Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. schwierig, sich den ersten Sprechversuch zu erklären. Eine Ab-sicht, durch die Stimmwerkzeuge einem andern einen Gedanken mitzutheilen, darf nicht angenommen werden, dazu hätte ja gehört, dass der Sprechende sich bewusst gewesen wäre, dass ein Laut überhaupt zur Gedankenmittheilung dienen könne. Selbst wenn aber der erste Sprecher mit einem bestimmten Laut einen be- stimmten Gedanken verknüpft haben würde, so hatte er doch, da sich an jede Verlautbarung jeder Gedanke knüpfen lässt, gar keine Aussicht, verstanden zu werden 1). Eine Aufhellung dieses dunklen Vorganges wäre nicht denkbar, wenn nicht ein jeder von uns selbst einmal aus dem sprachlosen Zustande sich hätte emporarbeiten müssen. Ein jedes Kind muss die Sprechversuche der Menschheit wiederholen, nur dass bei seinem Entwicklungsgang durch das Ent- gegenkommen der Erzieher eine Anzahl Mittelglieder übersprungen werden. Das Erwachen des Sprachverständnisses und die Sprach- schöpfung lassen sich deshalb bei jedem Kinde neu beobachten. Zu den übereilten Behauptungen L. Geigers gehört es auch, dass keine neuen Worte mehr erfunden werden sollen. Die jugendlichen Ame- rikaner hätten ihn vom Gegentheil belehren können. Der Partei- name Locofoco, der Geheimbundname Kluklux, der Sectenname Mor- monen sind willkürliche Erfindungen. Schurlemurle, wie ein Getränk aus gemischtem Wein in Würzburg genannt wird und Pic-nic lassen sich wohl schwerlich von älteren Ausdrücken ableiten. Wer aber Kinder beobachtet hat, der wird über den Zweifel, dass Sprach- laute nicht zu neuen Gruppen zusammengestellt werden sollten, nur staunen können 2). In Südafrika verlassen die Bewohner öder Strecken ihre Ortschaften, in denen die Kinder unter Aufsicht von etlichen altersschwachen Leuten zurückbleiben. Die Jugend beginnt nun eine eigene Sprache sich zu schaffen, die lebhafteren fügen sich dabei den minder entwickelten und im Laufe eines einzigen Geschlechtes vermag sich auf solche Weise das Wesen der Sprache zu ändern 3). Zwei Worte, die in allen Sprachen der Erde erklingen, sind von Kindern geschaffen worden und werden 1) Steinthal, Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 84. S. 370 ff. 2) S. einen solchen Fall bei Steinthal, Psychologie u. Sprachwissen- schaft. Bd. 1. S. 382. § 510. 3) Max Müller, Science of language, tom. II, 54. Peschel, Völkerkunde. 8
Die Entwickelungsgeschichte der menschlichen Sprache. schwierig, sich den ersten Sprechversuch zu erklären. Eine Ab-sicht, durch die Stimmwerkzeuge einem andern einen Gedanken mitzutheilen, darf nicht angenommen werden, dazu hätte ja gehört, dass der Sprechende sich bewusst gewesen wäre, dass ein Laut überhaupt zur Gedankenmittheilung dienen könne. Selbst wenn aber der erste Sprecher mit einem bestimmten Laut einen be- stimmten Gedanken verknüpft haben würde, so hatte er doch, da sich an jede Verlautbarung jeder Gedanke knüpfen lässt, gar keine Aussicht, verstanden zu werden 1). Eine Aufhellung dieses dunklen Vorganges wäre nicht denkbar, wenn nicht ein jeder von uns selbst einmal aus dem sprachlosen Zustande sich hätte emporarbeiten müssen. Ein jedes Kind muss die Sprechversuche der Menschheit wiederholen, nur dass bei seinem Entwicklungsgang durch das Ent- gegenkommen der Erzieher eine Anzahl Mittelglieder übersprungen werden. Das Erwachen des Sprachverständnisses und die Sprach- schöpfung lassen sich deshalb bei jedem Kinde neu beobachten. Zu den übereilten Behauptungen L. Geigers gehört es auch, dass keine neuen Worte mehr erfunden werden sollen. Die jugendlichen Ame- rikaner hätten ihn