Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

dieser selber war ihm zuvorgekommen mit bit¬
ter-süßen Thränen über die bittersten.

Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬
eingedrücktem Hut und grimmig-stechendem Blick
ohne Gruß. -- Überall hört' er, daß jener um¬
sonst Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬
gere und berenne; dieses und Lianens Krank¬
seyn machte den tropischen Wilden gleichsam
zum wilderwachsenen Knaben aus einem Wald.
Auch in der jetzigen Absonderung -- auf der
Wahlstatt des Freundes -- hielt es Albano
für eine Wunde des Menschen, daß Karl
nicht von ihm voraussetzte -- denn diesem Man¬
gel schrieb er den Gassen-Grimm zu --, er
werde die Gräfin nicht zu sehen suchen.

Sogar im Bibliothekar schien seit einigen
Tagen ein Geheimniß zu lauern; dieser aber
gieng, seit es ihm in dessen Tiefen immer lich¬
ter geworden und er hinter dessen komische Lar¬
ve hineingesehen bis zum redlichen Auge und
liebevollen Mund, -- sein Herz so nahe an,
zumal nach so vielen Trennungen. Denn auch
der Lektor hielt sich nach seiner Gewohnheit,
um keines Menschen oder gar abtrünnigen

Y 2

dieſer ſelber war ihm zuvorgekommen mit bit¬
ter-ſüßen Thränen über die bitterſten.

Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬
eingedrücktem Hut und grimmig-ſtechendem Blick
ohne Gruß. — Überall hört' er, daß jener um¬
ſonſt Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬
gere und berenne; dieſes und Lianens Krank¬
ſeyn machte den tropiſchen Wilden gleichſam
zum wilderwachſenen Knaben aus einem Wald.
Auch in der jetzigen Abſonderung — auf der
Wahlſtatt des Freundes — hielt es Albano
für eine Wunde des Menſchen, daß Karl
nicht von ihm vorausſetzte — denn dieſem Man¬
gel ſchrieb er den Gaſſen-Grimm zu —, er
werde die Gräfin nicht zu ſehen ſuchen.

Sogar im Bibliothekar ſchien ſeit einigen
Tagen ein Geheimniß zu lauern; dieſer aber
gieng, ſeit es ihm in deſſen Tiefen immer lich¬
ter geworden und er hinter deſſen komiſche Lar¬
ve hineingeſehen bis zum redlichen Auge und
liebevollen Mund, — ſein Herz ſo nahe an,
zumal nach ſo vielen Trennungen. Denn auch
der Lektor hielt ſich nach ſeiner Gewohnheit,
um keines Menſchen oder gar abtrünnigen

Y 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0351" n="339"/>
die&#x017F;er &#x017F;elber war ihm zuvorgekommen mit bit¬<lb/>
ter-&#x017F;üßen Thränen über die bitter&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬<lb/>
eingedrücktem Hut und grimmig-&#x017F;techendem Blick<lb/>
ohne Gruß. &#x2014; Überall hört' er, daß jener um¬<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬<lb/>
gere und berenne; die&#x017F;es und Lianens Krank¬<lb/>
&#x017F;eyn machte den tropi&#x017F;chen Wilden gleich&#x017F;am<lb/>
zum wilderwach&#x017F;enen Knaben aus einem Wald.<lb/>
Auch in der jetzigen Ab&#x017F;onderung &#x2014; auf der<lb/>
Wahl&#x017F;tatt des <hi rendition="#g">Freundes</hi> &#x2014; hielt es Albano<lb/>
für eine Wunde des <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi>, daß Karl<lb/>
nicht von ihm voraus&#x017F;etzte &#x2014; denn die&#x017F;em Man¬<lb/>
gel &#x017F;chrieb er den Ga&#x017F;&#x017F;en-Grimm zu &#x2014;, er<lb/>
werde die Gräfin nicht zu &#x017F;ehen &#x017F;uchen.</p><lb/>
          <p>Sogar im Bibliothekar &#x017F;chien &#x017F;eit einigen<lb/>
Tagen ein Geheimniß zu lauern; die&#x017F;er aber<lb/>
gieng, &#x017F;eit es ihm in de&#x017F;&#x017F;en Tiefen immer lich¬<lb/>
ter geworden und er hinter de&#x017F;&#x017F;en komi&#x017F;che Lar¬<lb/>
ve hineinge&#x017F;ehen bis zum redlichen Auge und<lb/>
liebevollen Mund, &#x2014; &#x017F;ein Herz &#x017F;o nahe an,<lb/>
zumal nach &#x017F;o vielen Trennungen. Denn auch<lb/>
der Lektor hielt &#x017F;ich nach &#x017F;einer Gewohnheit,<lb/>
um keines Men&#x017F;chen oder gar abtrünnigen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0351] dieſer ſelber war ihm zuvorgekommen mit bit¬ ter-ſüßen Thränen über die bitterſten. Letzterer war ihm einmal begegnet, mit her¬ eingedrücktem Hut und grimmig-ſtechendem Blick ohne Gruß. — Überall hört' er, daß jener um¬ ſonſt Linda's und Juliennens Doppelthor bela¬ gere und berenne; dieſes und Lianens Krank¬ ſeyn machte den tropiſchen Wilden gleichſam zum wilderwachſenen Knaben aus einem Wald. Auch in der jetzigen Abſonderung — auf der Wahlſtatt des Freundes — hielt es Albano für eine Wunde des Menſchen, daß Karl nicht von ihm vorausſetzte — denn dieſem Man¬ gel ſchrieb er den Gaſſen-Grimm zu —, er werde die Gräfin nicht zu ſehen ſuchen. Sogar im Bibliothekar ſchien ſeit einigen Tagen ein Geheimniß zu lauern; dieſer aber gieng, ſeit es ihm in deſſen Tiefen immer lich¬ ter geworden und er hinter deſſen komiſche Lar¬ ve hineingeſehen bis zum redlichen Auge und liebevollen Mund, — ſein Herz ſo nahe an, zumal nach ſo vielen Trennungen. Denn auch der Lektor hielt ſich nach ſeiner Gewohnheit, um keines Menſchen oder gar abtrünnigen Y 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/351
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/351>, abgerufen am 24.11.2024.