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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der Bau der menschlichen Sprache.
Zeitwort, Präposition, Conjunction erkennen lassen müsse. Die
erste Ueberraschung wird dem Neuling durch die semitischen
Sprachen bereitet, denen es zwar an den Formen nicht fehlt, die
sich aber ungewohnter Mittel zu ihren Sinnbegrenzungen bedienen.
Das Staunen wächst, wenn die Erkundigung sich über afrikanische
und nordasiatische Sprachen erstreckt, bei denen nicht blos die
Unterscheidung eines grammatischen Geschlechtes, sondern sogar
des Zeitwortes völlig wegfällt. Dass es aber Sprachen geben sollte,
die nicht einmal bis zur Wortbildung sich erhoben haben, versetzt
uns anfangs in ungläubige Rathlosigkeit, besonders wenn hinzuge-
setzt wird, dass ein hochstehendes Culturvolk in einer solchen
Sprache Werke von tiefer Lebensweisheit und Erzählungen von
hohem künstlerischen Schliff und Feinheit abgefasst habe. Gleich-
wohl sind die besten Beweise vorhanden, dass alle Sprachen einst
aus diesen rohen Anfängen hervorgegangen seien.

Bei allen einsylbigen Sprachen mangeln jene Laut- oder Sylben-
zusätze, durch welche anderwärts Hauptwort, Eigenschaftswort oder
Zeitwort, und noch vielmehr solche, an denen der Träger einer
Handlung von ihrem Gegenstande unterschieden wird, denn es
sind überhaupt noch keine Worte, sondern nur Wurzeln vorhanden.
Warnen möchten wir jedoch sogleich den Unvorbereiteten, dass er
nicht etwa die einsylbigen Klänge unsrer Sprache mit der wurzel-
haften Einsylbigkeit verwechsle. Wohl können wir lange Sätze bil-
den mit einsylbigen Worten, wie etwa: Der Mann ging auf die
Jagd und schoss ein Reh u. s. w., allein in diesem Beispiele ist die
Einsylbigkeit von gin-g, von Jag-d nur eine scheinbare und
die von schoss eine zufällige. Noch weit mehr als unsre Mutter-
sprache ist das Englische durch Lautverwitterung und Abschlei-
fung einem Zustande starrer Einsylbigkeit nahe gebracht worden,
allein aus seinem früheren Zustande hat es sich doch die klare
Unterscheidung der grammatischen Categorien gerettet 1) und nur
bei etlichen Fällen, wie butter, oil, pepper, cudgel muss der Hörer
oder Leser aus dem Sinn der Rede errathen, ob das Hauptwort
Butter, Oel, Pfeffer, Knüttel oder das Zeitwort mit Butter be-
streichen, einölen, pfeffern oder prügeln angewendet werden sollte 2).

Das Chinesische ist die Sprache, welche aller grammatischen

1) Whitney, Language and the study of language. p. 264.
2) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 80.

Der Bau der menschlichen Sprache.
Zeitwort, Präposition, Conjunction erkennen lassen müsse. Die
erste Ueberraschung wird dem Neuling durch die semitischen
Sprachen bereitet, denen es zwar an den Formen nicht fehlt, die
sich aber ungewohnter Mittel zu ihren Sinnbegrenzungen bedienen.
Das Staunen wächst, wenn die Erkundigung sich über afrikanische
und nordasiatische Sprachen erstreckt, bei denen nicht blos die
Unterscheidung eines grammatischen Geschlechtes, sondern sogar
des Zeitwortes völlig wegfällt. Dass es aber Sprachen geben sollte,
die nicht einmal bis zur Wortbildung sich erhoben haben, versetzt
uns anfangs in ungläubige Rathlosigkeit, besonders wenn hinzuge-
setzt wird, dass ein hochstehendes Culturvolk in einer solchen
Sprache Werke von tiefer Lebensweisheit und Erzählungen von
hohem künstlerischen Schliff und Feinheit abgefasst habe. Gleich-
wohl sind die besten Beweise vorhanden, dass alle Sprachen einst
aus diesen rohen Anfängen hervorgegangen seien.