vom Gegentheil belehren können. Der Partei- name Locofoco, der Geheimbundname Kluklux, der Sectenname Mor- monen sind willkürliche Erfindungen. Schurlemurle, wie ein Getränk aus gemischtem Wein in Würzburg genannt wird und Pic-nic lassen sich wohl schwerlich von älteren Ausdrücken ableiten. Wer aber Kinder beobachtet hat, der wird über den Zweifel, dass Sprach- laute nicht zu neuen Gruppen zusammengestellt werden sollten, nur staunen können 2). In Südafrika verlassen die Bewohner öder Strecken ihre Ortschaften, in denen die Kinder unter Aufsicht von etlichen altersschwachen Leuten zurückbleiben. Die Jugend beginnt nun eine eigene Sprache sich zu schaffen, die lebhafteren fügen sich dabei den minder entwickelten und im Laufe eines einzigen Geschlechtes vermag sich auf solche Weise das Wesen der Sprache zu ändern 3). Zwei Worte, die in allen Sprachen der Erde erklingen, sind von Kindern geschaffen worden und werden 1) Steinthal, Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 84. S. 370 ff. 2) S. einen solchen Fall bei Steinthal, Psychologie u. Sprachwissen- schaft. Bd. 1. S. 382. § 510. 3) Max Müller, Science of language, tom. II, 54. Peschel, Völkerkunde. 8
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schwierig, sich den ersten Sprechversuch zu erklären. Eine Ab-
sicht, durch die Stimmwerkzeuge einem andern einen Gedanken
mitzutheilen, darf nicht angenommen werden, dazu hätte ja gehört,
dass der Sprechende sich bewusst gewesen wäre, dass ein Laut
überhaupt zur Gedankenmittheilung dienen könne. Selbst wenn
aber der erste Sprecher mit einem bestimmten Laut einen be-
stimmten Gedanken verknüpft haben würde, so hatte er doch, da
sich an jede Verlautbarung jeder Gedanke knüpfen lässt, gar keine
Aussicht, verstanden zu werden 1). Eine Aufhellung dieses dunklen
Vorganges wäre nicht denkbar, wenn nicht ein jeder von uns selbst
einmal aus dem sprachlosen Zustande sich hätte emporarbeiten
müssen. Ein jedes Kind muss die Sprechversuche der Menschheit
wiederholen, nur dass bei seinem Entwicklungsgang durch das Ent-
gegenkommen der Erzieher eine Anzahl Mittelglieder übersprungen
werden. Das Erwachen des Sprachverständnisses und die Sprach-
schöpfung lassen sich deshalb bei jedem Kinde neu beobachten. Zu
den übereilten Behauptungen L. Geigers gehört es auch, dass keine
neuen Worte mehr erfunden werden sollen. Die jugendlichen Ame-
rikaner hätten ihn vom Gegentheil belehren können. Der Partei-
name Locofoco, der Geheimbundname Kluklux, der Sectenname Mor-
monen sind willkürliche Erfindungen. Schurlemurle, wie ein Getränk
aus gemischtem Wein in Würzburg genannt wird und Pic-nic lassen
sich wohl schwerlich von älteren Ausdrücken ableiten. Wer aber
Kinder beobachtet hat, der wird über den Zweifel, dass Sprach-
laute nicht zu neuen Gruppen zusammengestellt werden sollten,
nur staunen können 2). In Südafrika verlassen die Bewohner öder
Strecken ihre Ortschaften, in denen die Kinder unter Aufsicht
von etlichen altersschwachen Leuten zurückbleiben. Die Jugend
beginnt nun eine eigene Sprache sich zu schaffen, die lebhafteren
fügen sich dabei den minder entwickelten und im Laufe eines
einzigen Geschlechtes vermag sich auf solche Weise das Wesen
der Sprache zu ändern 3). Zwei Worte, die in allen Sprachen der
Erde erklingen, sind von Kindern geschaffen worden und werden
1) Steinthal, Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. S. 84.
S. 370 ff.
2) S. einen solchen Fall bei Steinthal, Psychologie u. Sprachwissen-
schaft. Bd. 1. S. 382. § 510.
3) Max Müller, Science of language, tom. II, 54.
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