gegenwärtig weder bewacht noch ausgebessert wird, und von der man sprüchwörtlich, aber fälschlich behauptet, sie sei von den Chinesen als eine Art spanischer Wand zur Abwehr gegen abend- ländische Belehrungen errichtet worden. Seit Jahrhunderten, sagen die Bescheidenen, seit Jahrtausenden die Dreisteren, sei China China geblieben, ohne sich vorwärts oder rückwärts zu bewegen, so dass zur Widerlegung dieses Irrthums bei der späteren Auf- zählung von Neuerungen, die im himmlischen Reiche so wenig ausgeblieben sind als anderwärts, stets Zeitangaben beigefügt werden sollen, aus denen sich stillschweigend ergeben wird, dass die Bewohner des himmlischen Reiches fort und fort, theils durch eigenes Nachdenken, theils durch Aufnahme fremder Gedanken, ihre Zustände verbessert haben.
Wohl haben uns die Chinesen bis zur Eroberung Pekings "Barbaren" und "Teufel" geheissen. Ob wir aber als Chinesen nicht das nämliche gethan und mit Recht gethan hätten, soll ein jeder entscheiden, nachdem er sich von einem gerecht und mensch- lich fühlenden Gelehrten der Vereinigten Staaten über die Roh- heiten der Europäer in China hat unterrichten lassen. Ein auf- gefrischter Dampfer, erzählt Pumpelly 1), sollte von Schanghai aus seine erste Probe bestehen, und was sich in der Stadt an ange- sehenen Namen befand, wurde zu der Spazierfahrt eingeladen. Zu den Geladenen gehörte auch unser amerikanischer Gewährs- mann. Der Dampfer ging den Wusangfluss hinauf und fegte mit voller Kraft durchs Wasser, als oberhalb ein chinesisches Fahrzeug bemerkt wurde, bis zum Bord mit Backsteinen beladen, so dass es den Rudern der vier einheimischen Schiffsknechte schwer ge- horchte. Da das Fahrwasser sehr schmal war, trachteten die Chinesen seitwärts auszuweichen und arbeiteten aus Leibeskräften. Trotzdem wich das bleierne Fahrzeug nicht völlig bei Seite. Der Lootse fragte daher: "Soll der Dampfer halten?" "Nein", schrie der Capitän, "vorwärts!" Athemlos harrte Pumpelly der Dinge. Die Spitze des Schiffes stiess an das Ziegelboot und der Stoss drehte letzteres so heftig, dass es gegen den Radkasten geschleudert wurde. Der Dampfer bebte beim Zusammenstoss, fuhr aber lustig weiter. Als Pumpelly auf dem Hintertheil über Bord schaute, sah er von Schiff und Schiffern nichts mehr als einen einzigen
1) Across America and Asia. London 1870. p. 206.
Peschel, Völkerkunde. 25
Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
gegenwärtig weder bewacht noch ausgebessert wird, und von der man sprüchwörtlich, aber fälschlich behauptet, sie sei von den Chinesen als eine Art spanischer Wand zur Abwehr gegen abend- ländische Belehrungen errichtet worden. Seit Jahrhunderten, sagen die Bescheidenen, seit Jahrtausenden die Dreisteren, sei China China geblieben, ohne sich vorwärts oder rückwärts zu bewegen, so dass zur Widerlegung dieses Irrthums bei der späteren Auf- zählung von Neuerungen, die im himmlischen Reiche so wenig ausgeblieben sind als anderwärts, stets Zeitangaben beigefügt werden sollen, aus denen sich stillschweigend ergeben wird, dass die Bewohner des himmlischen Reiches fort und fort, theils durch eigenes Nachdenken, theils durch Aufnahme fremder Gedanken, ihre Zustände verbessert haben.
