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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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chen. Sie war sehr offenherzig mit allen letz¬
ten Wünschen ihrer heiligen Seele. So lange
die Mutter und Augusti konnten, hielten sie
ihr die Hand, damit sie sich eine so giftige
schwarze Blume als die Freude eines solchen
Wiedersehens seyn müßte, nicht ans kranke Herz
steckte. Aber sie versicherte ihre Mutter, was
könn' es ihr in diesem Jahre schaden, da sie ja
erst im künftigen -- nach Karolinens Weissa¬
gung -- von hinnen gehe? -- Indeß suchte man
ihr das letzte Ziel immer hinauszurücken in der
Hoffnung, daß Gaspard den Grafen wegführe,
und mit dem Vorsatz, nur im Nothfalle aller ver¬
lohrnen Hoffnungen ihr diese tödtliche zu stillen.

Da wandte sie sich mit ihrem Wunsche an
ihren Bruder; aber dieser halb aus erbitterter
Eitelkeit, halb aus Liebe gegen die Schwester,
schilderte Albano von der kältern Seite, sagte,
er ziehe in ein frohes Land, verschmerze sie
leicht u. s. w. Wie entrüstete sich beinahe die
sanfte Seele, weil sie daraus mit weiblicher
Scharfsicht einen nahen Bruch der Liebe gegen
Albano und Rabette und eine Wiederkehr der
Neigung für die dableibende Linda entdeckte!

chen. Sie war ſehr offenherzig mit allen letz¬
ten Wünſchen ihrer heiligen Seele. So lange
die Mutter und Auguſti konnten, hielten ſie
ihr die Hand, damit ſie ſich eine ſo giftige
ſchwarze Blume als die Freude eines ſolchen
Wiederſehens ſeyn müßte, nicht ans kranke Herz
ſteckte. Aber ſie verſicherte ihre Mutter, was
könn' es ihr in dieſem Jahre ſchaden, da ſie ja
erſt im künftigen — nach Karolinens Weiſſa¬
gung — von hinnen gehe? — Indeß ſuchte man
ihr das letzte Ziel immer hinauszurücken in der
Hoffnung, daß Gaſpard den Grafen wegführe,
und mit dem Vorſatz, nur im Nothfalle aller ver¬
lohrnen Hoffnungen ihr dieſe tödtliche zu ſtillen.

Da wandte ſie ſich mit ihrem Wunſche an
ihren Bruder; aber dieſer halb aus erbitterter
Eitelkeit, halb aus Liebe gegen die Schweſter,
ſchilderte Albano von der kältern Seite, ſagte,
er ziehe in ein frohes Land, verſchmerze ſie
leicht u. ſ. w. Wie entrüſtete ſich beinahe die
ſanfte Seele, weil ſie daraus mit weiblicher
Scharfſicht einen nahen Bruch der Liebe gegen
Albano und Rabette und eine Wiederkehr der
Neigung für die dableibende Linda entdeckte!

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[372/0384] chen. Sie war ſehr offenherzig mit allen letz¬ ten Wünſchen ihrer heiligen Seele. So lange die Mutter und Auguſti konnten, hielten ſie ihr die Hand, damit ſie ſich eine ſo giftige ſchwarze Blume als die Freude eines ſolchen Wiederſehens ſeyn müßte, nicht ans kranke Herz ſteckte. Aber ſie verſicherte ihre Mutter, was könn' es ihr in dieſem Jahre ſchaden, da ſie ja erſt im künftigen — nach Karolinens Weiſſa¬ gung — von hinnen gehe? — Indeß ſuchte man ihr das letzte Ziel immer hinauszurücken in der Hoffnung, daß Gaſpard den Grafen wegführe, und mit dem Vorſatz, nur im Nothfalle aller ver¬ lohrnen Hoffnungen ihr dieſe tödtliche zu ſtillen. Da wandte ſie ſich mit ihrem Wunſche an ihren Bruder; aber dieſer halb aus erbitterter Eitelkeit, halb aus Liebe gegen die Schweſter, ſchilderte Albano von der kältern Seite, ſagte, er ziehe in ein frohes Land, verſchmerze ſie leicht u. ſ. w. Wie entrüſtete ſich beinahe die ſanfte Seele, weil ſie daraus mit weiblicher Scharfſicht einen nahen Bruch der Liebe gegen Albano und Rabette und eine Wiederkehr der Neigung für die dableibende Linda entdeckte!

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/384>, abgerufen am 24.11.2024.