Eine neue Art des Sprachbaues treffen wir bei den Völkern Amerikas mit Ausschluss der Eskimo. Wilhelm v. Humboldt hat ihr Verfahren das einverleibende genannt, weil dabei die Satzbildung völlig von der Wortbildung verdrängt werden kann. Der amerika- nische Eingeborne vermag nämlich einen verwickelten Gedanken in ein einziges Wort zusammenzumauern. In der Tschirokisprache kann man sagen: wi-ni-taw-ti-ge-gi-na-li-skaw-lung-ta-naw-ne-le-ti-se-sti, was soviel bedeutet wie: sie werden um diese Zeit zu Ende gekommen sein mit ihren (Gunst-) Bezeugungen an dich und mich 1). Selbst in solchen amerikanischen Sprachen, die nur einen mässigen Gebrauch der Einverleibung verstatten, wird doch stets zwischen das Subject und Zeitwort das Object hineingeschoben. Obendrein werden noch Sylben der eingeschobenen Wörter verschluckt, so dass dann die verstümmelte Lautgruppe nur noch im Zusammenhang verständlich bleibt. In der Delawarensprache wird aus opik weiss und assuun Stein, opussuun, also Weissstein gebildet und damit das Silber be- zeichnet 2). Ist es auch nicht strenges Gesetz, dass wir bei hoch- gesitteten Völkern auch hochentwickelte Sprachen finden, da wir ja kurz zuvor das Gegentheil bei den Chinesen eintreten sahen und umgekehrt das Hottentottische uns sogleich überzeugen soll, dass einer höher entwickelten Sprache nicht immer eine Gesittung von gleicher Würde entspricht, so erregt gleichwohl eine hochent- wickelte Sprache die Erwartung, in ihrem Gebiete bürgerliche Zu- stände von höherer Reife anzutreffen. In Amerika redete das höchste Culturvolk, die Altmexicaner, auch die bestentwickelte Sprache, das Nahuatl. Schon der letztere Name deutet durch die Endlaute -tl auf einen günstigen Fortschritt. Die Sprachen aus dem uralaltaischen Kreise waren noch gar nicht zur rechten Wort- bildung gelangt, während im Altmexicanischen an dem Auslaute -tl Hauptwörter kenntlich werden. Das Wort teo-tl, Gott verliert bei Zusammensetzungen die angehängten Laute, wie teo-calli, Gotteshaus, Tempel oder teo-tlaltolli, Gottes Wort. Aus diesen Beispielen gewahrt man zugleich, dass noch nicht alle nahuatla-
Vision, bon-akala, erscheinen, isi-bonakala, Erscheinung, isi-bonakaliso, Offen- barung. Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Abtheil. III, S. 112.
1)Whitney, Study of Language. p. 349.
2)Schoolcraft bei Tylor, Urgeschichte. S. 273.
Der Bau der menschlichen Sprache.
Eine neue Art des Sprachbaues treffen wir bei den Völkern Amerikas mit Ausschluss der Eskimo. Wilhelm v. Humboldt hat ihr Verfahren das einverleibende genannt, weil dabei die Satzbildung völlig von der Wortbildung verdrängt werden kann. Der amerika- nische Eingeborne vermag nämlich einen verwickelten Gedanken in ein einziges Wort zusammenzumauern. In der Tschirokisprache kann man sagen: wi-ni-taw-ti-ge-gi-na-li-skaw-lung-ta-naw-ne-le-ti-se-sti, was soviel bedeutet wie: sie werden um diese Zeit zu Ende gekommen sein mit ihren (Gunst-) Bezeugungen an dich und mich 1). Selbst in solchen amerikanischen Sprachen, die nur einen mässigen Gebrauch der Einverleibung verstatten, wird doch stets zwischen das Subject und Zeitwort das Object hineingeschoben. Obendrein werden noch Sylben der eingeschobenen Wörter verschluckt, so dass dann die verstümmelte Lautgruppe nur noch im Zusammenhang verständlich bleibt. In der Delawarensprache wird aus opik weiss und assuun Stein, opussuun, also Weissstein gebildet und damit das Silber be- zeichnet 2). Ist es auch nicht strenges Gesetz, dass wir bei hoch- gesitteten Völkern auch