Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

nens ihrer -- jener, der den Menschen nur an
der Dämmerung in die Nacht führt, der uns
mildernde Thränen in den Jammer und in die
Entzückung giesset und der dem Abendstern der
Liebe die kurze Bahn nicht überwölkt -- Die¬
ser Geist war es, welcher ihre Zungen und
Ohren vor dem schrecklichen Laute bewahrte,
der auf einmal den goldnen Abendkreis in
eine ringsumher aufbrennende Hölle aufgeris¬
sen hätte.

"Wer kommt dort so eilig?" sagte Linda.
"Mein Feind" sagte Albano. Roquairol hatte
ihn vermisset und Linda's Ankunft vernommen;
in der Höllenangst, daß sich an diesem Abende
vor ihnen der gestrige aufdecke, eilte er unter
dem Vorwande, Dian zum Spielen und Al¬
bano zum Hören zu holen, den Berg heran.
Wie ein Zentaur, halb Mensch, halb Wild,
trat er mit verworrenem dumpfen Kriege sei¬
nes ganzen Wesens unter die melodischen See¬
len und Freuden. Aber kaum daß er an ihnen
die Weihe der Entzückung wahrnahm und die
schwarze Decke noch auf seinem Morde festlie¬
gen sah: so lichtete sich in ihm der grimmige

nens ihrer — jener, der den Menſchen nur an
der Dämmerung in die Nacht führt, der uns
mildernde Thränen in den Jammer und in die
Entzückung gieſſet und der dem Abendſtern der
Liebe die kurze Bahn nicht überwölkt — Die¬
ſer Geiſt war es, welcher ihre Zungen und
Ohren vor dem ſchrecklichen Laute bewahrte,
der auf einmal den goldnen Abendkreis in
eine ringsumher aufbrennende Hölle aufgeris¬
ſen hätte.

„Wer kommt dort ſo eilig?“ ſagte Linda.
„Mein Feind“ ſagte Albano. Roquairol hatte
ihn vermiſſet und Linda's Ankunft vernommen;
in der Höllenangſt, daß ſich an dieſem Abende
vor ihnen der geſtrige aufdecke, eilte er unter
dem Vorwande, Dian zum Spielen und Al¬
bano zum Hören zu holen, den Berg heran.
Wie ein Zentaur, halb Menſch, halb Wild,
trat er mit verworrenem dumpfen Kriege ſei¬
nes ganzen Weſens unter die melodiſchen See¬
len und Freuden. Aber kaum daß er an ihnen
die Weihe der Entzückung wahrnahm und die
ſchwarze Decke noch auf ſeinem Morde feſtlie¬
gen ſah: ſo lichtete ſich in ihm der grimmige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0400" n="388"/>
nens ihrer &#x2014; jener, der den Men&#x017F;chen nur an<lb/>
der Dämmerung in die Nacht führt, der uns<lb/>
mildernde Thränen in den Jammer und in die<lb/>
Entzückung gie&#x017F;&#x017F;et und der dem Abend&#x017F;tern der<lb/>
Liebe die kurze Bahn nicht überwölkt &#x2014; Die¬<lb/>
&#x017F;er Gei&#x017F;t war es, welcher ihre Zungen und<lb/>
Ohren vor dem &#x017F;chrecklichen Laute bewahrte,<lb/>
der auf einmal den goldnen Abendkreis in<lb/>
eine ringsumher aufbrennende Hölle aufgeris¬<lb/>
&#x017F;en hätte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wer kommt dort &#x017F;o eilig?&#x201C; &#x017F;agte Linda.<lb/>
&#x201E;Mein Feind&#x201C; &#x017F;agte Albano. Roquairol hatte<lb/>
ihn vermi&#x017F;&#x017F;et und Linda's Ankunft vernommen;<lb/>
in der Höllenang&#x017F;t, daß &#x017F;ich an die&#x017F;em Abende<lb/>
vor ihnen der ge&#x017F;trige aufdecke, eilte er unter<lb/>
dem Vorwande, Dian zum Spielen und Al¬<lb/>
bano zum Hören zu holen, den Berg heran.<lb/>
Wie ein Zentaur, halb Men&#x017F;ch, halb Wild,<lb/>
trat er mit verworrenem dumpfen Kriege &#x017F;ei¬<lb/>
nes ganzen We&#x017F;ens unter die melodi&#x017F;chen See¬<lb/>
len und Freuden. Aber kaum daß er an ihnen<lb/>
die Weihe der Entzückung wahrnahm und die<lb/>
&#x017F;chwarze Decke noch auf &#x017F;einem Morde fe&#x017F;tlie¬<lb/>
gen &#x017F;ah: &#x017F;o lichtete &#x017F;ich in ihm der grimmige<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[388/0400] nens ihrer — jener, der den Menſchen nur an der Dämmerung in die Nacht führt, der uns mildernde Thränen in den Jammer und in die Entzückung gieſſet und der dem Abendſtern der Liebe die kurze Bahn nicht überwölkt — Die¬ ſer Geiſt war es, welcher ihre Zungen und Ohren vor dem ſchrecklichen Laute bewahrte, der auf einmal den goldnen Abendkreis in eine ringsumher aufbrennende Hölle aufgeris¬ ſen hätte. „Wer kommt dort ſo eilig?“ ſagte Linda. „Mein Feind“ ſagte Albano. Roquairol hatte ihn vermiſſet und Linda's Ankunft vernommen; in der Höllenangſt, daß ſich an dieſem Abende vor ihnen der geſtrige aufdecke, eilte er unter dem Vorwande, Dian zum Spielen und Al¬ bano zum Hören zu holen, den Berg heran. Wie ein Zentaur, halb Menſch, halb Wild, trat er mit verworrenem dumpfen Kriege ſei¬ nes ganzen Weſens unter die melodiſchen See¬ len und Freuden. Aber kaum daß er an ihnen die Weihe der Entzückung wahrnahm und die ſchwarze Decke noch auf ſeinem Morde feſtlie¬ gen ſah: ſo lichtete ſich in ihm der grimmige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/400
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/400>, abgerufen am 22.11.2024.