Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
missbräuchlich Mongolen genannt wurden 1). Die Geschichte gab diesen Namen den Schaaren, die unter Tschingischan und seinen Nachfolgern in das Abendland hereinbrachen, unter denen aber die Mehrzahl türkisch redeten.
Die heutige Völkerkunde rechnet zu den eigentlichen Mon- golen nur vier Zweige: Die Ostmongolen, die Kalmüken, die Bur- jäten und die Hazareh oder Aimaq. Die Ostmongolen sind diejenigen, welche ursprünglich von Chinesen den Spottnamen Tata empfingen, später, nämlich seit dem 8. Jahrhundert, Mungku (Mongolen) genannt wurden 2). Sie bewohnen die östliche Hälfte der Gobi und theilen sich in zwei Horden, die südlich sitzenden Schara und ihre nördlichen Nachbarn, die Kalka. Als geschichts- losen Völkern können wir ihnen keine Verdienste um die Gesittung nachweisen. Der zweite Zweig, die Kalmüken 3), nennt sich selbst Oelöt, die Abgesonderten, oder Durban oirad, die vier Ver- bundenen. Die Namen dieser vier Horden lauten: Dschungar, Turgut, Choschod, Turbet. Ein Kalmükenreich wurde 1671 ge- stiftet, bestand aber kein volles Jahrhundert, sondern verfiel der chinesischen Herrschaft. Die Kalmüken haben noch bis in die neuesten Zeiten ihre Wanderungen fortgesetzt. Nach dem euro- päischen Russland kamen sie erst 1616 und wanderten theilweise von dort unter namenlosen Gefahren und Drangsalen 1771 nach dem chinesischen Reiche zurück. Etliche Horden sind auch über den Südrand der Gobi ausgeschwärmt 4).
Nur sprachlich von ihnen unterschieden sind die Burjäten, die schon unter Tschingischan am Baikal-See und in dessen Umgebung sassen und ohne grossen Widerstand 1644 sich den Kosaken unterwarfen. Alle diese drei mongolischen Zweige haben
1) F. v. Erdmann, Temudschin der Unerschütterliche. Leipzig 1862. S. 168.
2)Castren, Vorlesungen. S. 37.
3) Dieser Name wird bald abgeleitet von dem türkischen Wort Khali- mak die Zurückgebliebenen, bald von dem mongolischen Gholaimak Feuer- horde, bald endlich von Kalmuck, feurige Leute. Liadoff im Journ. of the Anthrop. Institute. tom. I. p. 401.
4) Es geschah nach dem Sturze der Yuen-Dynastie, dass ein Schwarm Kalmüken, gemischt aus Dschungaren, Turguten und Choschoden, nach dem Koko-noor auszog. Howorth, im Journal of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 232.
Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
missbräuchlich Mongolen genannt wurden 1). Die Geschichte gab diesen Namen den Schaaren, die unter Tschingischan und seinen Nachfolgern in das Abendland hereinbrachen, unter denen aber die Mehrzahl türkisch redeten.
Die heutige Völkerkunde rechnet zu den eigentlichen Mon- golen nur vier Zweige: Die Ostmongolen, die Kalmüken, die Bur- jäten und die Hazareh oder Aimaq. Die Ostmongolen sind diejenigen, welche ursprünglich von Chinesen den Spottnamen Tata empfingen, später, nämlich seit dem 8. Jahrhundert, Mungku (Mongolen) genannt wurden 2). Sie bewohnen die östliche Hälfte der Gobi und theilen sich in zwei Horden, die südlich sitzenden Schara und ihre nördlichen Nachbarn, die Kalka. Als geschichts- losen Völkern können wir ihnen keine Verdienste um die Gesittung nachweisen. Der zweite Zweig, die Kalmüken 3), nennt sich selbst Oelöt, die Abgesonderten, oder Durban oirad, die vier Ver- bundenen. Die Namen dieser vier Horden lauten: Dschungar, Turgut, Choschod, Turbet. Ein Kalmükenreich wurde 1671 ge- stiftet, bestand aber kein volles Jahrhundert, sondern verfiel der chinesischen Herrschaft. Die Kalmüken haben noch bis in die neuesten Zeiten ihre Wanderungen fortgesetzt. Nach dem euro- päischen Russland kamen sie erst 1616 und wanderten theilweise von dort unter namenlosen Gefahren und Drangsalen 1771 nach dem chinesischen Reiche zurück. Etliche Horden sind auch über den Südrand der Gobi ausgeschwärmt 4).