hochentwickelte Sprachen finden, da wir ja kurz zuvor das Gegentheil bei den Chinesen eintreten sahen und umgekehrt das Hottentottische uns sogleich überzeugen soll, dass einer höher entwickelten Sprache nicht immer eine Gesittung von gleicher Würde entspricht, so erregt gleichwohl eine hochent- wickelte Sprache die Erwartung, in ihrem Gebiete bürgerliche Zu- stände von höherer Reife anzutreffen. In Amerika redete das höchste Culturvolk, die Altmexicaner, auch die bestentwickelte Sprache, das Nahuatl. Schon der letztere Name deutet durch die Endlaute -tl auf einen günstigen Fortschritt. Die Sprachen aus dem uralaltaischen Kreise waren noch gar nicht zur rechten Wort- bildung gelangt, während im Altmexicanischen an dem Auslaute -tl Hauptwörter kenntlich werden. Das Wort teo-tl, Gott verliert bei Zusammensetzungen die angehängten Laute, wie teo-calli, Gotteshaus, Tempel oder teo-tlaltolli, Gottes Wort. Aus diesen Beispielen gewahrt man zugleich, dass noch nicht alle nahuatla-
Vision, bon-akala, erscheinen, isi-bonakala, Erscheinung, isi-bonakaliso, Offen- barung. Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Abtheil. III, S. 112.
1)Whitney, Study of Language. p. 349.
2)Schoolcraft bei Tylor, Urgeschichte. S. 273.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0145"n="127"/><fwplace="top"type="header">Der Bau der menschlichen Sprache.</fw><lb/><p>Eine neue Art des Sprachbaues treffen wir bei den Völkern<lb/>
Amerikas mit Ausschluss der Eskimo. Wilhelm v. Humboldt hat<lb/>
ihr Verfahren das einverleibende genannt, weil dabei die <choice><sic>Satzbildnng</sic><corr>Satzbildung</corr></choice><lb/>
völlig von der Wortbildung verdrängt werden kann. Der amerika-<lb/>
nische Eingeborne vermag nämlich einen verwickelten Gedanken in<lb/>
ein einziges Wort zusammenzumauern. In der Tschirokisprache kann<lb/>
man sagen: <hirendition="#i">wi-ni-taw-ti-ge-gi-na-li-skaw-lung-ta-naw-ne-le-ti-se-sti</hi>,<lb/>
was soviel bedeutet wie: sie werden um diese Zeit zu Ende gekommen<lb/>
sein mit ihren (Gunst-) Bezeugungen an dich und mich <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#g">Whitney</hi>, Study of Language. p. 349.</note>. Selbst in<lb/>
solchen amerikanischen Sprachen, die nur einen mässigen Gebrauch<lb/>
der Einverleibung verstatten, wird doch stets zwischen das Subject<lb/>
und Zeitwort das Object hineingeschoben. Obendrein werden noch<lb/>
Sylben der eingeschobenen Wörter verschluckt, so dass dann die<lb/>
verstümmelte Lautgruppe nur noch im Zusammenhang verständlich<lb/>
bleibt. In der Delawarensprache wird aus <hirendition="#i">opik</hi> weiss und <hirendition="#i">assuun</hi><lb/>
Stein, <hirendition="#i">opussuun</hi>, also Weissstein gebildet und damit das Silber be-<lb/>
zeichnet <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#g">Schoolcraft</hi> bei Tylor, Urgeschichte. S. 273.</note>. Ist es auch nicht strenges Gesetz, dass wir bei hoch-<lb/>
gesitteten Völkern auch hochentwickelte Sprachen finden, da wir<lb/>
ja kurz zuvor das Gegentheil bei den Chinesen eintreten sahen<lb/>
und umgekehrt das Hottentottische uns sogleich überzeugen soll,<lb/>
dass einer höher entwickelten Sprache nicht immer eine Gesittung<lb/>
von gleicher Würde entspricht, so erregt gleichwohl eine hochent-<lb/>
wickelte Sprache die Erwartung, in ihrem Gebiete bürgerliche Zu-<lb/>
stände von höherer Reife anzutreffen. In Amerika redete das<lb/>
höchste Culturvolk, die Altmexicaner, auch die bestentwickelte<lb/>
Sprache, das Nahuatl. Schon der letztere Name deutet durch die<lb/>
