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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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sonst so sehr dem Vesuve ähnlich, der in den
ersten Morgenstunden noch beschneiet ist, stand
schon mit einem warmen Gipfel da; er setzte
sich ans Instrument und donnerte mit einem
aufgeschlagnen Prestissimo von Haydn -- die¬
sem rechten Stundenrufer jauchzender Stun¬
den -- in die laute Gegenwart, und spielte
zur Verwunderung der Weiber das Schwerste
so leicht vom Blatte, daß er mehr hinein- als
herausspielte und Vieles (z. B. den Baß) im¬
mer selber setzte, indeß Albano mit fast komi¬
scher Treue in der Musik eben so sehr die
Wahrheit wieder gab als in jeder Geschichte,
die immer in Karls Munde wieder eine erlebte.
Der Morgen legte allen Seelen die Flügel
an, die der Mittag den Menschen immer bin¬
det -- daher die Aurora mit geflügelten Ros¬
sen fährt und der Tagsgott mit flügellosen. --
"Aber wie sind nun unsere sieben Freudensta¬
"zionen zu machen -- (fragte Karl) denn der
"Tag liegt wie ein Gartensaal mit lauter Lust¬
"gängen nach allen Seiten vor uns offen" --
"Karl, ist es denn nicht einerlei wo ein Mensch
liebt?" sagte Albano. -- Seeliger, dessen Herz

ſonſt ſo ſehr dem Veſuve ähnlich, der in den
erſten Morgenſtunden noch beſchneiet iſt, ſtand
ſchon mit einem warmen Gipfel da; er ſetzte
ſich ans Inſtrument und donnerte mit einem
aufgeſchlagnen Preſtiſſimo von Haydn — die¬
ſem rechten Stundenrufer jauchzender Stun¬
den — in die laute Gegenwart, und ſpielte
zur Verwunderung der Weiber das Schwerſte
ſo leicht vom Blatte, daß er mehr hinein- als
herausſpielte und Vieles (z. B. den Baß) im¬
mer ſelber ſetzte, indeß Albano mit faſt komi¬
ſcher Treue in der Muſik eben ſo ſehr die
Wahrheit wieder gab als in jeder Geſchichte,
die immer in Karls Munde wieder eine erlebte.
Der Morgen legte allen Seelen die Flügel
an, die der Mittag den Menſchen immer bin¬
det — daher die Aurora mit geflügelten Roſ¬
ſen fährt und der Tagsgott mit flügelloſen. —
„Aber wie ſind nun unſere ſieben Freudenſta¬
„zionen zu machen — (fragte Karl) denn der
„Tag liegt wie ein Gartenſaal mit lauter Luſt¬
„gängen nach allen Seiten vor uns offen“ —
„Karl, iſt es denn nicht einerlei wo ein Menſch
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[57/0069] ſonſt ſo ſehr dem Veſuve ähnlich, der in den erſten Morgenſtunden noch beſchneiet iſt, ſtand ſchon mit einem warmen Gipfel da; er ſetzte ſich ans Inſtrument und donnerte mit einem aufgeſchlagnen Preſtiſſimo von Haydn — die¬ ſem rechten Stundenrufer jauchzender Stun¬ den — in die laute Gegenwart, und ſpielte zur Verwunderung der Weiber das Schwerſte ſo leicht vom Blatte, daß er mehr hinein- als herausſpielte und Vieles (z. B. den Baß) im¬ mer ſelber ſetzte, indeß Albano mit faſt komi¬ ſcher Treue in der Muſik eben ſo ſehr die Wahrheit wieder gab als in jeder Geſchichte, die immer in Karls Munde wieder eine erlebte. Der Morgen legte allen Seelen die Flügel an, die der Mittag den Menſchen immer bin¬ det — daher die Aurora mit geflügelten Roſ¬ ſen fährt und der Tagsgott mit flügelloſen. — „Aber wie ſind nun unſere ſieben Freudenſta¬ „zionen zu machen — (fragte Karl) denn der „Tag liegt wie ein Gartenſaal mit lauter Luſt¬ „gängen nach allen Seiten vor uns offen“ — „Karl, iſt es denn nicht einerlei wo ein Menſch liebt?“ ſagte Albano. — Seeliger, deſſen Herz

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/69>, abgerufen am 28.11.2024.