Bei allen einsylbigen Sprachen mangeln jene Laut- oder Sylben-
zusätze, durch welche anderwärts Hauptwort, Eigenschaftswort oder
Zeitwort, und noch vielmehr solche, an denen der Träger einer
Handlung von ihrem Gegenstande unterschieden wird, denn es
sind überhaupt noch keine Worte, sondern nur Wurzeln vorhanden.
Warnen möchten wir jedoch sogleich den Unvorbereiteten, dass er
nicht etwa die einsylbigen Klänge unsrer Sprache mit der wurzel-
haften Einsylbigkeit verwechsle. Wohl können wir lange Sätze bil-
den mit einsylbigen Worten, wie etwa: Der Mann ging auf die
Jagd und schoss ein Reh u. s. w., allein in diesem Beispiele ist die
Einsylbigkeit von gin-g, von Jag-d nur eine scheinbare und
die von schoss eine zufällige. Noch weit mehr als unsre Mutter-
sprache ist das Englische durch Lautverwitterung und Abschlei-
fung einem Zustande starrer Einsylbigkeit nahe gebracht worden,
allein aus seinem früheren Zustande hat es sich doch die klare
Unterscheidung der grammatischen Categorien gerettet 1) und nur
bei etlichen Fällen, wie butter, oil, pepper, cudgel muss der Hörer
oder Leser aus dem Sinn der Rede errathen, ob das Hauptwort
Butter, Oel, Pfeffer, Knüttel oder das Zeitwort mit Butter be-
streichen, einölen, pfeffern oder prügeln angewendet werden sollte 2).

Das Chinesische ist die Sprache, welche aller grammatischen

1) Whitney, Language and the study of language. p. 264.
2) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 80.
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[118/0136] Der Bau der menschlichen Sprache. Zeitwort, Präposition, Conjunction erkennen lassen müsse. Die erste Ueberraschung wird dem Neuling durch die semitischen Sprachen bereitet, denen es zwar an den Formen nicht fehlt, die sich aber ungewohnter Mittel zu ihren Sinnbegrenzungen bedienen. Das Staunen wächst, wenn die Erkundigung sich über afrikanische und nordasiatische Sprachen erstreckt, bei denen nicht blos die Unterscheidung eines grammatischen Geschlechtes, sondern sogar des Zeitwortes völlig wegfällt. Dass es aber Sprachen geben sollte, die nicht einmal bis zur Wortbildung sich erhoben haben, versetzt uns anfangs in ungläubige Rathlosigkeit, besonders wenn hinzuge- setzt wird, dass ein hochstehendes Culturvolk in einer solchen Sprache Werke von tiefer Lebensweisheit und Erzählungen von hohem künstlerischen Schliff und Feinheit abgefasst habe. Gleich- wohl sind die besten Beweise vorhanden, dass alle Sprachen einst aus diesen rohen Anfängen hervorgegangen seien. Bei allen einsylbigen Sprachen mangeln jene Laut- oder Sylben- zusätze, durch welche anderwärts Hauptwort, Eigenschaftswort oder Zeitwort, und noch vielmehr solche, an denen der Träger einer Handlung von ihrem Gegenstande unterschieden wird, denn es sind überhaupt noch keine Worte, sondern nur Wurzeln vorhanden. Warnen möchten wir jedoch sogleich den Unvorbereiteten, dass er nicht etwa die einsylbigen Klänge unsrer Sprache mit der wurzel- haften Einsylbigkeit verwechsle. Wohl können wir lange Sätze bil- den mit einsylbigen Worten, wie etwa: Der Mann ging auf die Jagd und schoss ein Reh u. s. w., allein in diesem Beispiele ist die Einsylbigkeit von gin-g, von Jag-d nur eine scheinbare und die von schoss eine zufällige. Noch weit mehr als unsre Mutter- sprache ist das Englische durch Lautverwitterung und Abschlei- fung einem Zustande starrer Einsylbigkeit nahe gebracht worden, allein aus seinem früheren Zustande hat es sich doch die klare Unterscheidung der grammatischen Categorien gerettet 1) und nur bei etlichen Fällen, wie butter, oil, pepper, cudgel muss der Hörer oder Leser aus dem Sinn der Rede errathen, ob das Hauptwort Butter, Oel, Pfeffer, Knüttel oder das Zeitwort mit Butter be- streichen, einölen, pfeffern oder prügeln angewendet werden sollte 2). Das Chinesische ist die Sprache, welche aller grammatischen 1) Whitney, Language and the study of language. p. 264. 2) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 80.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/136>, abgerufen am 22.12.2024.