Wohl haben uns die Chinesen bis zur Eroberung Pekings „Barbaren“ und „Teufel“ geheissen. Ob wir aber als Chinesen nicht das nämliche gethan und mit Recht gethan hätten, soll ein jeder entscheiden, nachdem er sich von einem gerecht und mensch- lich fühlenden Gelehrten der Vereinigten Staaten über die Roh- heiten der Europäer in China hat unterrichten lassen. Ein auf- gefrischter Dampfer, erzählt Pumpelly 1), sollte von Schanghai aus seine erste Probe bestehen, und was sich in der Stadt an ange- sehenen Namen befand, wurde zu der Spazierfahrt eingeladen. Zu den Geladenen gehörte auch unser amerikanischer Gewährs- mann. Der Dampfer ging den Wusangfluss hinauf und fegte mit voller Kraft durchs Wasser, als oberhalb ein chinesisches Fahrzeug bemerkt wurde, bis zum Bord mit Backsteinen beladen, so dass es den Rudern der vier einheimischen Schiffsknechte schwer ge- horchte. Da das Fahrwasser sehr schmal war, trachteten die Chinesen seitwärts auszuweichen und arbeiteten aus Leibeskräften. Trotzdem wich das bleierne Fahrzeug nicht völlig bei Seite. Der Lootse fragte daher: „Soll der Dampfer halten?“ „Nein“, schrie der Capitän, „vorwärts!“ Athemlos harrte Pumpelly der Dinge. Die Spitze des Schiffes stiess an das Ziegelboot und der Stoss drehte letzteres so heftig, dass es gegen den Radkasten geschleudert wurde. Der Dampfer bebte beim Zusammenstoss, fuhr aber lustig weiter. Als Pumpelly auf dem Hintertheil über Bord schaute, sah er von Schiff und Schiffern nichts mehr als einen einzigen
1) Across America and Asia. London 1870. p. 206.
Peschel, Völkerkunde. 25
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0403"n="385"/><fwplace="top"type="header">Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.</fw><lb/>
gegenwärtig weder bewacht noch ausgebessert wird, und von der<lb/>
man sprüchwörtlich, aber fälschlich behauptet, sie sei von den<lb/>
Chinesen als eine Art spanischer Wand zur Abwehr gegen abend-<lb/>
ländische Belehrungen errichtet worden. Seit Jahrhunderten, sagen<lb/>
die Bescheidenen, seit Jahrtausenden die Dreisteren, sei China<lb/>
China geblieben, ohne sich vorwärts oder rückwärts zu bewegen,<lb/>
so dass zur Widerlegung dieses Irrthums bei der späteren Auf-<lb/>
zählung von Neuerungen, die im himmlischen Reiche so wenig<lb/>
ausgeblieben sind als anderwärts, stets Zeitangaben beigefügt<lb/>
werden sollen, aus denen sich stillschweigend ergeben wird, dass<lb/>
die Bewohner des himmlischen Reiches fort und fort, theils durch<lb/>
eigenes Nachdenken, theils durch Aufnahme fremder Gedanken,<lb/>
ihre Zustände verbessert haben.</p><lb/><p>Wohl haben uns die Chinesen bis zur Eroberung Pekings<lb/>„Barbaren“ und „Teufel“ geheissen. Ob wir aber als Chinesen<lb/>
nicht das nämliche gethan und mit Recht gethan hätten, soll ein<lb/>
jeder entscheiden, nachdem er sich von einem gerecht und mensch-<lb/>
lich fühlenden Gelehrten der Vereinigten Staaten über die Roh-<lb/>
heiten der Europäer in China hat unterrichten lassen. Ein auf-<lb/>
gefrischter Dampfer, erzählt Pumpelly <noteplace="foot"n="1)">Across America and Asia. London 1870. p. 206.</note>, sollte von Schanghai aus<lb/>
seine erste Probe bestehen, und was sich in der Stadt an ange-<lb/>
sehenen Namen befand, wurde zu der Spazierfahrt eingeladen.<lb/>
Zu den Geladenen gehörte auch unser amerikanischer Gewährs-<lb/>
mann. Der Dampfer ging den Wusangfluss hinauf und fegte mit<lb/>
voller Kraft durchs Wasser, als oberhalb ein chinesisches Fahrzeug<lb/>
bemerkt wurde, bis zum Bord mit Backsteinen beladen, so dass<lb/>
es den Rudern der vier einheimischen Schiffsknechte schwer ge-<lb/>
horchte. Da das Fahrwasser sehr schmal war, trachteten die<lb/>
Chinesen seitwärts auszuweichen und arbeiteten aus Leibeskräften.<lb/>
Trotzdem wich das bleierne Fahrzeug nicht völlig bei Seite. Der<lb/>
Lootse fragte daher: „Soll der Dampfer halten?“„Nein“, schrie<lb/>
der Capitän, „vorwärts!“ Athemlos harrte Pumpelly der Dinge.<lb/>
Die Spitze des Schiffes stiess an das Ziegelboot und der Stoss<lb/>
drehte letzteres so heftig, dass es gegen den Radkasten geschleudert<lb/>
wurde. Der Dampfer bebte beim Zusammenstoss, fuhr aber lustig<lb/>
weiter. Als Pumpelly auf dem Hintertheil über Bord schaute,<lb/>
sah er von Schiff und Schiffern nichts mehr als einen einzigen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">Peschel</hi>, Völkerkunde. 25</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[385/0403]
Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
gegenwärtig weder bewacht noch ausgebessert wird, und von der
man sprüchwörtlich, aber fälschlich behauptet, sie sei von den
Chinesen als eine Art spanischer Wand zur Abwehr gegen abend-
ländische Belehrungen errichtet worden. Seit Jahrhunderten, sagen
die Bescheidenen, seit Jahrtausenden die Dreisteren, sei China
China geblieben, ohne sich vorwärts oder rückwärts zu bewegen,
so dass zur Widerlegung dieses Irrthums bei der späteren Auf-
zählung von Neuerungen, die im himmlischen Reiche so wenig
ausgeblieben sind als anderwärts, stets Zeitangaben beigefügt
werden sollen, aus denen sich stillschweigend ergeben wird, dass
die Bewohner des himmlischen Reiches fort und fort, theils durch
eigenes Nachdenken, theils durch Aufnahme fremder Gedanken,
ihre Zustände verbessert haben.
Wohl haben uns die Chinesen bis zur Eroberung Pekings
„Barbaren“ und „Teufel“ geheissen. Ob wir aber als Chinesen
nicht das nämliche gethan und mit Recht gethan hätten, soll ein
jeder entscheiden, nachdem er sich von einem gerecht und mensch-
lich fühlenden Gelehrten der Vereinigten Staaten über die Roh-
heiten der Europäer in China hat unterrichten lassen. Ein auf-
gefrischter Dampfer, erzählt Pumpelly 1), sollte von Schanghai aus
seine erste Probe bestehen, und was sich in der Stadt an ange-
sehenen Namen befand, wurde zu der Spazierfahrt eingeladen.
Zu den Geladenen gehörte auch unser amerikanischer Gewährs-
mann. Der Dampfer ging den Wusangfluss hinauf und fegte mit
voller Kraft durchs Wasser, als oberhalb ein chinesisches Fahrzeug
bemerkt wurde, bis zum Bord mit Backsteinen beladen, so dass
es den Rudern der vier einheimischen Schiffsknechte schwer ge-
horchte. Da das Fahrwasser sehr schmal war, trachteten die
Chinesen seitwärts auszuweichen und arbeiteten aus Leibeskräften.
Trotzdem wich das bleierne Fahrzeug nicht völlig bei Seite. Der
Lootse fragte daher: „Soll der Dampfer halten?“ „Nein“, schrie
der Capitän, „vorwärts!“ Athemlos harrte Pumpelly der Dinge.
Die Spitze des Schiffes stiess an das Ziegelboot und der Stoss
drehte letzteres so heftig, dass es gegen den Radkasten geschleudert
wurde. Der Dampfer bebte beim Zusammenstoss, fuhr aber lustig
weiter. Als Pumpelly auf dem Hintertheil über Bord schaute,
sah er von Schiff und Schiffern nichts mehr als einen einzigen
1) Across America and Asia. London 1870. p. 206.
Peschel, Völkerkunde. 25
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/403>, abgerufen am 05.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.