Nur sprachlich von ihnen unterschieden sind die Burjäten, die schon unter Tschingischan am Baikal-See und in dessen Umgebung sassen und ohne grossen Widerstand 1644 sich den Kosaken unterwarfen. Alle diese drei mongolischen Zweige haben
1) F. v. Erdmann, Temudschin der Unerschütterliche. Leipzig 1862. S. 168.
2)Castrén, Vorlesungen. S. 37.
3) Dieser Name wird bald abgeleitet von dem türkischen Wort Khali- mak die Zurückgebliebenen, bald von dem mongolischen Gholaïmak Feuer- horde, bald endlich von Kalmuck, feurige Leute. Liadoff im Journ. of the Anthrop. Institute. tom. I. p. 401.
4) Es geschah nach dem Sturze der Yuen-Dynastie, dass ein Schwarm Kalmüken, gemischt aus Dschungaren, Turguten und Choschoden, nach dem Koko-noor auszog. Howorth, im Journal of the Anthropol. Institute. tom. I. p. 232.
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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
missbräuchlich Mongolen genannt wurden 1). Die Geschichte gab
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Nachfolgern in das Abendland hereinbrachen, unter denen aber
die Mehrzahl türkisch redeten.
Die heutige Völkerkunde rechnet zu den eigentlichen Mon-
golen nur vier Zweige: Die Ostmongolen, die Kalmüken, die Bur-
jäten und die Hazareh oder Aimaq. Die Ostmongolen sind
diejenigen, welche ursprünglich von Chinesen den Spottnamen
Tata empfingen, später, nämlich seit dem 8. Jahrhundert, Mungku
(Mongolen) genannt wurden 2). Sie bewohnen die östliche Hälfte
der Gobi und theilen sich in zwei Horden, die südlich sitzenden
Schara und ihre nördlichen Nachbarn, die Kalka. Als geschichts-
losen Völkern können wir ihnen keine Verdienste um die Gesittung
nachweisen. Der zweite Zweig, die Kalmüken 3), nennt sich
selbst Oelöt, die Abgesonderten, oder Durban oirad, die vier Ver-
bundenen. Die Namen dieser vier Horden lauten: Dschungar,
Turgut, Choschod, Turbet. Ein Kalmükenreich wurde 1671 ge-
stiftet, bestand aber kein volles Jahrhundert, sondern verfiel der
chinesischen Herrschaft. Die Kalmüken haben noch bis in die
neuesten Zeiten ihre Wanderungen fortgesetzt. Nach dem euro-
päischen Russland kamen sie erst 1616 und wanderten theilweise
von dort unter namenlosen Gefahren und Drangsalen 1771 nach
dem chinesischen Reiche zurück. Etliche Horden sind auch über
den Südrand der Gobi ausgeschwärmt 4).
Nur sprachlich von ihnen unterschieden sind die Burjäten,
die schon unter Tschingischan am Baikal-See und in dessen
Umgebung sassen und ohne grossen Widerstand 1644 sich den
Kosaken unterwarfen. Alle diese drei mongolischen Zweige haben
1) F. v. Erdmann, Temudschin der Unerschütterliche. Leipzig 1862.
S. 168.
2) Castrén, Vorlesungen. S. 37.
3) Dieser Name wird bald abgeleitet von dem türkischen Wort Khali-
mak die Zurückgebliebenen, bald von dem mongolischen Gholaïmak Feuer-
horde, bald endlich von Kalmuck, feurige Leute. Liadoff im Journ. of the
Anthrop. Institute. tom. I. p. 401.
4) Es geschah nach dem Sturze der Yuen-Dynastie, dass ein Schwarm
Kalmüken, gemischt aus Dschungaren, Turguten und Choschoden, nach dem
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tom. I. p. 232.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/422>, abgerufen am 08.02.2025.
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