Endlaute -<hirendition="#i">tl</hi> auf einen günstigen Fortschritt. Die Sprachen aus<lb/>
dem uralaltaischen Kreise waren noch gar nicht zur rechten Wort-<lb/>
bildung gelangt, während im Altmexicanischen an dem Auslaute<lb/>
-<hirendition="#i">tl</hi> Hauptwörter kenntlich werden. Das Wort <hirendition="#i">teo-tl</hi>, Gott verliert<lb/>
bei Zusammensetzungen die angehängten Laute, wie <hirendition="#i">teo-calli</hi>,<lb/>
Gotteshaus, Tempel oder <hirendition="#i">teo-tlaltolli</hi>, Gottes Wort. Aus diesen<lb/>
Beispielen gewahrt man zugleich, dass noch nicht alle nahuatla-<lb/><notexml:id="seg2pn_5_2"prev="#seg2pn_5_1"place="foot"n="4)">Vision, <hirendition="#i">bon-akala</hi>, erscheinen, <hirendition="#i">isi-bonakala</hi>, Erscheinung, <hirendition="#i">isi-bonakaliso</hi>, Offen-<lb/>
barung. Fr. <hirendition="#g">Müller</hi>, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Abtheil.<lb/>
III, S. 112.</note><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[127/0145]
Der Bau der menschlichen Sprache.
Eine neue Art des Sprachbaues treffen wir bei den Völkern
Amerikas mit Ausschluss der Eskimo. Wilhelm v. Humboldt hat
ihr Verfahren das einverleibende genannt, weil dabei die Satzbildung
völlig von der Wortbildung verdrängt werden kann. Der amerika-
nische Eingeborne vermag nämlich einen verwickelten Gedanken in
ein einziges Wort zusammenzumauern. In der Tschirokisprache kann
man sagen: wi-ni-taw-ti-ge-gi-na-li-skaw-lung-ta-naw-ne-le-ti-se-sti,
was soviel bedeutet wie: sie werden um diese Zeit zu Ende gekommen
sein mit ihren (Gunst-) Bezeugungen an dich und mich 1). Selbst in
solchen amerikanischen Sprachen, die nur einen mässigen Gebrauch
der Einverleibung verstatten, wird doch stets zwischen das Subject
und Zeitwort das Object hineingeschoben. Obendrein werden noch
Sylben der eingeschobenen Wörter verschluckt, so dass dann die
verstümmelte Lautgruppe nur noch im Zusammenhang verständlich
bleibt. In der Delawarensprache wird aus opik weiss und assuun
Stein, opussuun, also Weissstein gebildet und damit das Silber be-
zeichnet 2). Ist es auch nicht strenges Gesetz, dass wir bei hoch-
gesitteten Völkern auch hochentwickelte Sprachen finden, da wir
ja kurz zuvor das Gegentheil bei den Chinesen eintreten sahen
und umgekehrt das Hottentottische uns sogleich überzeugen soll,
dass einer höher entwickelten Sprache nicht immer eine Gesittung
von gleicher Würde entspricht, so erregt gleichwohl eine hochent-
wickelte Sprache die Erwartung, in ihrem Gebiete bürgerliche Zu-
stände von höherer Reife anzutreffen. In Amerika redete das
höchste Culturvolk, die Altmexicaner, auch die bestentwickelte
Sprache, das Nahuatl. Schon der letztere Name deutet durch die
Endlaute -tl auf einen günstigen Fortschritt. Die Sprachen aus
dem uralaltaischen Kreise waren noch gar nicht zur rechten Wort-
bildung gelangt, während im Altmexicanischen an dem Auslaute
-tl Hauptwörter kenntlich werden. Das Wort teo-tl, Gott verliert
bei Zusammensetzungen die angehängten Laute, wie teo-calli,
Gotteshaus, Tempel oder teo-tlaltolli, Gottes Wort. Aus diesen
Beispielen gewahrt man zugleich, dass noch nicht alle nahuatla-
4)
1) Whitney, Study of Language. p. 349.
2) Schoolcraft bei Tylor, Urgeschichte. S. 273.
4) Vision, bon-akala, erscheinen, isi-bonakala, Erscheinung, isi-bonakaliso, Offen-
barung. Fr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Abtheil.
III, S. 112.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/145>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.