Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Der Bau der menschlichen Sprache. khing tschung und Abstand fern-nahe ywan kin. Aehnliche Wortbil-dungen in unsrer Sprache sind Helldunkel, Pianoforte, im Spani- schen calofrio warmkalt für Fieber und altibajo hochniedrig für einen Hieb von oben nach unten 1). Da ihnen ein Wort für Tugend fehlt, sagen die Chinesen Unterthanentreue, Ehrfurcht gegen Eltern, Mässigung, Gerechtigkeit tschun hyau tsye i, sie zählen also auf, was sie für die höchsten Pflichten des Chinesen halten. Bei allen solchen Wurzelzusammenfügungen ist die Reihenfolge stets vorgeschrieben. Wer in Wurzeln spricht, also der Chinese, kann auch nicht einfach sagen: lesen oder essen, sondern er muss sagen Buch lesen oder Reis essen. Es gibt indessen selbst im Chinesischen schüchterne Anfänge Das Stellungsgesetz reicht also hin, um mit einsylbigen Wurzeln 1) Tobler, psycholog. Bedeutung der Wortzusammensetzungen in Zeit. schrift für Völkerpsychologie. Bd. 5. Berlin 1868. S. 209. 2) Die Mexicaner und Malayen fügen dem Zahlwort immer noch Stein
hinzu, die Javanen Korn, die Niasmalayen Frucht. Man sagt also in diesen Sprachen nicht drei Hühner, vier Kinder, fünf Schwerter, sondern drei Steine Hühner, vier Körner Kinder, fünf Früchte Schwerter. Tylor, Urgeschichte, S. 208. Der Bau der menschlichen Sprache. khing tschung und Abstand fern-nahe ywan kin. Aehnliche Wortbil-dungen in unsrer Sprache sind Helldunkel, Pianoforte, im Spani- schen calofrio warmkalt für Fieber und altibajo hochniedrig für einen Hieb von oben nach unten 1). Da ihnen ein Wort für Tugend fehlt, sagen die Chinesen Unterthanentreue, Ehrfurcht gegen Eltern, Mässigung, Gerechtigkeit tschun hyau tsye i, sie zählen also auf, was sie für die höchsten Pflichten des Chinesen halten. Bei allen solchen Wurzelzusammenfügungen ist die Reihenfolge stets vorgeschrieben. Wer in Wurzeln spricht, also der Chinese, kann auch nicht einfach sagen: lesen oder essen, sondern er muss sagen Buch lesen oder Reis essen. Es gibt indessen selbst im Chinesischen schüchterne Anfänge Das Stellungsgesetz reicht also hin, um mit einsylbigen Wurzeln 1) Tobler, psycholog. Bedeutung der Wortzusammensetzungen in Zeit. schrift für Völkerpsychologie. Bd. 5. Berlin 1868. S. 209. 2) Die Mexicaner und Malayen fügen dem Zahlwort immer noch Stein
hinzu, die Javanen Korn, die Niasmalayen Frucht. Man sagt also in diesen Sprachen nicht drei Hühner, vier Kinder, fünf Schwerter, sondern drei Steine Hühner, vier Körner Kinder, fünf Früchte Schwerter. Tylor, Urgeschichte, S. 208. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0138" n="120"/><fw place="top" type="header">Der Bau der menschlichen Sprache.</fw><lb/><hi rendition="#i">khing tschung</hi> und Abstand fern-nahe <hi rendition="#i">ywan kin</hi>. Aehnliche Wortbil-<lb/> dungen in unsrer Sprache sind Helldunkel, Pianoforte, im Spani-<lb/> schen <hi rendition="#i">calofrio</hi> warmkalt für Fieber und <hi rendition="#i">altibajo</hi> hochniedrig für<lb/> einen Hieb von oben nach unten <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Tobler</hi>, psycholog. Bedeutung der Wortzusammensetzungen in Zeit.<lb/> schrift für Völkerpsychologie. Bd. 5. Berlin 1868. S. 209.</note>. Da ihnen ein Wort für<lb/> Tugend fehlt, sagen die Chinesen Unterthanentreue, Ehrfurcht<lb/> gegen Eltern, Mässigung, Gerechtigkeit <hi rendition="#i">tschun hyau tsye i</hi>, sie zählen<lb/> also auf, was sie für die höchsten Pflichten des Chinesen halten.<lb/> Bei allen solchen Wurzelzusammenfügungen ist die Reihenfolge<lb/> stets vorgeschrieben. Wer in Wurzeln spricht, also der Chinese,<lb/> kann auch nicht einfach sagen: lesen oder essen, sondern er muss<lb/> sagen Buch lesen oder Reis essen.