn-<lb/>
reicher pflegten die Alëuten den Drehstift mit der Spitze in das<lb/>
Feuerholz einzusenken, sein oberes Ende aber in einem beinernen<lb/>
Mundstück zwischen den Zähnen festzuhalten. Bei raschem An-<lb/>
ziehen der Schnur sah Chamisso das Tannenholz in wenigen Se-<lb/>
cunden schon Feuer geben <note place="foot" n="3)">O. v. <hi rendition="#g">Kotzebue</hi>&#x2019;s Reisen. Weimar 1821. Bd. 3. S. 154.</note>. Dieses nämlichen Werkzeuges haben<lb/>
alle Völker des Abendlandes in der Vorzeit sich bedient. Selbst<lb/>
Plinius spricht noch von Feuerreibung wie von einer gut be-<lb/>
kannten Thatsache <note place="foot" n="4)">Hist. nat. lib. II, cap. 111. humani ignes &#x2026; attrita inter se ligna.</note>. Nach den Untersuchungen Adalbert Kuhns<lb/>
pflegten die brahmanischen Hindu einen Stab, <hi rendition="#i">Pramantha</hi> geheissen,<lb/>
eingeklemmt zwischen zwei anderen Hölzern, Namens <hi rendition="#i">Arani</hi>, durch<lb/>
eine sich auf- und abwickelnde Schnur in Drehung zu setzen.<lb/>
Der genannte Sprachforscher überlässt uns sogar die Entschei-<lb/>
dung, ob wir den Namen Prometheus von <hi rendition="#i">Pramâtha</hi> Raub oder<lb/>
von dem Drehstift <hi rendition="#i">Pramantha</hi> ableiten wollen und erinnert uns<lb/>
zugleich, dass die Thurier vormals einen Zeus Promantheus ver-<lb/>
ehrten <note place="foot" n="5)">A. <hi rendition="#g">Kuhn</hi>, Die Herabkunft des Feuers. Berlin 1859. S. 15&#x2014;17.</note>. Wie dem auch sei, nicht anders als die Indier zur Zeit<lb/>
der Hymnendichtungen bereiteten die alten Griechen das Feuer.<lb/>
Ihre <hi rendition="#i">Pyreia</hi> oder Feuerzeuge bestanden ebenfalls aus zwei Stücken,<lb/>
einer Unterlage aus weichem, am liebsten aus Epheuholz, <hi rendition="#i">Eschara</hi><lb/>
geheissen, und dem aus Lorbeer geschnittenen <hi rendition="#i">Trypanon</hi>, was<lb/>
füglich mit Bohrstift übersetzt werden kann <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#g">Theophrastus</hi>, Hist. plantarum V, 9 ed. Wimmer. tom. I. p. 157.</note>. Diese Bereitung<lb/>
des Feuers hat sich in unserer Heimath noch bis in die jüngste<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0164] Die Urzustände des Menschengeschlechtes. ist indessen nicht zu erschöpfen, und wir müssen verzichten, genau die Verkettung aller Vorgänge in jenen uns weit entrückten Zeiten schon jetzt durchschauen zu wollen. Das alte Feuerreibzeug, welches seine Dienste bisweilen ver- sagte und zu seiner Handhabung immer wenigstens zwei Bundes- genossen erforderte, erhielt seine höchste Vollendung durch den glücklichen Einfall, dass der Bohrstift durch eine sich auf- und abwickelnde Schnur in Drehung versetzt werden könnte. Diese Erfindung hatte sich über den Norden Amerikas verbreitet bis zu den Sioux oder Dacota 1), sowie zu den Irokesen 2). Noch sinn- reicher pflegten die Alëuten den Drehstift mit der Spitze in das Feuerholz einzusenken, sein oberes Ende aber in einem beinernen Mundstück zwischen den Zähnen festzuhalten. Bei raschem An- ziehen der Schnur sah Chamisso das Tannenholz in wenigen Se- cunden schon Feuer geben 3). Dieses nämlichen Werkzeuges haben alle Völker des Abendlandes in der Vorzeit sich bedient. Selbst Plinius spricht noch von Feuerreibung wie von einer gut be- kannten Thatsache 4). Nach den Untersuchungen Adalbert Kuhns pflegten die brahmanischen Hindu einen Stab, Pramantha geheissen, eingeklemmt zwischen zwei anderen Hölzern, Namens Arani, durch eine sich auf- und abwickelnde Schnur in Drehung zu setzen. Der genannte Sprachforscher überlässt uns sogar die Entschei- dung, ob wir den Namen Prometheus von Pramâtha Raub oder von dem Drehstift Pramantha ableiten wollen und erinnert uns zugleich, dass die Thurier vormals einen Zeus Promantheus ver- ehrten 5). Wie dem auch sei, nicht anders als die Indier zur Zeit der Hymnendichtungen bereiteten die alten Griechen das Feuer. Ihre Pyreia oder Feuerzeuge bestanden ebenfalls aus zwei Stücken, einer Unterlage aus weichem, am liebsten aus Epheuholz, Eschara geheissen, und dem aus Lorbeer geschnittenen Trypanon, was füglich mit Bohrstift übersetzt werden kann 6). Diese Bereitung des Feuers hat sich in unserer Heimath noch bis in die jüngste 1) Tylor, Urgeschichte. S. 312. 2) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 97. 3) O. v. Kotzebue’s Reisen. Weimar 1821. Bd. 3. S. 154. 4) Hist. nat. lib. II, cap. 111. humani ignes … attrita inter se ligna. 5) A. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers. Berlin 1859. S. 15—17. 6) Theophrastus, Hist. plantarum V, 9 ed. Wimmer. tom. I. p. 157.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/164
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/164>, abgerufen am 22.12.2024.