Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pertsch, Johann Georg: Das Recht Der Beicht-Stühle. Halle, 1721.

Bild:
<< vorherige Seite
die Sünde zu vergeben und zu behalten.
§. II.

Es dürfften wohl einige seyn/ die sich einbilden/Warum ich
von dem
Ursprung

es sey etwas wunderliches/ daß ich mit so vielen Worten/

von
ben durch das Binden ein Verbot, durch das Lösen aber eine
Zulassung verstanden. Sie sagten, man müste diese Worte aus
denen Jüdischen Alterthümern und Gebräuchen erklären. Die
Jüdischen Lehrer hätten in zweiffelhafften Fällen von dem Sinn
des Göttlichen Rechts Antwort ertheilet und gesprochen. Diese
Gewalt sey durch die Schlüssel angedeutet worden. CHristus
hätte nun denen Aposteln gleiche Macht ertheilet, daß sie nemlich
das Mosaische Gesetze zum Theil abschaffen, und zur Zeit des neu-
en Bundes einiges erlauben könnten, das vorhero verboten gewe-
sen; im Gegentheil, solten sie auch die Macht haben, gedachtes
Gesetz zum Theil zu behalten, und denen Christen eines und das
andere zu untersagen, das denen Jüden ebenfalls verboten gewe-
sen. Das erstere sey die Macht zu lösen, das andere die Gewalt
zu binden. Diese Meinung hegen Hugo Grotius, Joh. Camero, da
sie auf die angeführte Schrifft-Stelle kommen. Es pflichtet der-
selben bey Joh. Seldenus de Synedr. Ebraeor. Joh. Ligtfoot. in hor.
Ehraic. & Talmud.
Joh. Dallaeus de confess. auricul.
Der Joh. Be-
nedict. Carpzovius in Epist. dedic. Oper. cit. Ligtfoot
lobet solche
Erklärung. Der scharfsinnige Herr Thomasius in dem Beden-
cken, wie weit einem Geistlichen erlaubt, gegen seinen Landes-
Herrn sich des Binde-Schlüssels zu bedienen,
und der berühm-
te Herr Böhmer in Jur. Eccles. Antiq. ad Plin. & Tertull. erweh-
len ebenfalls solche Erklärung, anderer zu geschweigen. Allein
denen meisten stehet solche nicht an. Es hat nur vor einigen Jah-
ren, nehmlich Ao. 1715. der Herr Christ. Loeber, Superintendens
in Ronneburg eine Synodal-disputation im Monat Augusto de po-
testate ligandi & solvendi
gehalten, die absonderlich wider Ligt-
foot
en gerichtet ist. Jch kan nicht leugnen, daß seine Gründe ge-
lehrt sind, allein mir deucht doch, daß dieselben nicht also be-
schaffen, daß aller Zweiffel gehoben, und nichts dawieder ein-
gewendet werden könte. Jch kan und will auch nicht vor je-
tzo mich in diesen Streit mischen. Denn es treffen doch alle
hierinn überein, CHristus habe denen Aposteln die Macht die
Sünde
die Suͤnde zu vergeben und zu behalten.
§. II.

Es duͤrfften wohl einige ſeyn/ die ſich einbilden/Waꝛum ich
von dem
Urſprung

es ſey etwas wunderliches/ daß ich mit ſo vielen Worten/

von
ben durch das Binden ein Verbot, durch das Loͤſen aber eine
Zulaſſung verſtanden. Sie ſagten, man muͤſte dieſe Worte aus
denen Juͤdiſchen Alterthuͤmern und Gebraͤuchen erklaͤren. Die
Juͤdiſchen Lehrer haͤtten in zweiffelhafften Faͤllen von dem Sinn
des Goͤttlichen Rechts Antwort ertheilet und geſprochen. Dieſe
Gewalt ſey durch die Schluͤſſel angedeutet worden. CHriſtus
haͤtte nun denen Apoſteln gleiche Macht ertheilet, daß ſie nemlich
das Moſaiſche Geſetze zum Theil abſchaffen, und zur Zeit des neu-
en Bundes einiges erlauben koͤnnten, das vorhero verboten gewe-
ſen; im Gegentheil, ſolten ſie auch die Macht haben, gedachtes
Geſetz zum Theil zu behalten, und denen Chriſten eines und das
andere zu unterſagen, das denen Juͤden ebenfalls verboten gewe-
ſen. Das erſtere ſey die Macht zu loͤſen, das andere die Gewalt
zu binden. Dieſe Meinung hegen Hugo Grotius, Joh. Camero, da
ſie auf die angefuͤhrte Schrifft-Stelle kommen. Es pflichtet der-
ſelben bey Joh. Seldenus de Synedr. Ebræor. Joh. Ligtfoot. in hor.
Ehraic. & Talmud.
Joh. Dallæus de confeſſ. auricul.
Der Joh. Be-
nedict. Carpzovius in Epiſt. dedic. Oper. cit. Ligtfoot
lobet ſolche
Erklaͤrung. Der ſcharfſinnige Herr Thomaſius in dem Beden-
cken, wie weit einem Geiſtlichen erlaubt, gegen ſeinen Landes-
Herrn ſich des Binde-Schluͤſſels zu bedienen,
und der beruͤhm-
te Herr Boͤhmer in Jur. Eccleſ. Antiq. ad Plin. & Tertull. erweh-
len ebenfalls ſolche Erklaͤrung, anderer zu geſchweigen. Allein
denen meiſten ſtehet ſolche nicht an. Es hat nur vor einigen Jah-
ren, nehmlich Ao. 1715. der Herr Chriſt. Lœber, Superintendens
in Ronneburg eine Synodal-diſputation im Monat Auguſto de po-
teſtate ligandi & ſolvendi
gehalten, die abſonderlich wider Ligt-
foot
en gerichtet iſt. Jch kan nicht leugnen, daß ſeine Gruͤnde ge-
lehrt ſind, allein mir deucht doch, daß dieſelben nicht alſo be-
ſchaffen, daß aller Zweiffel gehoben, und nichts dawieder ein-
gewendet werden koͤnte. Jch kan und will auch nicht vor je-
tzo mich in dieſen Streit miſchen. Denn es treffen doch alle
hierinn uͤberein, CHriſtus habe denen Apoſteln die Macht die
Suͤnde
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0074" n="55"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">die Su&#x0364;nde zu vergeben und zu behalten.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. <hi rendition="#aq">II.</hi></head>
            <p>Es du&#x0364;rfften wohl einige &#x017F;eyn/ die &#x017F;ich einbilden/<note place="right">Wa&#xA75B;um ich<lb/>
von <hi rendition="#g">dem</hi><lb/>
Ur&#x017F;prung</note><lb/>
es &#x017F;ey etwas wunderliches/ daß ich mit &#x017F;o vielen Worten/<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/><note next="#f45" xml:id="f44" prev="#f43" place="foot" n="(d)">ben durch das Binden ein <hi rendition="#fr">Verbot,</hi> durch das Lo&#x0364;&#x017F;en aber eine<lb/><hi rendition="#fr">Zula&#x017F;&#x017F;ung</hi> ver&#x017F;tanden. Sie &#x017F;agten, man mu&#x0364;&#x017F;te die&#x017F;e Worte aus<lb/>
denen Ju&#x0364;di&#x017F;chen Alterthu&#x0364;mern und Gebra&#x0364;uchen erkla&#x0364;ren. Die<lb/>
Ju&#x0364;di&#x017F;chen Lehrer ha&#x0364;tten in zweiffelhafften Fa&#x0364;llen von dem Sinn<lb/>
des Go&#x0364;ttlichen Rechts Antwort ertheilet und ge&#x017F;prochen. Die&#x017F;e<lb/>
Gewalt &#x017F;ey durch die Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el angedeutet worden. CHri&#x017F;tus<lb/>
ha&#x0364;tte nun denen Apo&#x017F;teln gleiche Macht ertheilet, daß &#x017F;ie nemlich<lb/>
das <hi rendition="#aq">Mo&#x017F;ai</hi>&#x017F;che Ge&#x017F;etze zum Theil ab&#x017F;chaffen, und zur Zeit des neu-<lb/>
en Bundes einiges erlauben ko&#x0364;nnten, das vorhero verboten gewe-<lb/>
&#x017F;en; im Gegentheil, &#x017F;olten &#x017F;ie auch die Macht haben, gedachtes<lb/>
Ge&#x017F;etz zum Theil zu behalten, und denen Chri&#x017F;ten eines und das<lb/>
andere zu unter&#x017F;agen, das denen Ju&#x0364;den ebenfalls verboten gewe-<lb/>
&#x017F;en. Das er&#x017F;tere &#x017F;ey die Macht zu lo&#x0364;&#x017F;en, das andere die Gewalt<lb/>
zu binden. Die&#x017F;e Meinung hegen <hi rendition="#aq">Hugo Grotius, Joh. Camero,</hi> da<lb/>
&#x017F;ie auf die angefu&#x0364;hrte Schrifft-Stelle kommen. Es pflichtet der-<lb/>
&#x017F;elben bey <hi rendition="#aq">Joh. Seldenus <hi rendition="#i">de Synedr. Ebræor.</hi> Joh. Ligtfoot. <hi rendition="#i">in hor.<lb/>
Ehraic. &amp; Talmud.</hi> Joh. Dallæus <hi rendition="#i">de confe&#x017F;&#x017F;. auricul.</hi></hi> Der <hi rendition="#aq">Joh. Be-<lb/>
nedict. Carpzovius <hi rendition="#i">in Epi&#x017F;t. dedic. Oper. cit. Ligtfoot</hi></hi> lobet &#x017F;olche<lb/>
Erkla&#x0364;rung. Der &#x017F;charf&#x017F;innige Herr <hi rendition="#aq">Thoma&#x017F;ius</hi> <hi rendition="#fr">in dem Beden-<lb/>
cken, wie weit einem Gei&#x017F;tlichen erlaubt, gegen &#x017F;einen Landes-<lb/>
Herrn &#x017F;ich des Binde-Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;els zu bedienen,</hi> und der beru&#x0364;hm-<lb/>
te Herr Bo&#x0364;hmer <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">in Jur. Eccle&#x017F;. Antiq. ad Plin. &amp; Tertull.</hi></hi> erweh-<lb/>
len ebenfalls &#x017F;olche Erkla&#x0364;rung, anderer zu ge&#x017F;chweigen. Allein<lb/>
denen mei&#x017F;ten &#x017F;tehet &#x017F;olche nicht an. Es hat nur vor einigen Jah-<lb/>
ren, nehmlich <hi rendition="#aq">Ao.</hi> 1715. der Herr <hi rendition="#aq">Chri&#x017F;t. L&#x0153;ber, Superintendens</hi><lb/>
in Ronneburg eine <hi rendition="#aq">Synodal-di&#x017F;putation</hi> im Monat <hi rendition="#aq">Augu&#x017F;to <hi rendition="#i">de po-<lb/>
te&#x017F;tate ligandi &amp; &#x017F;olvendi</hi></hi> gehalten, die ab&#x017F;onderlich wider <hi rendition="#aq">Ligt-<lb/>
foot</hi>en gerichtet i&#x017F;t. Jch kan nicht leugnen, daß &#x017F;eine Gru&#x0364;nde ge-<lb/>
lehrt &#x017F;ind, allein mir deucht doch, daß die&#x017F;elben nicht al&#x017F;o be-<lb/>