</p><lb/> <p>Es gibt indessen selbst im Chinesischen schüchterne Anfänge<lb/> zur Wortbildung. Allerdings bewahren alle Wurzeln immer ihre<lb/> Selbstständigkeit, doch gibt es einzelne, durch deren Beifügung<lb/> andere Wurzeln zu einem Hauptwort erhöht werden. Die Wurzel<lb/><hi rendition="#i">thau</hi> Kopf hat diese Wirkung überall. So kann <hi rendition="#i">tschi</hi> je nach seiner<lb/> Stellung zeigen oder Finger bedeuten, <hi rendition="#i">tschi-thau</hi> aber heisst stets<lb/> Finger. Wiederum wird eine Wurzel mit der Bedeutung Sohn <hi rendition="#i">tsz</hi><lb/> zu Verkleinerungen verwendet, so dass aus Schwert <hi rendition="#i">tau</hi> Schwert-<lb/> sohn <hi rendition="#i">tau-tsz</hi> mit der Bedeutung Messer gebildet wird. Beim Zählen<lb/> von Gegenständen wird stets ein Stückname hinzugefügt, wie wir<lb/> etwa auch im Deutschen sagen ein Laib Brot, ein Blatt Papier,<lb/> ein Bund Heu, eine Elle Leinwand. Handelt es sich um Götzen-<lb/> bilder, Gelehrte oder Beamte, so setzt der Chinese zur Zahl noch<lb/> die Prädicate Ehrwürden, Würden, Kleinode bei <note place="foot" n="2)">Die Mexicaner und Malayen fügen dem Zahlwort immer noch <hi rendition="#i">Stein</hi><lb/> hinzu, die Javanen <hi rendition="#i">Korn</hi>, die Niasmalayen <hi rendition="#i">Frucht</hi>. Man sagt also in diesen<lb/> Sprachen nicht drei Hühner, vier Kinder, fünf Schwerter, sondern drei Steine<lb/> Hühner, vier Körner Kinder, fünf Früchte Schwerter. <hi rendition="#g">Tylor</hi>, Urgeschichte,<lb/> S. 208.</note>. Bei Thieren<lb/> wird das Geschlecht durch Beifügung zweier Wurzeln angedeutet,<lb/> die in dieser Verbindung den Sinn von Mann oder von Mutter<lb/> verleihen. Die Mehrzahl aber bilden die Chinesen durch Zusatz<lb/> der Wurzeln, die den Sinn von viel oder von allen besitzen.</p><lb/> <p>Das Stellungsgesetz reicht also hin, um mit einsylbigen Wurzeln<lb/> der Rede völlige Klarheit zu geben. Der Stolz der Chinesen kann<lb/> also sein, mit diesem einfachen Mittel die höchsten Anforderungen des<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0138]
Der Bau der menschlichen Sprache.
khing tschung und Abstand fern-nahe ywan kin. Aehnliche Wortbil-
dungen in unsrer Sprache sind Helldunkel, Pianoforte, im Spani-
schen calofrio warmkalt für Fieber und altibajo hochniedrig für
einen Hieb von oben nach unten 1). Da ihnen ein Wort für
Tugend fehlt, sagen die Chinesen Unterthanentreue, Ehrfurcht
gegen Eltern, Mässigung, Gerechtigkeit tschun hyau tsye i, sie zählen
also auf, was sie für die höchsten Pflichten des Chinesen halten.
Bei allen solchen Wurzelzusammenfügungen ist die Reihenfolge
stets vorgeschrieben. Wer in Wurzeln spricht, also der Chinese,
kann auch nicht einfach sagen: lesen oder essen, sondern er muss
sagen Buch lesen oder Reis essen.
Es gibt indessen selbst im Chinesischen schüchterne Anfänge
zur Wortbildung. Allerdings bewahren alle Wurzeln immer ihre
Selbstständigkeit, doch gibt es einzelne, durch deren Beifügung
andere Wurzeln zu einem Hauptwort erhöht werden. Die Wurzel
thau Kopf hat diese Wirkung überall. So kann tschi je nach seiner
Stellung zeigen oder Finger bedeuten, tschi-thau aber heisst stets
Finger. Wiederum wird eine Wurzel mit der Bedeutung Sohn tsz
zu Verkleinerungen verwendet, so dass aus Schwert tau Schwert-
sohn tau-tsz mit der Bedeutung Messer gebildet wird. Beim Zählen
von Gegenständen wird stets ein Stückname hinzugefügt, wie wir
etwa auch im Deutschen sagen ein Laib Brot, ein Blatt Papier,
ein Bund Heu, eine Elle Leinwand. Handelt es sich um Götzen-
bilder, Gelehrte oder Beamte, so setzt der Chinese zur Zahl noch
die Prädicate Ehrwürden, Würden, Kleinode bei 2). Bei Thieren
wird das Geschlecht durch Beifügung zweier Wurzeln angedeutet,
die in dieser Verbindung den Sinn von Mann oder von Mutter
verleihen. Die Mehrzahl aber bilden die Chinesen durch Zusatz
der Wurzeln, die den Sinn von viel oder von allen besitzen.
Das Stellungsgesetz reicht also hin, um mit einsylbigen Wurzeln
der Rede völlige Klarheit zu geben. Der Stolz der Chinesen kann
also sein, mit diesem einfachen Mittel die höchsten Anforderungen des
1) Tobler, psycholog. Bedeutung der Wortzusammensetzungen in Zeit.
schrift für Völkerpsychologie. Bd. 5. Berlin 1868. S. 209.
2) Die Mexicaner und Malayen fügen dem Zahlwort immer noch Stein
hinzu, die Javanen Korn, die Niasmalayen Frucht. Man sagt also in diesen
Sprachen nicht drei Hühner, vier Kinder, fünf Schwerter, sondern drei Steine
Hühner, vier Körner Kinder, fünf Früchte Schwerter. Tylor, Urgeschichte,
S. 208.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |