ringelte sich die Riesenschlange fünfmal um das Christenthum -- Wie ein Hohn liegt drunten das Mondlicht auf der grünen Arena, wo sonst der Kolossus des Sonnengottes stand -- Der Stern des Nordens *) schimmert gesenkt durch die Fenster und der Drache und die Bären bücken sich. Welch' eine Welt ist vorüber!" -- Die Fürstinn ant¬ wortete: "daß zwölftausend Gefangne dieses Theater baueten und daß noch weit mehrere darauf bluteten." "O die Bau-Gefangnen ha¬ ben wir auch, (sagt' er,) aber für Festungen; und das Blut fliesset auch noch, aber mit dem Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart, die Vergangenheit muß ohne sie die Zukunft gebähren."
Die Fürstinn gieng weg, um einen Lorbeer¬ zweig und blühenden Güldenlack zu brechen. Albano versank ins Sinnen -- der Herbstwind der Vergangenheit gieng über die Stoppeln -- auf dieser heiligen Höhe sah er die Sternbil¬ der, Roms grüne Berge, die schimmernde Stadt,
*) Der Polstern steht wie andere nördliche Stern¬ bilder in Süden tiefer.
ringelte ſich die Rieſenſchlange fünfmal um das Chriſtenthum — Wie ein Hohn liegt drunten das Mondlicht auf der grünen Arena, wo ſonſt der Koloſſus des Sonnengottes ſtand — Der Stern des Nordens *) ſchimmert geſenkt durch die Fenſter und der Drache und die Bären bücken ſich. Welch' eine Welt iſt vorüber!“ — Die Fürſtinn ant¬ wortete: „daß zwölftauſend Gefangne dieſes Theater baueten und daß noch weit mehrere darauf bluteten.“ „O die Bau-Gefangnen ha¬ ben wir auch, (ſagt' er,) aber für Feſtungen; und das Blut flieſſet auch noch, aber mit dem Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart, die Vergangenheit muß ohne ſie die Zukunft gebähren.“
Die Fürſtinn gieng weg, um einen Lorbeer¬ zweig und blühenden Güldenlack zu brechen. Albano verſank ins Sinnen — der Herbſtwind der Vergangenheit gieng über die Stoppeln — auf dieſer heiligen Höhe ſah er die Sternbil¬ der, Roms grüne Berge, die ſchimmernde Stadt,
*) Der Polſtern ſteht wie andere nördliche Stern¬ bilder in Süden tiefer.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="45"/>
ringelte ſich die Rieſenſchlange fünfmal um das<lb/>
Chriſtenthum — Wie ein Hohn liegt drunten<lb/>
das Mondlicht auf der grünen Arena, wo ſonſt<lb/>
der Koloſſus des Sonnengottes ſtand — Der Stern<lb/>
des Nordens <noteplace="foot"n="*)"><lb/>
Der Polſtern ſteht wie andere nördliche Stern¬<lb/>
bilder in Süden tiefer.</note>ſchimmert geſenkt durch die Fenſter<lb/>
und der Drache und die Bären bücken ſich. Welch'<lb/>
eine Welt iſt vorüber!“— Die Fürſtinn ant¬<lb/>
wortete: „daß zwölftauſend Gefangne dieſes<lb/>
Theater baueten und daß noch weit mehrere<lb/>
darauf bluteten.“„O die Bau-Gefangnen ha¬<lb/>
ben wir auch, (ſagt' er,) aber für Feſtungen;<lb/>
und das Blut flieſſet auch noch, aber mit dem<lb/>
Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart,<lb/>
die Vergangenheit muß ohne ſie die Zukunft<lb/>
gebähren.“</p><lb/><p>Die Fürſtinn gieng weg, um einen Lorbeer¬<lb/>
zweig und blühenden Güldenlack zu brechen.<lb/>
Albano verſank ins Sinnen — der Herbſtwind<lb/>
der Vergangenheit gieng über die Stoppeln —<lb/>
auf dieſer heiligen Höhe ſah er die Sternbil¬<lb/>
der, Roms grüne Berge, die ſchimmernde Stadt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[45/0057]
ringelte ſich die Rieſenſchlange fünfmal um das
Chriſtenthum — Wie ein Hohn liegt drunten
das Mondlicht auf der grünen Arena, wo ſonſt
der Koloſſus des Sonnengottes ſtand — Der Stern
des Nordens *) ſchimmert geſenkt durch die Fenſter
und der Drache und die Bären bücken ſich. Welch'
eine Welt iſt vorüber!“ — Die Fürſtinn ant¬
wortete: „daß zwölftauſend Gefangne dieſes
Theater baueten und daß noch weit mehrere
darauf bluteten.“ „O die Bau-Gefangnen ha¬
ben wir auch, (ſagt' er,) aber für Feſtungen;
und das Blut flieſſet auch noch, aber mit dem
Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart,
die Vergangenheit muß ohne ſie die Zukunft
gebähren.“
Die Fürſtinn gieng weg, um einen Lorbeer¬
zweig und blühenden Güldenlack zu brechen.
Albano verſank ins Sinnen — der Herbſtwind
der Vergangenheit gieng über die Stoppeln —
auf dieſer heiligen Höhe ſah er die Sternbil¬
der, Roms grüne Berge, die ſchimmernde Stadt,
*)
Der Polſtern ſteht wie andere nördliche Stern¬
bilder in Süden tiefer.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/57>, abgerufen am 07.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.