&#x017F;chaffen, daß aller Zweiffel gehoben, und nichts dawieder ein-<lb/>
gewendet werden ko&#x0364;nte. Jch kan und will auch nicht vor je-<lb/>
tzo mich in die&#x017F;en Streit mi&#x017F;chen. Denn es treffen doch alle<lb/>
hierinn u&#x0364;berein, CHri&#x017F;tus habe denen Apo&#x017F;teln die Macht die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Su&#x0364;nde</fw></note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0074] die Suͤnde zu vergeben und zu behalten. §. II. Es duͤrfften wohl einige ſeyn/ die ſich einbilden/ es ſey etwas wunderliches/ daß ich mit ſo vielen Worten/ von (d) Waꝛum ich von dem Urſprung (d) ben durch das Binden ein Verbot, durch das Loͤſen aber eine Zulaſſung verſtanden. Sie ſagten, man muͤſte dieſe Worte aus denen Juͤdiſchen Alterthuͤmern und Gebraͤuchen erklaͤren. Die Juͤdiſchen Lehrer haͤtten in zweiffelhafften Faͤllen von dem Sinn des Goͤttlichen Rechts Antwort ertheilet und geſprochen. Dieſe Gewalt ſey durch die Schluͤſſel angedeutet worden. CHriſtus haͤtte nun denen Apoſteln gleiche Macht ertheilet, daß ſie nemlich das Moſaiſche Geſetze zum Theil abſchaffen, und zur Zeit des neu- en Bundes einiges erlauben koͤnnten, das vorhero verboten gewe- ſen; im Gegentheil, ſolten ſie auch die Macht haben, gedachtes Geſetz zum Theil zu behalten, und denen Chriſten eines und das andere zu unterſagen, das denen Juͤden ebenfalls verboten gewe- ſen. Das erſtere ſey die Macht zu loͤſen, das andere die Gewalt zu binden. Dieſe Meinung hegen Hugo Grotius, Joh. Camero, da ſie auf die angefuͤhrte Schrifft-Stelle kommen. Es pflichtet der- ſelben bey Joh. Seldenus de Synedr. Ebræor. Joh. Ligtfoot. in hor. Ehraic. & Talmud. Joh. Dallæus de confeſſ. auricul. Der Joh. Be- nedict. Carpzovius in Epiſt. dedic. Oper. cit. Ligtfoot lobet ſolche Erklaͤrung. Der ſcharfſinnige Herr Thomaſius in dem Beden- cken, wie weit einem Geiſtlichen erlaubt, gegen ſeinen Landes- Herrn ſich des Binde-Schluͤſſels zu bedienen, und der beruͤhm- te Herr Boͤhmer in Jur. Eccleſ. Antiq. ad Plin. & Tertull. erweh- len ebenfalls ſolche Erklaͤrung, anderer zu geſchweigen. Allein denen meiſten ſtehet ſolche nicht an. Es hat nur vor einigen Jah- ren, nehmlich Ao. 1715. der Herr Chriſt. Lœber, Superintendens in Ronneburg eine Synodal-diſputation im Monat Auguſto de po- teſtate ligandi & ſolvendi gehalten, die abſonderlich wider Ligt- footen gerichtet iſt. Jch kan nicht leugnen, daß ſeine Gruͤnde ge- lehrt ſind, allein mir deucht doch, daß dieſelben nicht alſo be- ſchaffen, daß aller Zweiffel gehoben, und nichts dawieder ein- gewendet werden koͤnte. Jch kan und will auch nicht vor je- tzo mich in dieſen Streit miſchen. Denn es treffen doch alle hierinn uͤberein, CHriſtus habe denen Apoſteln die Macht die Suͤnde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pertsch_recht_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pertsch_recht_1721/74
Zitationshilfe: Pertsch, Johann Georg: Das Recht Der Beicht-Stühle. Halle, 1721, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pertsch_recht_1721/74>, abgerufen am 03.05.2024.